Coronavirus lähmt ERASMUS
5. April 2020Alberto Spatola hat 2015 Ljubljana als Ziel für sein ERASMUS-Semester auserkoren. Fünf Monate in der Hauptstadt Sloweniens, die sein Leben veränderten, wie er sagt. Nicht nur, weil er Freundschaften mit Menschen aus aller Welt schloss. Nicht nur, weil er lernte, dass viele Dinge, aus einer globalen Perspektive betrachtet, in einem anderen Licht dastehen, sondern auch, weil sein Großvater im Zweiten Weltkrieg dort stationiert war. "Es war beeindruckend zu sehen, wie sich die Lage in zwei Generationen verändern kann, verbessern", erzählt Spatola.
Eine Geschichte, die kaum besser beschreiben kann, was das ERASMUS-Programm der Europäischen Union ausmacht. Seit 1987 sind laut Informationen der EU-Kommission mehr als zehn Millionen junge Europäer in andere Länder des Kontinents gereist, um dort für mehrere Monate oder ein Jahr zu studieren, später kamen auch Praktika, Freiwilligendienste und andere Austauschprogramme hinzu. 2018 verbrachten 853.000 junge Menschen so einige Zeit im Ausland.
Doch wie alle anderen Bereiche des Lebens trifft die COVID-19-Pandemie auch das ERASMUS-Programm hart. Alberto Spatola, 28, wollte eigentlich Anfang März nach Brüssel aufbrechen, um dort ein von der EU gefördertes Praktikum beim Erasmus Student Network (ESN) zu beginnen und Französisch zu lernen. Stattdessen sitzt er jetzt in seiner italienischen Heimat Genua fest und telefoniert über Skype.
Er hat Glück, weil er trotzdem Geld bekommt und einen Teil der Arbeit auch gut digital erledigen kann. Was aber europäischen Austausch ausmacht, das persönliche Gespräch, das Feierabendbier, der Ausflug am Wochenende, all diese Erfahrungen fallen für Alberto Spatola weg.
Die Stimmung? "Eigentlich ziemlich gut"
Für die Österreicherin Anna Pretzl, 22, sieht die Lage ähnlich aus. Und dies, obwohl sie beschlossen hat, ihr Erasmus-Jahr im südschwedischen Växjö nicht abzubrechen. Die Regeln in Schweden sind zwar laxer als in anderen Ländern Europas, es gibt zum Beispiel keine Ausgangssperren- oder Beschränkungen. Trotzdem: Große Studentenpartys oder Kochabende fänden nicht mehr statt, sagt Pretzl. Und die Stimmung? "Eigentlich ziemlich gut." Die Studierenden versuchten so viel wie möglich online zu machen, Spieleabende, natürlich Netflix schauen oder mal draußen spazieren gehen.
Kostis Giannidis, der Präsident des Erasmus Student Network (ESN), erzählt über Skype, eine vom ESN gestartete Umfrage zeige, dass 36 Prozent der Erasmus-Studenten in ihr Heimatland zurückgekehrt seien. Viele andere würden online weiterstudieren, manche Unis böten aber keine digitalen Kurse an. Ein Problem für Studierende, die jetzt verunsichert seien, ob sie überhaupt alle erforderlichen Leistungen erbringen könnten, so Giannidis.
Die EU-Kommission versucht auf ihrer Webseite, solche Fragen zu beantworten und bittet, Hochschulen und Unis, "so flexibel und pragmatisch wie möglich" zu sein. In vielen Fällen dürfen Studierende Erasmus-Fördergelder behalten. Wer wegen der Coronavirus-Krise seinen Aufenthalt abbrechen musste, kann außerdem beantragen, die Reisekosten erstattet zu bekommen.
Am Anfang sei ein bisschen Chaos ausgebrochen, sagt ESN-Präsident Kostis Giannidis. "Die Studenten wurden gebeten, nach Hause zurückzukehren und gleichzeitig schlossen die Aufnahmeländer ihre Grenzen".
Sabine Verheyen, EU-Abgeordnete der deutschen Konservativen (CDU), sagt, es sei ihre "höchste Priorität" zusammen mit der EU-Kommission daran zu arbeiten, dass junge Europäer nach Hause zurückkehren könnten oder in Sicherheit seien, wo auch immer sie sich aufhielten.
Mobilität in Gefahr?
Wie es mit ERASMUS weitergeht, ist genauso unklar wie so vieles in diesen Tagen. Als Vorsitzende des Kultur- und Bildungsausschusses im EU -Parlament setzt sich Verheyen dafür ein, dass das Programm - trotz der Krise - im neuen EU-Budget (2021-2027) doppelt oder sogar dreimal so viel Geld erhält. Diese Mittel seien laut Verheyen nötig, um das Spektrum auszuweiten, das Programm inklusiver zu machen, etwa auch Angebote für Menschen mit Behinderungen zu schaffen.
Ob junge Europäer für die nächsten Monate geplante Studien-Austauschprogramme, Freiwilligendienste oder Praktika antreten können, hängt damit zusammen, wie schnell Länder überall auf der Welt die COVID-19-Pandemie in den Griff bekommen. "Wir müssen so schnell wie möglich zu internationaler Mobilität zurückkehren", sagt Verheyen.
Alberto Spatola hofft, dass er trotz allem noch für sein Praktikum nach Brüssel reisen kann. "Ich habe ein bisschen Angst", sagt er, "dass die Coronavirus-Krise dazu führt, dass Mobilität nicht mehr als essentiell gesehen wird, sondern als ein Luxus, den wir uns nicht mehr leisten wollen". Gerade in Zeiten von wachsendem Nationalismus - in seinem Heimatland Italien im Speziellen - müssten wir mehr Geld investieren, damit junge Menschen, Erfahrungen wie ERASMUS machen könnten.