Bürgerstrom aus Solar und Wind: kein Energy Sharing möglich?
16. Januar 2024Acht Hektar auf einer ehemaligen Mülldeponie und viereinhalb Hektar an Eisenbahngleisen: Auf ihren neu gepachteten Flächen will die Bürgerenergie Rhein-Sieg eG künftig große Solarparks bauen, um noch mehr grünen Strom zu erzeugen.
In der Genossenschaft haben sich mehr als 350 Menschen aus der Rhein-Sieg-Region im Westen Deutschlands zusammengeschlossen, um Anlagen für umweltfreundlichen Strom zu finanzieren.
Im ganzen Land gibt es fast 900 solcher Bürgerenergie-Gemeinschaften. Zum Vergleich: in allen 27 Staaten der Europäischen Union zusammen sind es derzeit insgesamt etwa 9000.
Bürgerenergie-Genossenschaften: vom gemeinsamen Investment in Erneuerbare profitieren
Mitglied wird man, indem man einen oder mehrere sogenannter Genossenschaftsanteile erwirbt; bei der Rhein-Sieg eG. kostet der momentan 250 Euro. Mitglieder können Geld in neue Anlagen investieren. Dafür bekommen sie Zinsen sowie zusätzlich einen Anteil aus den Erlösen der erzeugten Öko-Energie, die ins allgemeine Stromnetz eingespeist wird.
Thomas Schmitz arbeitet ehrenamtlich als Vorstandsvorsitzender der Rhein-Sieg eG. Er hofft, den Strom mit sogenanntem Energy Sharing, also dem Teilen von Strom, künftig auch direkt in der Region vermarkten zu können. Derzeit sei das aber nicht ohne weiteres möglich, sagt Schmitz. "Man darf selbst erzeugten Strom noch nicht einmal an die Nachbarn im Haus nebenan verschenken."
Was bedeutet eigentlich Energy Sharing?
Unter dem Begriff Energy Sharing versteht man das Teilen von gemeinschaftlich produzierter Energie. Er leitet sich aus den Vorgaben der Europäischen Union ab, mit denen der europäische Strommarkt dezentralisiert werden soll. EU-Bürgerinnen und Bürgern sollen ihn mitgestalten können - insbesondere in Form sogenannter Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften.
Die Regierungen der Mitgliedsstaaten sollen solche EE-Gemeinschaften ermöglichen und sicherstellen, dass diese ihre erzeugte Energie verbrauchen, speichern und verkaufen dürfen. Bis 2021 sollten diese Vorgaben in nationales Recht umgesetzt werden.
Ist Energy Sharing in Deutschland schon möglich?
Das sei in Deutschland der Fall, schreibt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) auf Anfrage. Denn: "Das EU-Recht sieht (...) keine Privilegierung, sondern eine diskriminierungsfreie Behandlung (von EE-Gemeinschaften - Anm.d.Red.) vor."
Die Verbände der Bürgerenergie sehen das anders. "Auch zwei Jahre nach der Umsetzungsfrist ist Energy Sharing in Deutschland noch immer nicht möglich", sagt Valérie Lange, Referentin für Energiepolitik und -wirtschaft vom Bündnis Bürgerenergie (BBEn) - dem Dachverband für Bürgerenergie in Deutschland.
Denn der Strom darf laut Lange nicht durch das öffentliche Stromnetz fließen, wenn er innerhalb der Energie-Gemeinschaft genutzt werden soll. Genau das aber brauche es für Energy Sharing aus großen Bürgerenergie-Anlagen, so Lange - "aber das ist in Deutschland derzeit faktisch noch nicht möglich."
Auch ist laut BMWK für Energiegemeinschaften eine Selbstversorgung nur "außerhalb des öffentlichen Netzes" erlaubt.
"Wer in Deutschland Strom verkauft, gilt automatisch als Stromhändler"
Des Weiteren würde sich ein Verkauf des Bürgerstroms über das öffentliche Stromnetz, etwa an regionale Wirtschaftsunternehmen, mit den derzeit geltenden Regeln auch kaum rechnen, ergänzt Felix Schäfer. Schäfer ist Mitgründer und Vorstand der Bürgerwerke, einer Genossenschaft, die den erzeugten Strom vieler deutscher EE-Gemeinschaften als Stromhändler vermarktet.
