Deutsche Austauschstudenten in Istanbul
11. Dezember 2017Die politischen Spannungen zwischen der Türkei und Deutschland haben einen Einfluss auf die gesellschaftlichen Beziehungen. Studenten, die mit dem Austauschprogramm Erasmus in die Türkei kommen, sind ebenfalls davon betroffen. Einige von ihnen haben sich in letzter Sekunde umentschieden und sind in Deutschland geblieben. Andere sind zwar gekommen, haben sich vor ihrer Reise jedoch unterschiedliche Reaktionen anhören müssen.
"Mir wurde gesagt, ich könnte im Knast landen"
Verena ist 23 Jahre alt. In Deutschland studiert sie soziale Arbeit und Erziehung an der Goethe-Universität Frankfurt. Ein Erasmus-Aufenthalt ist in ihrem Studiengang obligatorisch. Also macht Verena seit September ihr Auslandssemester an der Istanbuler Aydin-Universität. Zwar soll ihr Auslandssemester im Januar 2018 enden, die junge Frau möchte aber gerne länger bleiben, da ihr Istanbul sehr gut gefällt. Den Antrag zur Verlängerung hat sie bereits gestellt. "Ich mag keine großen Menschenmengen, aber das Leben in Istanbul ist einfach schön", sagt Verena.
Die deutsche Studentin hätte auch in die Niederlande, nach Spanien oder in die Schweiz gehen können, sie hat sich dann aber für die Türkei entschieden, obwohl sie noch nie zuvor dort gewesen war. Der Grund sei Neugier gewesen. Doch die Reaktionen ihrer Familie sowie aus dem Bekanntenkreis seien nicht ermutigend gewesen. "Meine Bekannten, die von meiner Reise nach Istanbul hörten, fragten mich: "Bist du dumm? Weißt du denn nicht, wie gefährlich das ist? Du könntest im Knast landen. Sogar am Frankfurter Flughafen sagte mir einer vom Bodenpersonal sowas wie "Sei nicht dumm, und flieg nicht in die Türkei."
Doch die Reaktionen hätten sie noch neugieriger gemacht. Ein ehemaliger Erasmus-Student, der schon einmal in Istanbul war, soll ihr gesagt haben, die Stadt sei sehr schön und sie müsse unbedingt dahin. In Istanbul verbringt die Deutsche ihre Zeit meistens mit anderen ausländischen Studenten und ist mit ihrem Leben sehr zufrieden. Sie erlebte bisher zwar keine Probleme, müsse sich aber manchmal seltsame Kommentare anhören. "Während eines Gesprächs sagte einer, dass er Angela Merkel nicht mag. Und ich antwortete daraufhin: 'Ich bin ja auch nicht Angela Merkel.' "
"Es ist keine Lösung, sich vom Land zu entfernen"
Auch Malte verbringt sein Auslandssemester in Istanbul, in seinem Fall an der Bogazici-Universität. In Deutschland studiert der 25-Jährige Wirtschaftswissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität. Er bedauert, nur ein Semester in Istanbul bleiben zu können. Für Malte ist es eine aufregende und interessante Stadt, und das sei der Grund, warum er gekommen sei. Er mag das liberale Klima in Bogazici.
Als er letztes Jahr seine Zusage erhalten hat, habe er Bedenken gehabt, nach Istanbul zu gehen. Besonders seine Familie habe sich große Sorgen gemacht, aber schließlich seine Entscheidung akzeptieren müssen. "Klar ist es nicht ermutigend zu sehen, dass hier Journalisten verhaftet werden, aber sich von einem Land ganz zu entfernen und es zu isolieren ist auch keine Lösung."
Malte gehört zu den rund hundert Erasmus-Studenten an der Bogazici-Universität. Noch vor vier Jahren habe es 800 gegeben, erzählt der deutsche Student und fügt hinzu: "Ein Drittel von ihnen sind Deutsche. Die größte Gruppe unter ihnen sind Deutsch-Türken."
"Die Krise zwischen den beiden Ländern wird nicht größer"
Der 23-jährige Pascal ist für ein Semester von Heidelberg nach Istanbul zur Bilgi-Universität gekommen. Als er sich vorstellt, sagt er lächelnd: "Wie Pascal Nouma, der ehemalige Fußballspieler von Besiktas." Er studiert Politik- und Wirtschaftswissenschaften.
Die deutsche Berichterstattung über die Türkei habe ihm nicht ausgereicht, um nachvollziehen zu können, was im Land wirklich passiert sei. Er sei nach Istanbul gekommen, um sich selbst ein Bild vom Land zu machen. Seine Familie, allen voran sein Vater, habe sich jedoch große Sorgen gemacht. "Mein Vater hat mir immer wieder gesagt: 'Vertrau niemandem!' In seiner Vorstellung gibt es in der Türkei überall Polizisten, und es ist alles so wie in alten kommunistischen Ländern."
Als Pascal am Flughafen auf seinen Flieger nach Istanbul gewartet habe, sei ihm eine Schlagzeile in einer Zeitung aufgefallen: "Was ist in der Türkei los?". "Klar war das etwas störend", fügt er hinzu.
Istanbul habe seine Erwartungen übertroffen. Er habe sich eine Stadt voller depressiver Menschen vorgestellt. Seine Kommilitonen an der Universität hätten keine politischen Sorgen. Über die deutsch-türkischen Beziehungen sagt er: "Die Türkei hat alle Karten in der Hand, um aus dieser Krise herauszukommen. Aber diese Krise wird nicht noch größer, da beide Länder voneinander abhängig sind."
"Mir wird es hier nicht langweilig"
Dominique ist 24. Genau wie Verena ist auch sie von Frankfurt als Erasmus-Studentin an die Istanbuler Aydin-Universität gekommen. Die Türkei stand nicht auf Platz eins ihrer Wunschliste, gibt sie zu. Im nachhinein sei sie aber sehr glücklich, in der Türkei zu sein. "Ich war sehr gespannt auf die Stadt. Vor zehn Jahren war ich schonmal hier. Und das einzige, was ich noch in Erinnerung habe, ist, dass es eine sehr volle und laute Stadt war. Damals gab es die Metro-Verbindungen noch nicht, deshalb war das Reisen nicht so einfach."
Dominique sagt, die Lebendigkeit der Stadt gefalle ihr besonders gut und ihr werde nie langweilig. Im Gegensatz zu anderen haben ihre Eltern eine ganz andere Sorge gehabt: "Meine Eltern hatten Angst vor dem Erdbeben."
Die junge Frau macht darauf aufmerksam, dass trotz der Krise immer noch viele Deutsche in die Türkei kommen. Als deutsche Studentin habe sie in Istanbul keine Probleme gehabt, obwohl nicht alle Deutschland-Fans sind. "Wir sind mal mit der Fähre auf eine Insel gefahren. Der Kapitän hat uns auf einen Tee eingeladen und fragte dann, woher wir kommen. Als wir sagten, dass wir Deutsche sind, zog er ein langes Gesicht, war aber trotzdem freundlich."