Sammlungsbewegung könnte Linke spalten
9. Juni 2018Katja Kipping und Bernd Riexinger wurden in ihren Ämtern bestätigt. Aber das seit 2012 amtierende Duo an der Spitze der Linken musste sich auf dem Bundesparteitag in Leipzig mit mageren Ergebnissen zufriedengeben. Beide erhielten deutlich weniger Stimmen: Für Kipping stimmten nur 64,5 Prozent, 2016 waren es noch 74 Prozent. Riexinger landete nach 78 Prozent vor zwei Jahren dieses Mal bei 73,8 Prozent. Die geringere Zustimmung ist ein Spiegelbild der zerrissenen Partei, die seit Monaten über ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik streitet - und über die Gründung einer linken Sammlungsbewegung diskutiert.
Die Idee stammt von Kippings Konkurrentin Sahra Wagenknecht. Die Vorsitzende der Bundestagsfraktion hat die Hoffnung auf eine zeitnahe linke Mehrheit in Deutschland aufgegeben. "Wir sind zurzeit Lichtjahre davon entfernt, andere gesellschaftliche Mehrheiten zu haben, um eine soziale Politik durchzusetzen", sagte Wagenknecht dem Norddeutschen Rundfunk. In ihrer Sammlungsbewegung, die sie im September öffentlich vorstellen will, sieht Wagenknecht die Chance, Menschen zu gewinnen, die sich auf absehbare Zeit in einer Partei nicht wiederfänden.
2013 gab es in Deutschland eine linke Mehrheit
Ganz anders sieht das die Parteispitze. Bernd Riexinger warb auf dem Parteitag in Leipzig für eine moderne, sozialistische Mitgliederpartei. "Und dafür kämpfe ich wie ein Löwe." Eine Sammlungsbewegung hält er für unnötig. "Wir haben Rückenwind, den wir nutzen sollten, um die Linke als die Oppositionskraft gegen die große Koalition zu stärken", hatte Riexinger dem Bayerischen Rundfunk schon vor dem Parteitag gesagt.
An dieser von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geführten großen Koalition ist zum dritten Mal seit 2005 die SPD beteiligt. Mit ihr und den Grünen hatte die Linke nach der Bundestagswahl 2013 eine rechnerische Mehrheit. Ernsthafte Gespräche über eine gemeinsame Regierungsbildung fanden allerdings nicht statt. Wann die nächste Gelegenheit dafür kommen wird, ist reine Spekulation. Aber die Linke weiß, dass der Zeitgeist - auch in Deutschland - gerade nationalkonservativ und rechtspopulistisch ist.
Sahra Wagenknecht hofft auf einen "neuen Aufbruch"
Das gilt auch für Europa. Eine der wenigen Ausnahmen ist Portugal. In dem Land am südwestlichen Zipfel des Kontinents regiert seit Ende 2015 die Partido Socialista und ist dabei auch noch wirtschaftlich erfolgreich. Ansonsten geht der Trend seit Jahren in die andere Richtung. Nationalkonservative und rechtspopulistische Parteien geben den Ton an – in Polen und Ungarn schon länger, in Österreich seit Dezember 2017. In diesen und vielen anderen Ländern, darunter Frankreich, sind sozialistische oder sozialdemokratische Parteien oft nur noch eine Randerscheinung.
In Deutschland kann davon noch keine Rede sein, aber das linke Lager stagniert bestenfalls oder verliert massiv. Bei der Bundestagswahl im September 2017 kamen Sozialdemokraten, Linke und Grüne zusammen auf 38,6 Prozent. Dabei sackte die ruhmreiche SPD auf ihr historisches Tief (20,5 Prozent). In aktuellen Deutschlandtrend ist die Zustimmung sogar auf 18 Prozent gesunken.
Die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien kann kein Vorbild sein
Unter solchen Vorzeichen mutet eine linke Sammlungsbewegung automatisch wie eine weitere Zersplitterung dieser politischen Richtung aus. Initiatorin Sahra Wagenknecht sind solche Befürchtungen anscheinend fremd. Es gehe darum, in Deutschland wieder eine andere, sozialere Politik durchzusetzen, sagte die Fraktionschefin der Linken der Deutschen Presse-Agentur. "Und zurzeit sind wir davon weit entfernt." Die Linke stehe bei zehn bis elf Prozent. Und selbst mit SPD und Grünen werde es, wenn sich nichts verändere, auf absehbare Zeit keine Mehrheiten geben. "Also brauchen wir einen neuen Aufbruch."
Diesen Effekt erhofft sich Wagenknecht von einer starken Internetpräsenz. Außerdem werde es öffentliche Veranstaltungen geben. Und je größer diese Bewegung wird, "desto eher kann es gelingen, die öffentliche Diskussion mitzubestimmen". In anderen europäischen Ländern hat dieses Konzept teilweise funktioniert. Die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien ist seit kurzem sogar Regierungspartei - allerdings in einer Koalition mit der rechtsgerichteten Lega.
Gregor Gysi: "Man darf bestimmte Grenzen nicht überschreiten"
Das wäre in etwa so, als würde in Deutschland die Linke mit der AfD ein Bündnis schmieden. Jener erst 2013 gegründeten rechtspopulistischen Kraft, die der Linken bei Wahlen auf Bundes- und Landesebene Millionen Stimmen abgenommen hat. Auf diese Entwicklung mit der Gründung einer linken Sammlungsbewegung zu reagieren, hält auch Wagenknechts Vorgänger im Fraktionsvorsitz, Gregor Gysi, für falsch.
So etwas müsse von unten entstehen, hatte der Präsident der Europäischen Linken kurz vor dem Parteitag in einem Interview mit der Deutschen Welle gesagt. Aber das selbst zu beschließen, gehe nicht. In Leipzig ging Gysi nur indirekt auf die Pläne für eine Sammlungsbewegung ein. Er bezeichnete die Wiederwahl der Wagenknecht-Widersacher Katja Kipping und Bernd Riexinger als "wichtiges Ergebnis". Man dürfe auch Parteivorsitzende kritisieren, ergänzte Gysi. "Aber man darf bestimmte Grenzen dabei nicht überschreiten."