Ermittler wider Willen
5. Februar 2015Auch wenn es derzeit nicht viele gut bezahlte Jobs in Argentinien gibt: Um den von Alberto Nisman hatte sich wohl niemand beworben. Im Gegenteil. Drei Richter hatte das zuständige Bundesgericht berufen, um die Nachfolge des unter rätselhaften Umständen ums Leben gekommenen Staatsanwalts anzutreten. Alle drei hatten die Aufgabe abgelehnt. Darunter war auch Daniel Rafecas, den es am Ende dann doch traf.
Der "Fall Nisman" hält Argentinien seit mehr als zwei Wochen in Atem. Der 51-Jährige war Mitte Januar mit einem Kopfschuss tot in seiner Wohnung in Buenos Aires aufgefunden worden. Die Ermittlungen konnten bislang nicht klären, ob es sich um Suizid oder um Mord handelte.
Nisman war seit Jahren damit beauftragt, die Hintergründe des Attentats auf die jüdische Gemeinde AMIA 1994 in Buenos Aires aufzuklären, bei dem 85 Menschen getötet und mehrere hundert verletzt worden waren. In seinen Ermittlungen hatte er offenbar Beweise gefunden, dass Staatspräsidentin Cristina Kirchner und Außenminister Héctor Timerman die mutmaßlichen Attentäter aus dem Iran schützen wollten, um die Wirtschaftsbeziehungen zu dem islamischen Staat nicht zu beeinträchtigen.
Los entscheidet für Rafecas
Am Mittwoch (04.02.2015) ließ das Gericht das Los entscheiden, welcher der drei Richter den Fall übernehmen muss. Und es fiel auf den promovierten Strafrechtler und Holocaust-Experten Rafecas.
Angst vor großen Namen dürfte der 46-Jährige nicht haben. Bereits 2004 trat er als Ermittler und Richter in einem der größten Verfahren gegen Verbrecher der argentinischen Militärdiktatur (1976 bis 1983) öffentlich in Erscheinung.
Später ermittelte er in einer Spionage-Affäre gegen den Flottenadmiral Jorge Godoy und gegen Ex-Präsident Fernando de la Rúa wegen Untreue. Zuletzt war er Richter in einer andauernden Korruptionsaffäre um den aktuellen Parlamentspräsidenten Amado Boudou.
"Rafecas hat schon mehrfach Mut bewiesen. Er dürfte also die Fallstricke kennen, die in der argentinischen Justiz und einer polarisierten Öffentlichkeit ausliegen, wenn man gegen die Regierung ermittelt", sagt der Historiker Alexander Hasgall.
Interesse an der Wahrheit
Doch es ist nicht nur seine Vergangenheit als hoher Justizbeamter, die ihn für die Rolle als Ermittler des AMIA-Falles prädestiniert. Rafecas soll enge Kontakte zur jüdischen Gemeinde in Argentinien pflegen. Obwohl er keine jüdischen Wurzeln hat, setzte er sich intensiv mit der Geschichte des Holocaust auseinander und veröffentlichte 2002 das Sachbuch "Historia de la Solución Final" (Die Geschichte der Endlösung).
"Das ist durchaus ungewöhnlich für einen lateinamerikanischen Nicht-Juden", bemerkt Hasgall, "insofern kann man ihm ein ehrliches Interesse an der Wahrheit unterstellen". Und das, sagt Hasgall, der unter anderem die argentinische Justizgeschichte erforscht, sei keine Selbstverständlichkeit: "Justiz und Politik sind in Argentinien traditionell sehr eng verwoben. Urteile sind und werden oft von allen Seiten politisiert."
Entsprechend groß ist das Misstrauen der Argentinier gegenüber ihrer Justiz. Rafecas, sagt der Historiker Hasgall, habe die Chance, das Vertrauen in die Justiz nachhaltig zu verbessern, wenn er zeigen kann, dass er sich von keiner Seite vereinnahmen lässt.
Alle Augen auf Rafecas
Dass Rafecas die Aufgabe dennoch zunächst ablehnte, wundert Hasgall nicht: "Es ist die glühend heiße Kartoffel, die derzeit niemand anfassen will."
Schließlich geht es nicht mehr nur darum, das Attentat von 1994 aufzuklären: Rafecas muss herausfinden, ob genug Beweise vorliegen, um der amtierenden Präsidentin und ihrem Außenminister eine Straftat im Amt nachzuweisen. Verwickelt in den Fall sind außerdem hohe und mächtige Geheimdienstbeamte. Und irgendjemand könnte den Mann ermordet haben, der möglicherweise im Begriff war, all das aufzudecken.
Einen noch schwierigeren Job als Rafecas hat derzeit vielleicht nur seine Kollegin Viviana Fein. Sie muss nämlich den Tod von Nisman aufklären.