Rotes Meer: Wie einsatzfähig ist Deutschlands Marine?
12. März 2024Nachrichten aus dem Roten Meer sorgten Ende Februar in Deutschland für Schlagzeilen. Die Bundeswehr bestätigte, dass ihre Fregatte "Hessen" zwei Drohnen der aus dem Jemen agierenden Huthi-Miliz abschießen konnte. Das Marine-Schiff war erst wenige Tage zuvor dort eingetroffen, um im Rahmen einer EU-Mission eine internationale Koalition zu verstärken. Bereits seit Dezember sind unter US-Führung Kriegsschiffe im Einsatz, um den Seeweg für Handelsschiffe an der jemenitischen Küste zu sichern.
Die Freude über den erfolgreichen Abschuss der beiden Drohne blieb allerdings nicht ungetrübt. Das Bundesverteidigungsministerium musste einräumen, dass die "Hessen" zuvor irrtümlich auf eine Drohne eines verbündeten Landes geschossen, das Ziel aber verfehlt hatte.
Vorgegangen wie im Lehrbuch?
Marine-Inspekteur Vizeadmiral Jan Christian Kaack wies Kritik allerdings zurück. "Da wurde wie im Lehrbuch vorgegangen. Die Drohne war eindeutig als feindlich klassifiziert. Ich hätte als Kommandant ganz genauso gehandelt", sagte Kaack der Deutschen Presseagentur in Berlin.
Um erkennen zu können, ob ein Beschuss feindlich ist oder aus den eigenen Reihen kommt, haben Schiffe und Flugzeuge das System "Identification Friend or Foe" (IFF) an Bord. Aus dem Verteidigungsministerium heißt es, dass im Fall der irrtümlich beschossenen Drohne kein IFF-Signal empfangen wurde. Die Schiffsbesatzung habe daraufhin die Einsatzregeln befolgt: das Objekt entdecken, bei den Verbündeten nachfragen, ob es ihnen gehört, und bei keiner oder einer negativen Antwort das Objekt als feindlich klassifizieren und das Feuer eröffnen.
Irrtümlicher Beschuss wirft viele Fragen auf
Die "Hessen", Deutschlands einziges an der EU-Mission beteiligtes Schiff, sei in der Lage, Luftziele aus einer Entfernung von bis zu 100 Kilometern abzuschießen, sagt der Militäranalyst Thomas Wiegold. Für den erfolgreichen Abschuss der beiden Huthi-Drohnen lege die Art der eingesetzten Waffensysteme "den Schluss nahe, dass die beiden Drohnen dem deutschen Schiff relativ nahe gekommen sind", schrieb Wiegold auf seinem Sicherheits-Blog "Augen geradeaus!"
Fraglich ist, warum sich potenziell feindliche Objekte dem deutschen Kriegsschiff überhaupt so weit nähern konnten. "Das ist ein Gebiet, ziemlich nah an der Küste, in dem viele verschiedene Schiffe unterwegs sind", erklärt Julian Pawlak, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität der Bundeswehr in Hamburg gegenüber der DW. "Man muss alles im Blick haben und zusätzlich auf potenzielle Ziele achten, die sich nähern. Das kann eine schwierige Aufgabe sein."
Fragen wirft vor allem der irrtümliche Beschuss auf. Warum verfehlte die "Hessen" die Drohne, konnte sie also nicht abschießen? Die Bundeswehr spricht von einem technischen Fehler, der "rasch identifiziert" und "unmittelbar behoben" werden konnte. In der Verlautbarung wurde betont, dass es keine "Defizite in der Wirkungskette des eingesetzten Waffensystems" gebe. Mit anderen Worten: Es sei kein Fehler im System.
Die deutsche Marine ist vergleichsweise klein
Die "Hessen" ist eine Lenkwaffenfregatte der "Sachsen-Klasse", die der Flugaufklärung und Flugabwehr in Schiffsverbänden dient. Die deutsche Marine verfügt über drei dieser Schiffe. Ein weiteres davon, die "Hamburg", soll im April den Einsatz im Roten Meer übernehmen. Nach Angaben der Bundeswehr verfügt die deutsche Marine über rund drei Dutzend Kriegsschiffe und U-Boote sowie verschiedene Versorgungsschiffe.
