Erste Selbstanzeige laut Medien von Daimler
25. Juli 2017Vor einem Jahr sollen der Volkswagen-Konzern und Daimler Selbstanzeigen bei den Wettbewerbsbehörden erstattet haben. Doch der Daimler-Konzern habe sich deutlich früher als Volkswagen an die Behörden gewandt, berichten "Süddeutsche Zeitung" (SZ), WDR und NDR. Damit könne der Stuttgarter Autohersteller darauf hoffen, ohne Strafe davonzukommen, sollte die EU-Kommission Geldbußen wegen verbotener Absprachen verhängen.
Nach Recherchen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" sollen sich die Autobauer seit Jahrzehnten über die Technik ihrer Fahrzeuge, Kosten, Zulieferer, Märkte, Strategien und auch die Reinigung von Diesel-Abgasen abgesprochen haben.
EU-Kommission ermittelt wegen der Kartellvorwürfe
Wie das Recherchenetzwerk von SZ, WDR und NDR berichtet, wäre nach der zeitigen Selbstanzeige von Daimler für VW laut EU-Bestimmungen allenfalls noch ein Strafnachlass in Höhe von maximal 50 Prozent möglich. Und das auch nur dann, falls VW zusätzlich zu den von Daimler eingereichten Unterlagen weitere "Beweismittel mit erheblichem Mehrwert" vorgelegt hätte, heißt es in dem Bericht.
Die Federführung der Aufklärung der Kartellvorwürfe gegen die deutsche Autoindustrie hat nun die EU-Kommission übernommen. Das Bundeskartellamt erklärte, es führe kein Verfahren. Aber es lägen "Informationen" zu möglichen Absprachen im technischen Bereich vor. Das Bundeskartellamt hatte just vor einem Jahr mehrere Autohersteller und Zulieferer wegen möglicher Absprachen beim Einkauf von Stahl durchsucht. Hierzu laufe ein Verfahren, teilte die Behörde in Bonn mit.
Die Autobauer schweigen
Sollten die Vorwürfe über die Absprachen der Autobauer zutreffen, wäre dies eines der größten Kartelle in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Experten rechnen mit milliardenschweren Strafen und befürchten einen weiteren Image-Schaden für die deutsche Autoindustrie. An der Börse machten sich die Vorwürfe bereits bemerkbar: VW, Daimler und BMW verloren am Montag erneut zwischen ein und drei Prozent - ähnlich wie schon nach Veröffentlichung der Vorwürfe am Freitag. Der Dax rutschte unter Führung der Autowerte um 0,3 Prozent auf 12.208 Punkte ab.
Die genannten Unternehmen schweigen zu den Kernvorwürfen. BMW wies lediglich den Vorwurf unzureichender Abgasreinigung zurück.
"Miteinander reden - und nicht übereinander"
Innerhalb des VW-Konzerns verschärft sich der Konflikt zwischen Porsche und Audi bei der Aufarbeitung der Dieselkrise. Am Sonntag hatte Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück gegenüber der "Bild am Sonntag" gesagt, er sehe sein Unternehmen hintergangen und fordere die Entlassung von Vorständen bei der Konzernschwester Audi. "Ich werde es nicht zulassen, dass Porsche durch Tricksereien von Audi in Gefahr gerät", sagte der oberste Belegschaftsvertreter. "Eigentlich muss der Audi-Aufsichtsrat die Vorstände freistellen."
VW-Chef Matthias Müller keilt nun zurück: "Der Aufsichtsrat muss ganz sicher nicht belehrt werden, wie er seine Arbeit zu tun hat", sagte der Manager der "Heilbronner Stimme" (Dienstagausgabe). Die Äußerungen seien "alles andere als hilfreich". Die Art und Weise von Hücks Äußerungen habe nichts mit der Unternehmenskultur im VW-Konzern zu tun: "Wir sollten miteinander reden - und nicht übereinander." Zu den Vorwürfen der Kartellabsprachen unter den deutschen Autobauern äußerte sich der 64-Jährigen nicht.
Branchenverband VDA gibt sich unwissend
Nach eigenen Angaben wusste der Branchenverband VDA vor den jüngsten Medienberichten nichts vom Kartellverdacht gegen die Autobauer. Die aktuellen Vorwürfe beträfen ein Feld, das nicht Teil der VDA-Arbeit sei. sagte Verbandspräsident Matthias Wissmann dem "Handelsblatt" vom Dienstag. Was die Produktsicherheit in der Branche angehe und auch für die Rechtstreue gelte in der Autoindustrie aber eine "Null-Fehler-Toleranz", betonte er. Die Vorwürfe müssten konsequent aufgeklärt werden. Wissmann warnte aber vor einer Pauschalverurteilung der gesamten Branche.
Der VDA-Präsident räumte ein, dass die Automobilindustrie bereits durch die Diesel-Affäre erheblich an Vertrauen verloren habe. "Es wiederzugewinnen, ist alles andere als leicht." Aus dieser Affäre könne die Branche lernen, "dass ein Surfen in rechtlichen Grauzonen von niemandem akzeptiert werden darf". Um die Probleme beim Diesel zu lösen, der zuletzt im Marktanteil bei den Verkäufen verloren habe, müssten die Hersteller für eine deutliche Reduzierung der Stickoxid-Emissionen sorgen. Und die Politik könnte dann zur mehr Klarheit im Sinne der Verbraucher beitragen, indem sie im Gegenzug auf Fahrverbote in Städten verzichte. Über diese Thema soll bei einem Spitzentreffen von Politik und Herstellern Anfang August gesprochen werden.
Der Autoexperte Stefan Bratzel meint dagegen, die deutsche Politik dürfe insgesamt künftig keine falsch verstandene Rücksicht mehr auf die Automobilindustrie nehmen. Ferdinand Dudenhöffer hält den Kartellverdacht für eine bedrohliche Entwicklung. Falls etwa vereinbart werde, das Verhalten bei Grenzwerten zu Umweltauflagen abzustimmen, wäre das für die deutsche Autoindustrie, "aber auch für die Politik in Berlin und in Brüssel der Super-GAU, ein Erdrutsch", so der Professor der Universität Duisburg-Essen.
cw/stu (rtr, ard.de, sueddeutsche.de)