Erdoğans Wirtschaftsoffensive in Serbien
9. Oktober 2017Dunkelblau und kariert ist es, das Sakko, das den beiden starken Männern im April das Glück gebracht hat (siehe Artikelbild). So angezogen gab Aleksandar Vučić seine Stimme bei den Präsidentschaftswahlen in Serbien, die er gleich in der ersten Runde gewann. Im ähnlichen Outfit zeigte sich der türkische Amtskollege Recep Tayyip Erdoğan im Wahllokal, als er die Einführung des präsidialen Systems durch das Referendum peitschte. Es ist ein symbolisches Stück Kleidung, dass die Mächtigen modern und leger aussehen lässt. Die serbische Twitter-Community hat dafür auch schon einen Namen kreiert: Diktatoren-Sakko.
Es ist mehr als eine Frage des Stils, was Erdoğan und Vučić verbindet. Obwohl sie schon aufgrund der Größe ihrer Länder in verschiedenen Klassen spielen, pflegen die beiden eine Vorliebe zur absoluten Macht. Inklusive Gängelung der Opposition und der kritischen Medien. Dabei inszenieren sie sich gerne als Heilsbringer, die unermüdlich fürs Volk arbeiten um neue Jobs und Wachstum zu schaffen.
Genau darum wird es am Dienstag (10. Oktober) gehen, wenn Erdoğan mit einer Delegation von 150 Wirtschaftsbossen im Schlepptau in Belgrad eintrifft. Mit einer Schar von Investoren zu reisen ist für Erdogan nicht unüblich. Für die serbische Regierung ist das aber ein Event, mit dem man bei der Bevölkerung punkten möchte. Die Botschaft: das Geld kommt in Unmengen.
...und alle sind zufrieden
Die Wirtschaftsraison der türkischen Regierung lässt sich ganz einfach in Einklang mit der serbischen bringen, sagen die Ökonomen. Das magische Wort in Ankara heißt Export. Nur wenn die Ausfuhr weiterhin zulegt, kann man den jüngst versprochene Zuwachs von 5,5 Prozent jährlich erreichen. Der Westbalkan bietet dabei den türkischen Investoren ausreichend billige Arbeitskräfte und einen erleichterten Zugang zum EU-Markt. "Der EU-Beitrittsprozess der Türkei ist praktisch tot. Es ist daher ein entscheidender Vorteil, wenn die türkischen Unternehmen in Ländern produzieren, die an der EU näher dran oder sogar Mitglieder sind", meint der Istanbuler Ökonom und politische Kommentator Atilla Yeşilada.
Vučić hingegen setzt auf frisches Geld und neue Jobs - er ist sogar bereit, den ausländischen Investoren rund 10.000 Euro Subventionen pro Arbeitsplatz zu bezahlen. Der serbische Alleinherrscher kündigt immer wieder an, man werde die europäische Nummer 1 im Wachstum sein. Doch sind die Zahlen bisher für ihn vernichtend. In den letzten drei Jahren war das Land mit 1,6 Prozent Wachstum das Schlusslicht der Region (Montenegro 7,7; Kosovo 9,1; Mazedonien 10,2). Das Durchschnittsgehalt gehört mit weniger als 400 Euro zu den niedrigsten in Europa.
Allerdings wird das türkische Geld vor allem in die sogenannten Industrien mit geringem Mehrwert fließen, dort also wo eher einfache Arbeitskräfte gebraucht werden und nicht so sehr Innovationen, sagt Yeşilada. Schon jetzt produzieren mehr als 1.000 Arbeiter in Serbien billige Jeans für türkische Firmen, und diese Zahl soll laut serbischer Regierung auf 3.000 steigen. Darüber hinaus wird in der serbischen Öffentlichkeit auch über das türkische Interesse an der Holzindustrie und der Milchproduktion gemunkelt. Das wäre dann von Vorteil für beide Seiten: "In solchen Branchen kann man in Balkanländern sofort einen Schwung erreichen und sie gleichzeitig zur Exportbasis der türkischen Wirtschaft machen", sagte Yeşilada der DW.
Neo-osmanische Träume
"Business-Invasion: die Türken erobern Serbien wieder", titelte das Boulevardblatt "Blic" noch im letzten Jahr in der Anspielung auf die jahrhundertelange Herrschaft des Osmanischen Reiches über Serbien. Die Schlagzeile war diesmal positiv gemeint. Biljana Stepanović würde lieber etwas realistischer sein, denn bisher seien die türkischen Investitionen in der Region eher überschaubar gewesen, so die Chefredakteurin des Belgrader Wirtschaftsmagazins "Nova ekonomija".
Die Ausfuhr in sechs Westbalkanländer, die sich im EU-Warteraum befinden (Serbien, Albanien, Bosnien/Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro) mit insgesamt rund 20 Millionen Einwohner, beläuft sich unter zwei Milliarden US-Dollar im Jahr. Mehr Produkte verkaufen türkische Produzenten in Aserbaidschan oder Israel, die beide weniger als zehn Millionen Einwohner haben. Daher, so Stepanović, müsse man erst mal abwarten, um zu sehen, wie ernst es die Türken meinen.
Viele Beobachter vermuten allerdings, dass die Türkei auf dem Balkan mehr als nur Wirtschaft im Sinne hat. So werden schon jetzt, vor allem in mehrheitlich muslimischen Ländern wie Bosnien/Herzegowina oder Albanien - Moscheen, Schulen und humanitäre Organisationen finanziert. "Wir haben auch mit dem Neo-Osmanismus zu tun. Die Türken leben mit der Illusion, dass die früheren Kolonien mit gestreckten Armen auf sie warteten", sagt Atilla Yeşilada. Das sei zwar nicht der Fall, dennoch hätte die Türkei gute Gründe, um in dieser Region auch politisch interessiert zu sein. Einerseits brauche man Stabilität in diesem Teil der Nachbarschaft. Andererseits aber, so Atilla Yeşilada, glaube die AKP-Regierung, dass die EU mittelfristig eher Rivale als Partner werde. Was sie persönlich für falsch hält. "Da kann der Balkan ein Spielfeld sein", so Yeşilada.