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Politik

Ein Telefonat pro Woche

Esther Felden
8. März 2017

Die iranische Menschenrechtsaktivistin und Journalistin Narges Mohammadi sitzt im Gefängnis, sie war ihrer Regierung ein Dorn im Auge. Mann und Kinder hoffen auf ihre Freilassung. Porträt einer unvollständigen Familie.

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Taghi Rahmani vor einem Bild seiner Frau Narges Mohammadi
Bild: picture-alliance/dpa/Arifoto Ug/M. Reichel

"Der Beamte des Ministeriums sagte mir, dass wir jetzt gehen müssten. Ich versuchte, Kiana von mir loszumachen. Sie hatte all ihre Kraft zusammengenommen und mir die Arme um den Hals geschlungen. Sie weinte laut." So schreibt Narges Mohammadi im August 2015 aus der Haft in einem Brief für ihre Kinder Kiana und Ali. Sie schreibt über den Tag, der ihr "das Herz zerbrach". Den Tag, an dem die beiden Kinder das erste Mal miterleben mussten, wie ihre Mutter zu Hause abgeholt und ins Gefängnis gesteckt wurde. Damals gingen sie gerade einmal in den Kindergarten.

Immer wieder mussten die Kinder in den kommenden Jahren ähnliche Szenen durchstehen, mussten mit ansehen, wie ihre Mutter – oder auch ihr Vater, der wegen seiner journalistischen Arbeit ebenfalls verfolgt wird – von zu Hause abgeholt und weggebracht werden. An ein glückliches Familienleben zu viert können sich Kiana und Ali wohl nicht erinnern, zu oft fehlte ein Elternteil, zu präsent war die Angst vor der nächsten Trennung.

Schuldig gesprochen in drei Anklagepunkten

Die Zwillinge sind heute zehn Jahre alt, seit Juli 2015 sie leben bei ihrem Vater Taghi Rahmani in Frankreich. Ihre Mutter ist weit weg, im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran. Dort verbüßt Narges Mohammadi gerade eine lange Haftstrafe. 2015 wurde sie zuletzt verhaftet, im vergangenen Mai sprach das Revolutionsgericht der iranischen Hauptstadt sie in mehreren Anklagepunkten schuldig und verurteilte sie zu insgesamt 16 Jahren Gefängnis.

Taghi Rahmani im Dezember 2016 bei der Verleihung des Weimarer Menschenrechtspreises 2016
Im Dezember 2016 wurde Narges Mohammadi in Abwesenheit der Menschenrechtspreis der Stadt Weimar verliehen - ihr Mann nahm die Ehrung an ihrer Stelle entgegenBild: DW/M. Shodjaie

Zehn Jahre bekam sie allein für ihren Einsatz gegen die Todesstrafe und für die "Gründung einer verbotenen Gruppierung". Wegen "Versammlung und Verschwörung gegen die nationale Sicherheit" gab es fünf Jahre. Hinzu kommt ein Jahr wegen "Verbreitung von Propaganda gegen das System". Es ist aber gut möglich, dass sie vorher frei kommt. Denn nach geltendem iranischem Strafgesetzbuch muss bei einem Schuldspruch in mehreren Anklagepunkten nur die längste Einzelstrafe verbüßt werden.

Auf Informationen aus zweiter Hand angewiesen

Wie es seiner Frau in Haft geht, das kann Taghi Rahmani nicht mit Gewissheit sagen, er darf sie weder sprechen noch besuchen. "Ich habe sie zuletzt vor fünf Jahren gesehen, vor meiner Ausreise nach Frankreich." Rahmani hatte damals den Iran verlassen, um sich selbst in Sicherheit zu bringen.

Denn wie es sich anfühlt, in Haft zu sein, das weiß der Journalist aus eigener Erfahrung. Für seine Berichte über religiöse Modernisierung und für sein politisches Engagement wurde auch er fünfmal verhaftet und eingesperrt.  "Ich habe insgesamt 14 Jahre im Gefängnis verbracht, davon auch zwei Jahre in Einzelhaft." Am schlimmsten seien die Einsamkeit und die Isolation gewesen, berichtet er.

Narges Mohammadi mit ihren Kindern Ali und Kiana
"In den ersten achteinhalb Jahren ihres Lebens haben diese beiden Kinder mehr Leid durchstehen müssen als man sich vorstellen kann", schreibt Narges Mohammadi 2015 in einem BriefBild: Privat

Rahmani muss sich komplett auf Schilderungen anderer verlassen, um sich ein Bild davon zu machen, wie es um seine Frau steht. Die im Iran lebende Verwandtschaft hat Zugang zu Narges. "Sie wird im Gefängnis normal behandelt und auch nicht gefoltert", sagt er gegenüber der DW. Es fällt auf, dass er sich betont vorsichtig ausdrückt. Menschenrechtsorganisationen wählen deutlichere Worte. So schreibt die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) über die Behandlung von Gefangenen im Evin-Gefängnis: "Es ist bekannt für seine unmenschlichen Haftbedingungen. Laut Augenzeugenberichten werden die Häftlinge dort täglich erniedrigt, gedemütigt und gefoltert. Zudem ist das Gefängnis, das ursprünglich für 320 Personen ausgelegt ist, chronisch überbelegt." Weiter heißt es, Narges Mohammadi würde, wie viele andere politische Häftlinge auch, "besonders schlecht behandelt".