"Wer in Deutschland Strom über das Netz verkauft, gilt automatisch als Stromhändler und muss dafür Abgaben zahlen, beispielsweise die Stromsteuer oder auch die Durchleitungsgebühren an die Netzbetreiber", erklärt Schäfer. Diese Kosten könne man zwar an die Kunden weitergegeben. Aber für kleine Bürgerenergie-Genossenschaft, in denen viel im Ehrenamt gearbeitet werde, wäre die Abwicklung der Stromlieferung ein enormer Aufwand.
Bringt Gemeinschaftsstrom mehr Demokratie in den Strommarkt?
Und für potentielle Kunden würde der grüne Bürgerstrom aus der eigenen Region durch die Abgaben dann mindestens so viel kosten, wie etwa Öko-Strom aus norwegischen Wasserkraftwerken, so Schäfer weiter.
Anders ist es bei einzelnen Hausbesitzerinnen und -besitzern. Sie könnten "privaten Solarstrom vom Eigenheim-Dach", also aus ihrer eigenen, meist staatlich subventionierten Solaranlage günstig nutzen, denn sie müssten dafür keine Abgaben zahlen.
Mieterinnen und Mieter, die kein eigenes Dach haben, können sich Gemeinschaftsprojekten anschließen. Damit auch sie günstig Strom aus der Nähe beziehen können, fordern die Bürgerwerke deshalb, Abgaben wie Stromsteuer und Durchleitungsgebühren für gemeinschaftliche Bürgerenergie deutlich zu reduzieren.
"Ohne Energy Sharing wird die Energiewende nicht gelingen"
Auch das Bündnis Bürgerenergie sieht die Bundesregierung in der Pflicht, echte finanzielle Anreize für Energy Sharing zu schaffen. Schließlich wolle Deutschland, dass 80 Prozent des Stroms bis 2030 aus erneuerbaren Energien stammt - derzeit ist es rund die Hälfte.
"Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir sehr, sehr viel mehr Windräder und Solaranlagen als bisher. Und diese Anlagen werden sehr viel sichtbarer sein als die zentralen fossilen Kraftwerke - wir werden alle eine in der Nähe haben", gibt Valérie Lange vom BBEn zu bedenken.
"Damit die Menschen da mitziehen, müssen sie sich an der Produktion beteiligen können - und einen Vorteil daraus ziehen: Der Strom, den sie dann aus 'ihren' Anlagen beziehen, muss deutlich günstiger sein als zugekaufter Strom", so Lange. Ohne Energy Sharing, ist man sich beim BBEn sicher, werde die Energiewende in Deutschland nicht gelingen.
Das Bündnis fordert: In einem Umkreis von 50 Kilometern sollen sich alle Interessierten an einer Bürgerenergieanlage beteiligen können. Immer wenn die Anlage viel Strom produziert, soll eine staatliche Strom-Prämie dafür sorgen, dass der Strom besonders günstig ist. Die Idee dahinter: einen Anreiz schaffen, Energie vor allem dann zu nutzen, wenn sie "grün" ist.
Smart Meter - digitale Stromzähler sind in Deutschland noch die Ausnahme
Doch dazu muss man wissen, wie viel Strom aus den regionalen Anlagen fließt, und wie viel aus anderen Quellen - und wann. Berechnen lässt sich das mit sogenannten Smart Metern, digitalen Stromzählern, die den Verbrauch im Viertelstundentakt messen und direkt aufs Handy schicken können. In Deutschland liegt derAnteil solcher Smart Meter derzeit allerdings bei gerade mal rund drei Prozent.
Zwar sollten bis Ende 2023 alle Stromzähler digital sein, doch eben nicht automatisch auch immer echte Smart Meter. Das BBEn fordert, dass solche Messgeräte zuerst in solchen Gebäuden und Haushalten eingebaut werden, die am Energy Sharing teilnehmen wollen.
"Starker Wunsch beim Strom autark zu sein"
Und das könnten viele sein. Denn das Interesse an großen Wind- oder Solaranlagen in der eigenen Nachbarschaft wachse, wenn die Menschen auch von ihnen profitieren könnten, berichtet Thomas Schmitz von der Bürgerenergiegenossenschaft Rhein-Sieg. Und es sei durch die Energiekrise infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine noch gestiegen.
"Die Menschen haben festgestellt, dass sie sehr stark von Energieimporten abhängig sind - und zwar von Ländern, von denen sie keine Energie mehr beziehen wollen. Der Wunsch, autark zu werden, ist groß. Wenn sie das in ihrem eigenen Umfeld nicht schaffen, dann wollen sie den Strom zumindest aus ihrer Region beziehen."
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Englisch als Teil einer Serie über Bürgerenergie-Genossenschaften in der EU, die mit Mitteln des Journalismfund Europefinanziert wurde.