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Entschuldigung für Völkermord bleibt aus

Birgit Morgenrath8. Oktober 2015

Mit Spannung hatten Herero und Nama Bundestagspräsident Lammert in Namibia erwartet. Seit 25 Jahren fordern sie eine Entschuldigung und Entschädigung für den Genozid, den Deutsche an ihren Vorfahren begangen haben.

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Gedenken an den Völkermord an den Herero durch die deutsche Kolonialmacht, 04.10.2015 (Foto: picture alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/J. Bätz

Dieses Mal brachte er das V-Wort nur als Privatperson über die Lippen. Bundestagspräsident Norbert Lammert hat sich am Donnerstag, einen Tag vor dem Ende seines Namibia-Besuches zwar persönlich für den von Deutschen begangenen Völkermord an den Herero und Nama entschuldigt. Aber seine "historischen" Worte vom Juli hat er nicht wiederholt.

"Historisch" nennt Kwesi Aikins, Kolonialismus-Experte von der Universität Kassel, das, was Lammert damals als erster deutscher Spitzenpolitiker in der Wochenzeitung "Die Zeit" geschrieben hatte: "An den heutigen Maßstäben des Völkerrechts gemessen war die Niederschlagung des Herero-Aufstandes ein Völkermord." Der Krieg der Deutschen sei ein "Rassekrieg" gewesen.

"Nicht nur den Kampfhandlungen", so Lammert in dem Wochenblatt weiter, "sondern auch Krankheiten und dem gezielten Morden durch Verdursten- und Verhungernlassen fielen Zehntausende Herero und Nama zum Opfer, andere starben in Konzentrationslagern oder bei der Zwangsarbeit." Im Kolonialkrieg 1904 bis 1908 hatte die deutsche "Schutztruppe" im damaligen Deutsch-Südwestafrika mindestens 65.000 einheimische Herero und 10.000 Nama ermordet. Historiker sehen darin den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts.

Kriegsgefangene Herero im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika, heute Namibia (Foto: Bundesarchiv)
Kriegsgefangene Herero im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika, heute NamibiaBild: Bundesarchiv, Bild 146-2003-0005/Unknown/CC-BY-SA 3.0

Vorausgegangen war, dass Norbert Lammert sich zu einem anderen historischen Verbrechen klar positioniert hatte: Ende April hatte er anlässlich der Vertreibung und Vernichtung der Armenier vor hundert Jahren im Osmanischen Reich von einem "Völkermord" gesprochen. Bundespräsident Joachim Gauck hatte sich angeschlossen. Das hatte auch in die Debatte über das Verhalten der Deutschen in Namibia Bewegung gebracht. Denn eine Entschuldigung der Bundesregierung lässt weiter auf sich warten, von offizieller Anerkennung oder gar Reparationen ganz zu schweigen.

Auf die lange Bank geschoben

Seit 2006 fordert die namibische Nationalversammlung Verhandlungen mit Deutschland. Die haben inzwischen begonnen und geben der Regierung in Berlin gute Vorwände, sich weiter bedeckt zu halten. "Dies ganze Politik ist nicht schlüssig", urteilt Reinhart Kößler, Direktor des Freiburger Arnold-Bergstraesser-Instituts. Bislang haben alle Bundesregierungen argumentiert, der Tatbestand des Völkermords sei erst 1948 von den Vereinten Nationen eingeführt worden und darum nicht auf die Ereignisse im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika anwendbar.

Kwesi Aikins sieht als Hauptgrund der harten deutschen Haltung, dass Reparationszahlungen nicht nur bares Geld bedeuten, sondern den Fall auch "international justiziabel" machen könnten. "Dann könnten die Herero- und Nama-Vertreter in New York Klage einreichen und hätten vielleicht bessere Erfolgschancen als bei früheren Versuchen." Der junge Wissenschaftler kritisiert auch ein weiteres Argument der Bundesregierung: Statt individuellen Schadensersatz zu leisten, verweise sie auf die 800 Millionen Euro Entwicklungshilfezahlungen seit 1990. "Das ist problematisch", meint Aikins. "Wenn die deutsche Politik ihre Verantwortung anerkennt, kann sie nicht einseitig bestimmen, wie diese Verantwortung gestaltet wird."

