50 Jahre "Beitrag zum Fortschritt"
12. Juli 2019Erwin Wilde von Wildemann wollte nicht zur Bundeswehr. Seinen Abschluss als Agraringenieur hatte er im Jahr 1975 frisch in der Tasche, da tat sich eine Tür auf. "Die Entwicklungshilfe", sagt von Wildemann der DW, "war für mich erst einmal die Möglichkeit, den Wehrdienst zu umgehen".
Als jungem Mann von 27 Jahren bot ihm das erst einige Jahre zuvor erlassene Entwicklungshelfer-Gesetz (EhfG) einen Ausweg. Wer ins Ausland ging, um Entwicklungshilfe zu leisten, konnte nicht zum damals verpflichtenden Wehrdienst herangezogen werden. Der junge Agraringenieur machte sich auf den Weg nach Kamerun. "Deshalb bin ich diesem Gesetz sehr dankbar", sagt Erwin Wilde von Wildemann.
Lust auf Landleben
Vor 50 Jahren, im Sommer 1969, hatte der Bundestag das Gesetz verabschiedet. Und damit die Arbeit von Entwicklungshelfern erleichtert. Als Brunnenbohrer, Lehrer oder Agrar-Experten waren sie schon damals in zahlreichen Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas im Einsatz. Nun waren sie auch mit Kranken- und Rentenversicherung sozial abgesichert. Und mussten keinen Wehrdienst mehr leisten. Ihr Auftrag laut Gesetz: in den Ländern des Südens "in partnerschaftlicher Zusammenarbeit zum Fortschritt beizutragen".
Erwin Wilde von Wildemann landete im Dorf Bantoum im Westen Kameruns. "Es ging darum, ländliche Entwicklung zu fördern, Landflucht zu bekämpfen", erzählt er. "Das war damals schon ein großes Thema und wir hatten den Auftrag, das Landleben attraktiver zu machen." Das versuchte von Wildemann mit neuen Anbaumethoden für die Bauern. Aber auch mit Sport und Spiel für jüngere Dorfbewohner.
Es werden weniger
Etwa 30.000 Deutsche haben es von Wildemann seit 1969 gleichgetan. Und zwar "ohne Erwerbsabsicht", wie das Gesetz vorschreibt, also ohne Gehalt, sondern nur mit Geld, das den Unterhalt sichert. Sie erhalten zwar zusätzlich Zuschläge. Die Entwicklungshelfer verdienen aber deutlich weniger als andere Entsandte von Entwicklungsorganisationen.
Entwicklungshelfer können in Deutschland nur von sieben anerkannten Organisationen ins Ausland geschickt werden: der staatlichen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), sowie kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Trägern. Mittlerweile gehen nur gut 1000 Menschen jährlich diesen Weg, 50 Prozent weniger als noch vor zehn Jahren. "Die Zahlen sind vor allem im Bereich der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit zurückgegangen", sagt Ottmar von Holtz. Er ist Obmann der Grünen im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit im Bundestag. "Die Bundesregierung hat auf eine kleine Anfrage meiner Fraktion nicht erläutert, warum die Zahlen rückläufig sind."
Kommerz und Idealismus
Das Geschäft der Entwicklungszusammenarbeit hat sich stark gewandelt, so der zuständige Minister Gerd Müller von der CSU. "Vor 50 Jahren waren vor allem medizinische, handwerkliche, technische und pädagogische Qualifikationen gefragt", schreibt Müller in einer Festschrift des Dachverbands "Arbeitsgemeinschaft der Entwicklungsdienste". Heute gehe es eher um Fachkenntnisse in Klimaschutz, Trauma-Pädagogik oder Digitalisierung.
Der ehemalige Entwicklungshelfer von Wildemann meint, dass die Entwicklungszusammenarbeit in den vergangenen Jahren zum Geschäft geworden ist, sich kommerzialisiert hat. "Es gehört zum Konzept, dass man auch mit der Wirtschaft zusammenarbeitet. Das war zu unserer Zeit so nicht denkbar." Es gehe stets um viel Geld und um Materialeinsatz. "Von den aus Deutschland entsandten Menschen sitzen die meisten in gut klimatisierten Büros in Metropolen mit ihrem Internetanschluss. Sie hoffen, dass das, was sie an guten Erkenntnissen und Material mitbringen, von anderen aufgenommen, weitergegeben und sinnvoll eingesetzt wird."
Auch mal andersrum
Ja, die Entwicklungshilfe habe sich in den vergangenen Jahren professionalisiert, meint auch Grünen-Politiker von Holtz. Das Entwicklungshelfer-Gesetz sei zwar nach wie vor ein gutes Gesetz. "Wir müssen aber in Zukunft viel mehr darauf schauen, einen besseren Austausch hinzubekommen: einen Austausch zwischen Deutschland und den Entwicklungsländern, einen besseren Süd-Nord-Austausch und vielleicht auch einen Austausch zwischen den Ländern des Südens untereinander." Er will, dass nicht nur Deutsche in Entwicklungsländer ausreisen, sondern auch mehr Fachkräfte von dort nach Deutschland kommen. "Es zeigt sich immer wieder, dass die Vergabepraxis von Visa dabei ein großes Hindernis ist. Das muss die Bundesregierung lösen. Es gibt Leute, die kommen, aber es könnten mehr sein." Von Holtz hofft, dass dadurch die Zahl der Entwicklungshelfer insgesamt wieder steigen könnte.
Für den ehemaligen Entwicklungshelfer von Wildemann wurde aus dem anfänglichen Ausweg Kamerun eine Berufung. "Ich habe sehr schnell gemerkt, dass es eine sinnvolle und lohnende Aufgabe sein kann, in der Entwicklungszusammenarbeit weiterzumachen", sagt er. An diesem Freitag ist von Wildemann nach Berlin gereist. Gemeinsam mit weiteren ehemaligen Entwicklungshelfern und Bundeskanzlerin Angela Merkel wird er zurückschauen auf 50 Jahre Entwicklungshelfer-Gesetz. Für von Wildemann ist es auch eine Rückschau auf sein Berufsleben. Was als Alternative zum Wehrdienst begann, endete für ihn mit einer ganzen Laufbahn in der Entwicklungszusammenarbeit.