Krank durchs Gefängnis?

Darüber hinaus werde ihr die nötige medizinische Behandlung verwehrt. Mohammadi ist schwer krank. Sie leidet an einem Blutgerinnsel in der Lunge sowie an einer neurologischen Erkrankung, die dazu führt, dass sie immer wieder Krampfanfälle und  Lähmungserscheinungen bekommt. "Sie ist im Gefängnis krank geworden, dort wurde ihre Krankheit diagnostiziert", sagt Rahmani. Im Moment sei ihr Zustand stabil, sie bekäme auch Medikamente. Dann aber fügt er noch etwas hinzu. "Ihre Krankheit ist nicht vereinbar mit dem Gefängnis. Deshalb geht es ihr zunehmend schlechter."

Taghi Rahmani beim Geneva Summit
Auch beim diesjährigen Menschenrechtsgipfel in Genf im Februar sprach Taghi Rahmani über seine FrauBild: Geneva Summit/D. Smith

Eigentlich bräuchte Narges Mohammadi durchgehend fachärztliche Betreuung – doch das ist im Gefängnis unmöglich. Zwischenzeitlich stimmten die Behörden einer Verlegung ins Krankenhaus zu: als Patientin in Handschellen. Nach wenigen Wochen aber wurde die Behandlung abgebrochen und Mohammadi gegen den ärztlichen Rat zurück ins Evin-Gefängnis gebracht. Nach Ansicht von Amnesty International verstößt die unzureichende medizinische Versorgung von Häftlingen gegen die internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen des Iran. "Die Verweigerung medizinischer Behandlung könnte einem Verstoß gegen das absolute Verbot von Folter und anderer Misshandlung gleichkommen", heißt es in einem Aufruf der Organisation vom 1. Juni 2016.

Bärbel Kofler
Auch die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, sprach sich für eine Freilassung ausBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Auch die Bundesregierung appellierte damals an die iranischen Behörden, Mohammadi freizulassen. In einem Statement forderte die Menschenrechtsbeauftragte Bärbel Kofler nach dem letzten Urteil im Mai 2016: "Mit Blick auf ihren äußerst schlechten Gesundheitszustand sollte sie umgehend aus der Haft entlassen werden. Iran muss endlich seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommen und die Rechte seiner Bürger achten." Alle Appelle verhallten ungehört.

Die Stimme der Mutter hören – einmal pro Woche

Den zehnjährigen Zwillingen fällt es schwer, aus der Ferne mitzubekommen, wie schlecht es ihrer Mutter geht – und nichts für sie tun zu können. Beide gehen unterschiedlich mit der Situation um, erzählt Taghi Rahmani. "Mein Sohn ist sehr verständnisvoll. Er gibt sich alle Mühe, das Ganze zu verstehen und mich zu unterstützen. Meine Tochter dagegen rebelliert mehr. Sie kann das alles nicht begreifen, sie sagt, dass wir doch ein Recht auf ein Leben zu viert haben." Anders als der Vater können die Kinder aber wenigstens regelmäßig mit Narges Mohammadi sprechen. "Sie dürfen einmal pro Woche mit ihr telefonieren, immer samstags."

Justiz Justizchef Amoli Larijani Iran
Sadegh Larijani ist Leiter der iranischen Justiz - Amnesty International rief im vergangenen Jahr dazu auf, Appelle für eine Freilassung von Narges Mohammadi an seine Adresse zu schreibenBild: Fars

Ob es mal anders war, das sagt er nicht. Amnesty und die IGFM schreiben aber übereinstimmend, dass auch der Telefonkontakt zwischen Kindern und Mutter zeitweise komplett unterbunden war, nachdem die Zwillinge im Jahr 2015 nach der letzten Verhaftung von Narges Mohammadi zu ihrem Vater ins Exil gingen.

Festklammern an der Hoffnung

Wenn Narges Mohammadi erst nach zehn Jahren frei kommt, dann sind ihre Kinder 20 Jahre alt, wenn sie entlassen wird. Und hätten dann ihre komplette Jugend ohne die Mutter verbracht. "Ich habe mit den Kindern darüber gesprochen, sie wissen Bescheid. Aber sie hoffen immer darauf, dass sie früher frei kommt."

Man sieht Taghi Rahmani an, dass die vergangenen Jahre viel Kraft gekostet haben,  sie haben Spuren hinterlassen in seinem Gesicht. Aufgeben ist trotzdem keine Option, sagt er. "Ich möchte nicht, dass meine Kinder in derselben Welt aufwachsen wie ich. Einer Welt, in der eine Regierung ihre Menschen auf diese Art und Weise behandelt."