Übergabe der im deutsch-namibischen Kolonialkrieg verschleppten Schädel und Gebeine von Herero, Nama und Damara (Foto: Africavenir)
Zeremonie zur Übergabe der im Kolonialkrieg verschleppten Schädel und Gebeine EinheimischerBild: Africavenir/Christian Mahnke

Der Druck steigt

Die Opfer und ihre Nachkommen wollen das nicht länger hinnehmen. Bundestagspräsident Lammert kam zu einer Zeit, in der die Emotionen bei den Herero- und Nama-Gemeinschaften hochkochen. Vier Tage vor seiner Ankunft hatten sie in Otjinene an die Toten erinnert, dort wo der deutsche General Lothar von Trotha den sogenannten Vernichtungsbefehl gegeben hatte. Das Stammesoberhaupt der Herero, Paramount Chief Vekuii Rukoro, ein studierter Anwalt, kniete vor einem Massengrab nieder und sagte nach einem Moment der Stille für die Opfer: "Wir fordern von Deutschland eine Entschuldigung von höchster Stelle und auch Wiedergutmachung für den Schaden, der unserem Volk zugefügt wurde." Umringt von örtlichen Stammesführern warnte er, die Geduld seines Volkes sei aufgebraucht.

"Vielleicht stand Lammert deswegen unter Druck und ist mit seinen Äußerungen vorsichtiger geworden", vermutet Israel Kaunatjike. Der Herero lebt seit den 1970er Jahren in Berlin und arbeitet mit im Bündnis "Völkermord verjährt nicht". "Aber für uns gilt weiter sein Wort vom Juli", fügt er entschlossen hinzu. Auch Lammerts namibischer Kollege, der Parlamentssprecher und ehemalige Botschafter in Deutschland Prof. Peter Katjavivi, und Oppositionsführer McHenry Venaani hatten den deutschen Bundestagspräsidenten gedrängt, den Genozid als "brennendes Gesprächsthema" in einem "bedeutsamen Dialog" zu behandeln.

Israel Kaunatjike vom Bündnis "Völkermord verjährt nicht" (Foto: picture alliance/dpa)
Israel Kaunatjike, Bündnis "Völkermord verjährt nicht"Bild: picture-alliance/dpa

Herero und Nama hatten der Bundesregierung ein Ultimatum bis zum 2. Oktober gestellt, um einen Dialog nicht nur mit der namibischen Regierung, sondern auch mit den Opfergruppen aufzunehmen - es ist ohne Reaktion der deutschen Seite ausgelaufen.

Die Bundesregierung vertritt den Standpunkt, dass sie nur mit der namibischen Regierung und nicht direkt mit einer Volksgruppe verhandeln kann. Die Herero misstrauen jedoch ihrer Regierung in Windhuk, die seit 25 Jahren an der Macht ist und von den rivalisierenden Ovambo dominiert wird. Die namibische Regierung stehe vor zwei Problemen, erläutert Reinhart Kößler: Diplomatische Gespräche seien nun mal geheim und davon dringe nichts nach außen. "Und die Regierung muss die ganze Nation im Auge behalten und darf den nationalen Zusammenhalt nicht gefährden". Sie habe "panische Angst" vor zunehmendem Tribalismus. Auch Kößler denkt, dass "etwas passieren wird".

Denn am 14. Oktober tagen in Berlin die Bundestagsausschüsse für Entwicklungszusammenarbeit und Menschenrechte. Dort diskutieren die Abgeordneten über die Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke zu Deutschlands Verantwortung für den Genozid und Formen der Entschädigung. "Wir werden zusammen mit Hereros aus Namibia und den USA vor dem Parlamentsgebäude demonstrieren", sagt Israel Kaunatjike, "weil man uns nicht als Beobachter der Diskussion zugelassen hat."