Kugelakkus für Unterwasser
9. November 2016Gerade ist es sehr windig - Herbst halt - und die Windparks leisten ganze Arbeit, produzieren viel Energie. Aber wohin damit? Das Netz kann nicht alles aufnehmen, also müssen wir die Energie zwischenlagern. Pumpspeicherkraftwerke sind eine Möglichkeit, sie brauchen aber viel Platz. Und aufgrund des erheblichen Eingriffs in die Ökologie und ins Landschaftsbild sind sie vielen ein Dorn im Auge.
Was wäre aber, wenn man die überschüssige Energie quasi auf dem Grund des Meeres versenkt? Unterwasserspeicher also? Das klingt trivial - auf diesen Einfall muss man aber trotzdem erst mal kommen. Horst Schmidt-Böcking von der Universität Frankfurt und Gerhard Luther von der Universität Saarbrücken hatten diese Idee.
Vom Aprilscherz zur Anwendungsreife
Am 1. April 2011 erschien dazu ein Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. "Hohlkugeln speichern überschüssigen Windstrom" lautete der Titel. Was viele für einen Aprilscherz hielten, ließ den Baukonzern Hochtief aufhorchen. Sie erkannten das Potenzial - und innerhalb weniger Wochen waren auch sie bei einer ersten Machbarkeitsstudie mit an Bord. Eine Spinnerei war die Idee zu keiner Zeit, denn im März 2011 - wenige Tage vor dem Fukushima-Supergau - meldeten Schmidt-Böcking und Luther dieses Prinzip der Offshore-Energiespeicherung bereits zum Patent an.
Mit dem Nachweis der Machbarkeit stieg auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) mit ein und förderte das Projekt, das "Stored Energy in the Sea" (StEnSea) getauft wurde.
Testballon ab!
Zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik wurde schließlich eine erste Prototyp-Kugel gebaut. Die soll nun endlich flügge werden - und wird nun, knapp fünf Jahre später - in den Bodensee abgelassen.
Hierbei handelt es sich um ein Modell im Maßstab 1:10 - das jedoch immerhin einen Durchmesser von drei Metern hat. Dieses wird etwa 200 Meter vor dem Ufer in Überlingen mithilfe von Luftkissen über den See gezogen und dann 100 Meter tief in den Bodensee abgelassen.
Dort bleibt die Betonkugel für eine erste Testphase von vier Wochen, nach der sie sich - so hoffen die Entwickler natürlich - wie zuvor am Computer berechnet verhalten und dem Druck des Wassers standgehalten hat. "Wir werden verschiedene Tests fahren, um Detailfragestellungen zur Konstruktion, der Installation, der Auslegung des Triebstrangs und des elektrischen Systems, der Betriebsführung und Regelung, der Zustandsüberwachung und der dynamischen Modellierung und Simulation des Gesamtsystems zu überprüfen", erklärt Projektleiter Matthias Puchta vom Fraunhofer IWES weiter.
Im Prinzip funktioniert die hohle Kugel nach dem Prinzip eines Pumpspeicherkraftwerks: Das System nutzt das Meer selbst als oberes Speicherreservoir. Das untere Speicherbecken wird durch die Betonkugel auf dem Meeresgrund gebildet. Die "auf dem Meeresboden installierten Pumpspeicherkraftwerke können in großen Wassertiefen den hohen Wasserdruck nutzen, um mithilfe von Hohlkörpern Stromenergie speichern zu können", erläutert Horst Schmidt-Böcking von der Universität Frankfurt.
Ist es also stürmisch, wird Energie gespeichert, indem Wasser mithilfe einer Elektropumpe aus der Kugel herausgepumpt wird. Dabei entsteht im inneren der Kugel ein Vakuum. Und um das bei dem hohen Umgebungsdruck in der Tiefe zu erzeugen, benötigt man viel Energie.
Herrscht Flaute, kann man sich die zurückholen, indem Wasser mit großer Kraft durch eine Turbine in die Kugel einströmt - also quasi durch das Vakuum wieder eingesaugt wird. Über einen Generator wird dann Strom erzeugt.
Die späteren großen Betonkugeln sollen einmal 20 Megawattstunden Strom speichern können. Das entspricht der maximalen Leistung einer Offshore-Windturbine in vier Stunden.
"Es gibt ein großes Potenzial für die Anwendung der Technologie in küstennahen Standorten, insbesondere auch vor großen, bevölkerungsdichten Regionen, beispielsweise vor Norwegen, aber auch Spanien, USA und Japan", sagt Puchta.
Generalprobe bestanden - und was kommt dann?
Wenn die Testphase gut verläuft, müssen die Ingenieure bald in größeren Dimensionen planen. Denn eigentlich schweben den Entwicklern ganze Energieparks vor - mit 80 bis 200 Kugelspeichern, die dann auch nicht mehr nur Modellgröße, sondern einen Durchmesser von 30 Metern haben. Diese Kolosse sollen dann in der Tiefsee installiert werden - in 700 Metern Tiefe. Sie dort hinzubringen, wird dann wirklich eine Kür.