Gysi sorgt sich um zerstrittene Linke
8. Juni 2018Harmonisch wird es auf dem Bundesparteitag der Linken ab diesem Freitag in Leipzig sehr vermutlich nicht zugehen. Dafür haben die seit Monaten andauernden Grabenkämpfe über den vermeintlich richtigen Kurs zu tiefe Spuren hinterlassen. Zwei Frauen stehen im Mittelpunkt eines vielschichtigen Streits, bei dem auch der Umgang mit Flüchtlingen eine Rolle spielt: Sahra Wagenknecht, Fraktionschefin im Bundestag, und die Partei-Vorsitzende Katja Kipping. Beide sind Teil einer Doppel-Spitze, bei denen die Männer - Dietmar Bartsch und Bernd Riexinger - in der öffentlichen Wahrnehmung weniger präsent sind.
Wagenknecht, Dauergast in Polit-Talkshows, ist im Gegensatz zur Partei-Mehrheit gegen eine Politik der kompromisslos offenen Grenzen. "Jeder der möchte, kann kommen" - diese bei der Linken weit verbreitete Haltung hält sie für "völlig absurd". Kritiker in den eigenen Reihen werfen ihr deswegen vor, am rechten Rand auf Stimmenfang zu gehen. Sie versuche, einen "Begrenzungsdiskurs" in die Partei reinzubringen, meint etwa der Linken-Bundestagsabgeordnete Niema Movassat.
Sahra Wagenknecht plant eine linke Sammlungsbewegung
Der Disput hat viel mit dem Bedeutungsverlust der Linken auf europäischer und deutscher Ebene zu tun. Bei der Bundestagswahl 2017 verloren sie ihre Rolle als Oppositionsführerin an die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD). Die Folge: weniger Redezeit im Parlament und weniger Präsenz in den Medien. Und was die Linken besonders schmerzt: Viele ihrer ehemaligen Wähler sympathisieren heute mit der AfD, die einen harten Kurs gegen Flüchtlinge und den Islam fährt.
Auf dem Leipziger Parteitag von Freitag bis Sonntag wird das Thema eine große Rolle spielen. "Spannend" werde er, sagt die erneut für den Vorsitz kandidierende Katja Kipping. Die Kontroverse in der Flüchtlingspolitik sei von einigen gefordert worden. "Und deswegen wird dieser Parteitag als oberster Souverän auch eine Entscheidung treffen."
Oskar Lafontaine unterstützt seine Ehefrau
Unabhängig vom Ausgang des schwelenden Streits ist die auch in der von ihr geführten Bundestagsfraktion umstrittene Wagenknecht schon auf der Suche nach Verbündeten - außerhalb ihrer Partei. Seit Monaten wirbt sie für eine linke Sammlungsbewegung. Im September will sie das Projekt offiziell vorstellen, für das sie neben enttäuschten Sozialdemokraten und Grünen auch Prominente aus anderen gesellschaftlichen Milieus gewinnen will. Dabei denkt sie unter anderem an Künstler und Wissenschaftler.
Namen mit großer Zugkraft waren bislang nicht zu hören. Am bekanntesten ist noch Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine. Der ehemalige SPD-Vorsitzende und kurzzeitige Finanzminister unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) war bis 2010 Vorsitzender der 2007 gegründeten Linken. Im Bundestag teilte er sich ein paar Jahre mit Gregor Gysi den Fraktionsvorsitz. Gysi wiederum war nach dem Zusammenbruch der DDR-Diktatur die prägende Figur beim Übergang der Staatspartei SED in das wiedervereinigte Deutschland.
Als Abgeordneter zunächst der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), die später Teil der neuen Linken wurde, gehört Gysi mit einer kurzen Unterbrechung seit 1990 dem Bundestag an. Ende 2016 wurde er zum Präsidenten der Europäischen Linken gewählt. Um deren Zukunft sorgt sich der 70-Jährige ebenso wie um die Linke in Deutschland - aus dem gleichen Grund: Rechtspopulisten sind auf dem Vormarsch, während linke Parteien an Einfluss verlieren und über die strategische Ausrichtung streiten.
"Einheit herstellen, um neoliberale Politik zu besiegen!"
Aus Sorge vor einem weiteren Niedergang hat Gysi ein Jahr vor der Europa-Wahl 2019 Ende Mai einen Appell veröffentlicht: "An alle linken und progressiven Kräfte Europas: Einheit herstellen, um neoliberale Politik zu besiegen!" Wie schwer das wird, darüber macht sich Gysi angesichts der höchst unterschiedlichen Stoßrichtung linker Gruppierungen keine Illusionen.
In Griechenland hat die einstige Protestbewegung "Syriza" als Regierungspartei viel von ihrer einstigen Radikalität verloren. Frankreichs linkes Lager ist zersplittert in Sozialisten und Kommunisten ohne Einfluss und Jean-Luc Mélenchons eher populistische Partei "La France insoumise" (Unbeugsames Frankreich). Und die vom Kabarettisten Beppe Grillo gegründete "Fünf-Sterne-Bewegung" Italiens hat vor wenigen Tagen ein Bündnis mit der stramm rechten "Lega" gebildet.
Von programmatischer und ideologischer Einigkeit kann also kaum die Rede sein. Gregor Gysi zitiert deshalb im Gespräch mit der Deutschen Welle keinesfalls zufällig das "Kommunistische Manifest" von Karl Marx und Friedrich Engels: "Proletarier aller Länder vereinigt Euch!" Der damals wie heute dahinter stehende Gedanke: "Lasst Euch nicht von Rassismus, Ausländerfeindlichkeit oder Antisemitismus trennen, sondern seht, dass Ihr die gleiche soziale Lage habt." Das sei, sagt Gysi, ein großer Fortschritt mit Blick auf das Denken und Fühlen der Menschen gewesen.
Karl Marx steht hoch im Kurs - und im Büro
Für wie aktuell und wichtig Gysi das Thema hält, zeigt schon sein im April erschienenes Buch "Marx und wir: Warum wir eine neue Gesellschaftsidee brauchen". Seine Wertschätzung für den vor 200 Jahren geborenen Philosophen und Ökonomen bringt Gysi auch dadurch zum Ausdruck, dass in seinem Bundestagsbüro ein Karl Marx aus Kunststoff steht - ein Meter hoch und natürlich in roter Farbe.
Rot ist auch eine Farbe, die Sahra Wagenknecht gerne trägt. Dass seine Nachfolgerin im Fraktionsvorsitz mit ihrer Idee von einer linken Sammlungsbewegung Erfolg haben wird, bezweifelt Gysi. Es müsse von unten etwas entstehen, dann könne man dem von oben eine Richtung und Organisationsform geben. Aber das selbst zu beschließen, gehe nicht. Hätte Wagenknecht den Präsidenten der Europäischen Linken gefragt, wäre die Antwort gewesen: "Das wird nicht funktionieren."
Linken-Chefin Kipping könnte Recht behalten
Gysi vermutet, Wagenknecht wolle mit ihrer Sammlungsbewegung Druck auf die Linke ausüben, "um dort die Politik zu erreichen, die sie für richtig hält". Auf dem Bundesparteitag werden beide das Wort ergreifen. Gysi will, wie er im DW-Gespräch sagt, eine "deutsch-europäische" Rede halten. Parteichefin Katja Kipping könnte richtig liegen mit ihrer Einschätzung, dass es in Leipzig "spannend" wird.