Argentinien resigniert
4. Februar 2015Es sind Possen wie diese, die bei vielen Argentiniern mittlerweile nur noch ein müdes Kopfschütteln hervorrufen: Am 1. Februar berichtete die argentinische Tageszeitung "Clarín", der ums Leben gekommene Staatsanwalt Alberto Nisman habe Haftbefehl gegen Staatspräsidentin Cristina Fernández de Kirchner beantragen wollen.
Einen Tag später stellte sich der argentinische Kabinettschef vor die Medien, zerriß den Bericht demonstrativ vor der Kamera und bezeichnete ihn als Müll. Am 3. Februar veröffentlichte "Clarín" die Dokumente. Kurz darauf ließ die ermittelnde Staatsanwältin verlauten, sie habe doch einen Haftbefehl in Nismans Wohnung gefunden. Im Abfall des Verstorbenen.
"Die Menschen sind nicht einmal mehr überrascht, wenn sie solche Geschichten hören", sagt Kristin Wesemann, Leiterin des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Argentinien. Es ist ein dubioses Verwirrspiel, das derzeit in Argentinien stattfindet.
Seinen Anfang nahm es mit dem Tod des Staatsanwaltes Alberto Nisman einen Tag, bevor er eine Aussage machen wollte, die die Präsidentin zutiefst belastet hätte. Mit einer Kugel im Kopf wurde der 51-jährige Familienvater in seinem Haus gefunden - einen Abschiedsbrief gab es nicht.
Ein Selbstmord wurde schnell von vielen Seiten angezweifelt. Nisman hatte seit 2005 die Ermittlungen zum Bombenanschlag auf die jüdische Gemeinde Amia in Buenos Aires 1994 geleitet, bei dem 85 Menschen ums Leben kamen und rund 300 verletzt wurden. Er hatte Präsidentin Kirchner beschuldigt, die Ermittlungen zu behindern.
Angeblich soll der Iran den Anschlag verübt haben. Kirchner soll einen Handel vereinbart haben: Keine Verurteilungen gegen engere wirtschaftliche Beziehungen. Nach Nismans Tod wurde die Vermutung laut, die argentinische Regierung hätte ihn umbringen lassen, um weitere Ermittlungen in diese Richtung zu verhindern.
Trotzdem hieß es von Seiten der Behörden weiter: "Keine Hinweise auf Fremdeinwirkung", Selbstmord. Nachdem die Bevölkerung protestierte, dann die 180-Grad-Wende der Präsidentin: Doch kein Suizid, Nisman sei benutzt worden und Opfer eines Komplotts des Geheimdienstes gegen die Regierung. "Die wahre Operation gegen die Regierung war der Tod des Staatsanwalts."
Geringes Vertrauen in Regierung
Wem noch glauben? Umfragen verschiedener Meinungsinstitute in Argentinien zeigen, dass das Vertrauen der Argentinier in ihre Führung tief erschüttert ist. Rund ein Fünftel der Befragten denkt, dass die Regierung direkt für den Tod Nismans verantwortlich ist, circa fünf Prozent vermuten gar Kirchner persönlich sei daran beteiligt gewesen. Nur ein Zehntel glaubt, dass der Fall - sofern es kein Selbstmord gewesen ist - je aufgeklärt wird oder die Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden.
Mittlerweile überwiegen Häme und Zynismus die Debatte unter den Argentiniern - vor allem in den sozialen Medien. In der Schusslinie der Kritiker stehen dabei vorrangig Präsidentin Kirchner und ihr Kabinettschef Capitanich. Sie werden von zahlreichen Nutzern in den sozialen Medien direkt angegriffen.
Staatsoberhaupt Cristina Kirchner befeuert das und begibt sich auf ein ähnliches Niveau wie viele ihrer Kritiker: "Sorry. Wisst ihr was? Das Ganze ist so übertrieben lächerlich und absurd, dass man dem nur noch mit Humor entgegen kann", schreibt sie am Mittwoch - anscheinend höchst persönlich - bei Twitter.
"Der Ton, in dem die Präsidentin über Twitter und Facebook kommuniziert, ist wirklich sehr gewöhnungsbedürftig", sagt KAS-Büroleiterin Kristin Wesemann. Doch Kirchner und ihre Anhänger wähnen sich im Recht. Sie sehen sich einem Komplott ausgesetzt, zu dem vor allem die "Oppositionsmedien" einen großen Teil beitrügen. Vor allem die größte Tageszeitung Argentiniens, "Clarín", steht unter Beschuss der Regierungstreuen.
Polarisierte Gesellschaft
"In Argentinien gibt es keine Grautöne, man sieht nur schwarz oder weiß", sagt Stephan Ruderer, der an der Universität Münster zu politischer Korruption in der Geschichte Argentiniens forscht. Die Gesellschaft sei stark gespalten: "Die aktuellen Ereignisse werden wohl dazu führen, dass sich viele Argentinier noch mehr von der Politik abwenden und das Misstrauen weiter ansteigt."
Staatschefin Kirchner bekommt dies bereits zu spüren. Ihre Zustimmungswerte sinken zurzeit rapide, mittlerweile liegen sie nur noch bei rund 25 Prozent. Ein großer Verlust: Bei ihrer Wiederwahl vor vier Jahren lagen sie noch bei fast 60 Prozent.
Doch die Menschen in Argentinien plagten noch ganz andere Probleme, betont Kristin Wesemann: Die Inflation schreitet weiter voran, die Preise für Lebensmittel steigen kontinuierlich, teilweise sind die Supermarktregale komplett leer. Es besteht wenig Aussicht auf baldige Besserung.
Ein Hoffnungsschimmer für viele ist die im Oktober anstehende Präsidentenwahl. Der Fall Nismann scheint das Ende der Ära Kirchner zu sein. Denn zumindest in einem Punkt sind sich die Argentinier einig: Es muss sich etwas ändern.