Von Marokko nach Soho
10. März 2009Bei "Momo" denke ich mitten im grauen Londoner Alltag an Urlaub, Sanddünen in der Sahara, bunte Märkte und Geschichten von 1001 Nacht. Das marokkanische Restaurant liegt fünf Gehminuten vom hektischen Oxford Circus entfernt.
Eine Pause vom trüben Alltag
Das Dekor ist exquisit: Fein geschnitzte Holzgitter filtern das Licht, Laternen werfen filigrane Muster an Decke und Wände, Lederstühle und rote Samtkissen auf bunten Berberteppichen laden zum Bleiben ein. Bis zur letzten bemalten Kachel stammt alles original aus Nordafrika. Zyniker würden das Restaurant als Touristenfalle bezeichnen. Anoushka und ich, des englischen Winters müde, freuen uns dagegen, dass wir uns für einen Abend aus der Realität ausklinken können.
Anoushka hatte einmal geschäftlich in der Regent Street zu tun und stolperte eher zufällig ins "Momo", triefnass nach einem Regenguß und entsprechend gefrustet. Eine halbe Stunde und ein Essen später war sie wieder mit sich und der Welt im Reinen - und ist wohl deshalb heute Abend wieder hier.
Gutes Essen mit Live-Musik
Der Besitzer des Restaurants ist Murad Mazous, seine Freunde nennen ihn Momo. Ursprünglich aus Algerien gelangte er über Paris nach London, wohl einer Frau wegen, so heißt es. 1997 eröffnete er das erste nordafrikanische Restaurant in London samt Teestube und Musikclub. In der Kellerbar gibt es einmal in der Woche Live-Musik. DJ's und Bands spielen World Music aus Nordafrika, Indien und Südamerika.
Nach der legendären Lammschulter mit Pflaumen, Birnen und Mandelblättern auf Couscous würde ich gerne noch sitzenbleiben - auch, um die Rechnung zu verdauen -, aber ich bin an diesem Abend noch mit Freunden in Soho verabredet.
Mit der Nelke im Knopfloch - wie Oscar Wilde
Soho war von jeher ein dubioses Stadtviertel: Das berühmte Westend-Theater, Kinos und schicke Restaurants stehen Seite an Seite mit Bars und Bordellen. Es gibt wohl keine Droge, die hier nicht gedealt wird. Aber im Strom der Partygänger fühle ich mich so sicher wie in jeder anderen Großstadt. Mein Ziel ist der Schwulenclub "The Green Carnation" (Die grüne Nelke). Im Gegensatz zu anderen Schwulentreffs bin ich hier als Frau willkommen.
Offen, tolerant, cool und zivilisiert - so bezeichnet Richard, der Manager des Clubs, die Atmosphäre. In "The Green Carnation" können sich Homosexuelle zwanglos mit ihren Freunden treffen, egal ob schwul oder nicht. Im Erdgeschoß wird getanzt, im ersten Stock kann man sich zumindest mit lauter Stimme unterhalten.
Das Dekor der "The Green Carnation" ist dem viktorianischen Zeitalter entliehen, als der irische Dramatiker Oskar Wilde zum Zeichen seiner sexuellen Orientierung eine grüne Nelke im Knopfloch trug. Schwarz-rote Samttapeten zieren die Wände, üppig verzierte Goldrahmen, verschlungene Kronleuchter und rote Plüschmöbel vervollständigen das Bild. Jeden zweiten Dienstag im Monat findet ein literarischer Salon statt. Dann lesen Autoren aus ihren Werken. Bei den Gästen scheint das Konzept aufzugehen. Stephen findet den opulenten Stil gut und lobt die Muskeln der Kellner. "Tolle Leute, tolle Musik, jeden Abend, jede Woche", urteilt Jo aus Kroatien.