China: Berlins schwieriger Balanceakt
7. September 2021Wer etwas erfahren will über die deutsche China-Politik, der sollte sich den Kurs der Bundeswehrfregatte "Bayern" anschauen. Der entspricht in etwa dem Kurs Berlins gegenüber Peking: symbolträchtige Unterstützung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit - bei gleichzeitiger Vermeidung jeglicher Provokation des wichtigsten Handelspartners.
Am 2. August war das Kriegsschiff in Richtung Indo-Pazifik aufgebrochen. Eine Reise in politisch verminte Gewässer: Ohne China beim Namen zu nennen, hatte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer beim Abschied der Fregatte zum Sinn der Mission erklärt: Deutschland wolle, "dass bestehendes Recht respektiert wird, Seewege uneingeschränkt befahrbar sind, offene Gesellschaften geschützt werden und dass Handel zu fairen Regeln erfolgt".
Allerdings wird die Fregatte an den von China beanspruchten Seegebieten im Südchinesischen Meer und bei Taiwan in sicherem Abstand vorbeifahren. Die Bundesrepublik wolle sich nicht konfrontativ verhalten, stellte Admiral Kay-Achim Schönbach klar, Inspekteur der Marine. "Wir werden die üblichen Handelsrouten benutzen."
Der Berliner Politikwissenschaftler Eberhard Sandschneider hat für diese Symbolpolitik nur bitteren Spott übrig: "Das wird an den Konfliktkonstellationen im indopazifischen Raum nichts ändern", urteilt der Chinakenner gegenüber der DW. "Die Situation dort ist viel zu ernst und viel zu angespannt, als das jetzt auch noch eine deutsche Trachtengruppe vorbeikommt, um die Amerikaner und Chinesen zu unterhalten."
Spagat zwischen Werten und Interessen
Deutschland übt schon lange den Spagat zwischen Werten und Interessen. Interessen sind dabei vor allem: Wirtschaftsinteressen. Seit 2015 ist China der wichtigste Handelspartner Deutschlands. Die 30 im Deutschen Aktienindex, DAX, zusammengefassten Unternehmen erwirtschaften durchschnittlich 15 Prozent ihres Umsatzes in China.
"China wird weiter der treibende Wirtschaftsmotor für die Welt sein", erwartet Jörg Wuttke. Gegenüber der DW führt der Präsident der Europäischen Handelskammer in China aus: "Wir gehen davon aus, dass in den nächsten zehn Jahren China 30 Prozent des globalen Wachstums darstellt." Diese Konstellation führt Wuttke zu der Frage, "wie man mit einem Land umgeht, das die größte Volkswirtschaft der Welt darstellt. Und das gleichzeitig politisch autoritärer geworden ist und in keinster Weise auch nur annähernd unserem System und unseren Werten entspricht".
Politisch waren Peking und Berlin in den 16 Jahren von Angela Merkels Kanzlerschaft zusammengerückt. Die Beziehungen wurden in den Rang einer "umfassenden strategischen Partnerschaft" erhoben. Auch weil sich keines der großen Menschheitsprobleme – Stichworte: Klimawandel, Abrüstung – ohne Peking lösen lässt. Seit zehn Jahren werden die Beziehungen sogar durch gemeinsame Regierungskonsultationen geadelt. Die letzten fanden Ende April dieses Jahres statt, Corona-bedingt lediglich virtuell. Und in merklich abgekühlter Atmosphäre. Dabei hatte die EU nach jahrelangen Verhandlungen mit Peking letzten Dezember das Investitionsschutzabkommen, CAI, zum Abschluss gebracht, unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft.