Das ist weit entfernt von der US-Marine, die Hunderte von Kriegsschiffen auf den Meeren hat und über ein Jahresbudget von rund 230 Milliarden Euro verfügt. Laut der Marine-Informationsplattform seaforces.org haben aber auch vergleichbare europäische Verbündete wie die Franzosen, Italiener und Briten eine größere Seestreitkraft. Die Marine ist dagegen die kleinste militärische Teilstreitkraft Deutschlands.
Auch Gold muss regelmäßig poliert werden
Vor diesem Hintergrund ist der Einsatz im Roten Meer eine Herausforderung. "Das ist der ernsthafteste Einsatz einer deutschen Marineeinheit seit vielen Jahrzehnten", sagte Vizeadmiral Kaack im Vorfeld. Die Fregatte Hessen sei aber darauf vorbereitet. "Sie ist unser Goldstandard sozusagen, wenn ich das mal so sagen darf."
Dieses Gold muss jedoch poliert werden. Bei den Schiffen der "Sachsen-Klasse" soll in diesem Jahr damit begonnen werden, das Radar aufzurüsten. Laut dem Beschaffungsamt des Verteidigungsministeriums wird das bis 2028 dauern. Erst Ende 2023 Jahres erhielt die "Sachsen" ein neues Primärwaffensystem, das nach einem Unfall mit Testfeuer im Jahr 2019 ausgetauscht werden musste. Die Lenkwaffenfregatte war also etwa fünf Jahre lang ohne ihr wichtigstes Raketenarsenal unterwegs.
Liefer- und Produktionsprobleme bei der Munition
Vizeadmiral Kaack fordert immer wieder, dass die Waffenproduktion und -bevorratung angekurbelt werden muss. "Im Bereich der Beschaffung von Munition sind wir leider noch nicht da, wo wir hinmüssen", sagte er im Januar auf einer Marine-Tagung. "Allein mit Blick auf die aktuellen Munitionsverbräuche unserer Partner bei der Operation 'Prosperity Guardian' mache ich mir große Sorgen um die Durchhaltefähigkeit unserer Einheiten."
Auf Anfrage des Bundestags wurde in einem aktuellen Bericht des Verteidigungsministeriums bestätigt, dass insbesondere die Mittelstreckenrakete SM-2 nicht mehr nachbestellt werden kann. Im Einsatz ist Nachschub ohnehin ein Problem. Auf See gebe es keine entsprechende Versorgung, so Pawlak. "Die Schiffe müssen zurück zum Hafen."
Die Marine braucht dringend Geld
Alle diese Faktoren schränken die Verpflichtungen ein, welche die deutsche Marine bei der Landesverteidigung und NATO-Missionen hat. Berichten der Regierung zufolge müsste bis zu einem Fünftel des 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögens für die Bundeswehr in die Modernisierung der Seestreitkräfte fließen.
Das Verteidigungsministerium hat angekündigt, neue Kriegsschiffe in Dienst stellen zu wollen. Grundsätzlich kämpft die Marine aber auch mit Problemen, die alle Teilstreitkräfte der Bundeswehr seit Jahren gemeinsam haben: Zu wenige und veraltete Geräte und Schwierigkeiten bei der Rekrutierung.
Marine-Soldaten teilweise überlastet
"Was mir bei der Marine von Anfang an aufgefallen ist, ist, dass die Soldatinnen und Soldaten sehr belastet sind, zum Teil auch überlastet", sagte die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, Eva Högl dem Magazin der Marine. Der Personalmangel sei groß, auch weil "die Vereinbarkeit von Familie und Dienst sich in der Marine noch einmal ganz anders darstellt als in den anderen Teilstreitkräften". Laut aktuellem Bericht der Wehrbeauftragten sind bei der Marine nur rund 80 Prozent der Posten besetzt.
Um ihre Ziele zu erreichen, müsse die Marine deutlich aufstocken, sagt Julian Pawlak von der Universität der Bundeswehr. Sie brauche nicht nur mehr Schiffe und Besatzung, sie müsse zudem auch ihre Fähigkeiten erweitern.
Ein Einsatz im Roten Meer sei etwas anderes als die Verteidigung des NATO-Territoriums in der Ostsee und das wiederum etwas anderes als eine deutsche Fregatte durch die Meeresstraße von Taiwan fahren zu lassen. "Nach Zahlen und Schiffen ist die Marine die kleinste Teilstreitkraft und andererseits gibt es die meisten Aufgaben. Nicht nur auf den Meeren in der Nähe, sondern in der ganzen Welt."
Aus dem Englischen adaptiert von Sabine Kinkartz