Eine Verfassung feiert Geburtstag
Das Grundgesetz wird 70. Geboren aus den moralischen Trümmern von Nationalsozialismus und Krieg, war es zunächst nur als Übergangslösung gedacht. Bis heute genießt die Verfassung größtes Vertrauen bei den Deutschen.
"Die Würde des Menschen ist unantastbar"
Im Nationalsozialismus galt menschliche Würde nichts. Wer nicht dem Bild der Nazi-Rassenideologie entsprach, dem drohte die Ermordung im Konzentrationslager. Das Grundgesetz stellt die Würde des Menschen an die erste Stelle - eine Reaktion auf die deutsche Geschichte.
Geburtsstunde
Konrad Adenauer, wenige Wochen später der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, unterzeichnet am 23. Mai 1949 als Präsident des Parlamentarischen Rates das Grundgesetz. Auf Weisung der Westmächte hatte der Rat seit September 1948 eine demokratische Verfassung für die westlichen Teilstaaten ausgearbeitet.
Unter Aufsicht
Die Besatzungsmächte hatten das letzte Wort. Die alliierten Militärgouverneure, von links General Pierre König für Frankreich, General Sir Brian Robertson für Großbritannien und General Lucius Clay für die Vereinigten Staaten, mussten das Grundgesetz genehmigen. Ausdrücklich hieß es "Grundgesetz" und nicht "Verfassung", um den provisorischen Charakter zu betonen.
Die Frauen machen Druck
Den 61 Männern im Parlamentarischen Rat stand nicht der Sinn nach verfassungsrechtlich garantierter Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Die vier Frauen im Rat und vor allem die durchsetzungsstarke SPD-Politikerin Elisabeth Selbert sorgten dafür, dass das Gleichberechtigungsgebot am Ende doch ins Grundgesetz kam.
Proteste gegen Notstandsgesetze
Heftige Proteste vor allem von Studenten gab es gegen die Notstandsgesetze von 1968. Die Große Koalition hatte mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit das Grundgesetz geändert, um den Staat auf besondere Krisensituationen vorzubereiten. Manche Kritiker sahen Parallelen zum Notstandsartikel 48 der Weimarer Reichsverfassung, durch den schließlich Hitler an die Macht kam.
"Das gesamte Deutsche Volk"
"Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden", hieß es bis 1990 in der Präambel des Grundgesetzes. Mit der Wiedervereinigung hätte man eine ganz neue Verfassung ausarbeiten können. Stattdessen trat die DDR dem Geltungsbereich des Grundgesetzes einfach bei.
Asylrecht eingeschränkt
Unter der Regierung Kohl wurde 1993 der bis dahin schrankenlos geltende Asylrechtsartikel 16 des Grundgesetzes stark eingeschränkt. Inzwischen hat zum Beispiel derjenige keinen Anspruch mehr auf politisches Asyl, der über ein anderes EU-Land nach Deutschland einreist. Damals wie heute wird diese Einschränkung heftig kritisiert.
Streit um Enteignungsartikel
Angesichts von Wohnungsknappheit in den deutschen Großstädten entdecken linke Politiker wie Juso-Chef Kevin Kühnert den Enteignungsartikel 15 des Grundgesetzes neu. Die FDP würde den Artikel dagegen am liebsten ganz abschaffen. Er sieht die grundsätzliche Möglichkeit vor, dass Privateigentum in Gemeineigentum überführt werden kann.
Hüter der Verfassung
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ist untrennbar mit dem Grundgesetz verbunden. Die Richter wachen darüber, dass Gesetze im Einklang mit der Verfassung stehen. An die Urteile ist jede Regierung gebunden. Von allen staatlichen Einrichtungen genießt das Bundesverfassung das höchste Vertrauen der Bevölkerung.
In Stein gemeißelt
Das Grundgesetz ist immer wieder verändert worden, in 70 Jahren mehr als 60-mal. Dafür gibt es hohe Hürden. Doch manche Artikel haben eine "Ewigkeitsgarantie", sie dürfen nicht verändert werden, zum Beispiel die Grundrechte. Keine noch so große Bundestagsmehrheit darf sie abschaffen oder einschränken.
Das Grundgesetz gilt als einer der größten Glücksfälle, der den Deutschen je passiert ist. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat es der neuen Bundesrepublik Halt gegeben. Seit 1990 gilt es für alle Deutschen. Es mahnt ständig, den Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt allen staatlichen Denkens und Handelns zu stellen. Das Grundgesetz wirkt sogar über Deutschland hinaus als Vorbild für andere Staaten.