Aber da sind die massive Verfolgung der uigurischen Minderheit in Xinjiang, die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong, der aggressive Auftritt Pekings im Südchinesischen Meer, Drohgebärden gegenüber Taiwan. Der Konfliktstoff mit China wächst. Sichtbarstes Zeichen: Im März hatte die EU zum ersten Mal seit 1989 Sanktionen gegen China verhängt – wegen Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Uiguren. China belegte im Gegenzug Wissenschaftler und Abgeordnete des EU-Parlaments mit Sanktionen. Diesen Einschüchterungsversuch beantwortete das Europaparlament im Mai, indem es die Ratifikation des Investitionsschutzabkommens einfror.
Erfolgreiche Autokratie
Der Blick auf das Wirtschaftswunderland China ändert sich schon länger. In ihrem strategischen Ausblick vom März 2019 beschreibt die EU-Kommission China nicht nur als Kooperationspartner und Wettbewerber: China wird ausdrücklich als systemischer Rivale bezeichnet, außerdem als globaler Schlüsselakteur und führende technologische Macht.
Lange galt im Westen als ausgemacht, dass nur Demokratien und Marktwirtschaften in der Lage sind, für einen Großteil der Bevölkerung Wohlstand zu schaffen. In China sieht man, wie auch in einer kommunistischen Autokratie hunderte Millionen Menschen aus der absoluten Armut in die Mittelschicht gebracht wurden.
"Deswegen wirkt China sehr attraktiv als Modell für viele Staaten der Welt, Autokraten der Welt", analysiert Heinrich Kreft im DW-Gespräch. Der Diplomat ist Direktor des Zentrums für Diplomatie an der Andrássy-Universität Budapest.
"Wir nehmen zur Kenntnis", sagt Kreft, "dass China heute ein global extrem präsenter politischer Akteur ist" - auch durch die weltumspannende "Belt-and-Road"-Infrastruktur-Initiative, BRI. Der Diplomat folgert: "Damit haben im Grunde genommen alle unsere internationalen Beziehungen einen China-Aspekt."
Eigene Regeln
Als globaler Akteur passt China sich nicht mehr einfach an die vom Westen gemachten Regeln an, hat China-Experte Sandschneider beobachtet: "Die Chinesen machen ihre eigenen Regeln. Xi Jinping ist seinem eigenen Land und seiner eigenen politischen Ambition verantwortlich, aber nicht der Erwartungshaltung der Amerikaner oder Europäer."
Wobei China nach Ansicht von Heinrich Kreft die bestehende internationale Ordnung nicht völlig ablehnt. "China versucht zum Beispiel, ganz strategisch Personalpolitik zu betreiben in den internationalen Organisationen. Im Ergebnis tun sich einige sehr schwer mit Kritik an China. Wo sie mit ihrer Personalpolitik nicht durchkommen, etwa Weltbank oder IWF, schaffen sie eigene Institutionen wie die Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank, AIIB."
Dieses Drehbuch folgt den ehrgeizigen Zielen, die Staats- und Parteichef Xi Jinping für sein Land formuliert hat: Bis zum 100. Gründungstag der Volksrepublik China 2049 soll China eine ausgereifte, moderne, sozialistische Macht sein mit der Fähigkeit, Regeln zu setzen und zu gestalten, wirtschaftlich und technologisch an der Weltspitze. Damit wolle China wieder ins Zentrum der Weltordnung hinein, erklärt im DW-Interview der Trierer Chinawissenschaftler Sebastian Heilmann. "Und das steht natürlich im Konflikt zur bisherigen Hegemonialmacht USA."
Großmachtkonflikt USA - China
Diesen Konflikt beschrieb Wang Jisi, Präsident am Institut für Internationale und Strategische Studien an der Peking-Universität, im Juli in der einflussreichen Zeitschrift "Foreign Affairs": "Die Vereinigten Staaten und China befinden sich in einem Wettstreit, der sich als dauerhafter, weitreichender und intensiver erweisen könnte als jeder andere internationale Wettbewerb in der modernen Geschichte einschließlich des Kalten Krieges."
Berlins Dilemma: Dieser Wettbewerb entspinnt sich ausgerechnet zwischen seinem mächtigsten Verbündeten und seinem wichtigsten Wirtschaftspartner. Deutschland droht zwischen die Fronten zu geraten. Vor allem, wenn es um Technologie geht. "Die USA wollen mit allen Mitteln verhindern, dass China die USA in technologischen Schlüsselbereichen überholt", hebt der USA-Experte Josef Braml gegenüber der DW hervor.
Chinas technologische Fähigkeiten hätten in Washington einen Schock ausgelöst, vergleichbar mit dem Start von "Sputnik 1" 1957 durch die Sowjetunion, dem weltersten Satelliten, fährt Braml fort. "Aufgeschreckt wollen die USA jetzt Chinas ökonomische und militärische Modernisierung behindern. Deshalb setzen sie auf eine Strategie der wirtschaftlichen Entkoppelung - ohne Bedenken, was die Kosten für Europa angeht."
Konfliktsymbol Huawei
Das Symbol für den Kampf um die technologische Vorherrschaft ist Huawei. Der chinesische Konzern gehört zu den weltweit führenden Unternehmen für den Aufbau von 5G-Netzen und hält wichtige Patente. "Huawei ist die globale Speerspitze der chinesischen Innovationskraft und auch der Technologiepolitik Chinas", urteilt Chinaexperte Heilmann. "Es ist völlig klar, dass die USA momentan alle Mittel einsetzen, um die Erfolgsstory von Huawei zu beenden", fährt der Sinologe aus Trier fort.
Im Kampf um die technologischen Standards von morgen üben die USA massiv Druck auf ihre Verbündeten aus, Huawei vom Aufbau des 5G-Netzes auszuschließen. Hauptargument: Die Netze würden unsicher; möglicherweise würden Hintertüren eingebaut, durch die chinesische Geheimdienste Zugriff auf Nutzerdaten hätten.
Eindeutige Beweise oder gar eine "smoking gun" haben die USA für ihre Behauptung nicht vorgelegt. Stattdessen haben US-Diplomaten Anfang 2019 der Bundesrepublik mit dem Einstellen der Geheimdienstkooperation gedroht, sollte Huawei beim 5G-Ausbau zum Zuge kommen.
Vier Experten des Chaos Computer Clubs kamen in einer Sachverständigenauskunft gegenüber dem Bundestag in diesem März süffisant zu dem Schluss: Die Diskussion über "die Rolle chinesischer Netzwerkausrüstungsunternehmen wird weltweit seit 2018 emotional und von Fakten weitgehend unbelastet geführt".
Noch hat Berlin keine abschließende Entscheidung über die Rolle Huaweis in Deutschlands künftigen Mobilfunknetzen getroffen. Das Ende April verabschiedete "Zweite Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit Informationstechnischer Netzwerke" versucht den für Deutschland üblichen Spagat: Huawei wird die Beteilung am Ausbau des 5G-Netzes nicht pauschal verwehrt, aber es werden hohe Hürden aufgerichtet.
USA oder China?
Mit einer Politik, die beide Seiten zu bedienen versucht, erwartet USA-Experte Braml, werde Berlin sich auf Dauer nicht aus der Affäre ziehen können: "Im Ringen um techno-politische Einflusssphären werden die USA den Druck auf Drittstaaten verstärken und sie vor die Wahl stellen, entweder mit Amerika oder mit China Geschäfte zu betreiben."
Vor noch gar nicht so langer Zeit galten wirtschaftliche Verflechtung und weltweite Arbeitsteilung als Garant für Wohlstand und Frieden. Diese Zeit scheint vorbei. Im geoökonomischen Denken der Weltmächte gelten sie heute als Risiko. Die Wirtschaftsnation Deutschland wird eine Antwort auf diese neue Lage finden müssen.
Die Entsendung der Fregatte "Bayern" in den Indo-Pazifik wird da nicht reichen.