Ein Preisschild für den Klimawandel
6. November 2017Ökonomie ist keine exakte Wissenschaft. Und doch erhoffen sich Politiker von Ökonomen möglichst präzise Antworten zum Klimawandel. Konkret: Wie groß ist der mögliche Schaden? Und wie teuer ist es, den Schaden abzuwenden oder zumindest klein zu halten?
Der 700-Seiten Bericht, den der Ökonom Nicholas Stern im Auftrag der britischen Regierung im Jahr 2006 vorlegte ("Stern Review on the Economics of Climate Change"), war der bisher umfassendste und einflussreichste Versuch, darauf eine Antwort zu finden.
"Wenn wir nichts unternehmen", heißt es im Stern-Report, drohe durch Klimaschäden "ein Verlust von fünf Prozent der globalen Wirtschaftsleistung pro Jahr". Bei pessimistischeren Annahmen könne der Verlust sogar "auf 20 Prozent oder mehr" steigen.
"Die Kosten des Handelns", belaufen sich laut Stern-Report dagegen nur "auf ungefähr ein Prozent der globalen jährlichen Wirtschaftsleistung". Mit anderen Worten: Der Kampf gegen den Klimawandel rechnet sich.
Einige Ökonomen warfen Stern vor, er habe die Risiken und Schäden überbewertet, doch insgesamt überwog der Zuspruch. Endlich, so der Tenor, hatte der Klimawandel ein Preisschild, mit dem sich politisches Handeln begründen lässt.
Die Modellierung der Welt
Um die wirtschaftlichen Kosten abzuschätzen, entwerfen Ökonomen komplexe Modelle. Sie basieren auf einer Unmenge von Annahmen über Entwicklungen, die zum Teil erst ist in einigen Jahrhunderten eintreffen. Jede einzelne davon kann als zu optimistisch oder als zu pessimistisch kritisiert werden.
Wie entwickelt sich die Weltbevölkerung? Wie hoch steigt der Meeresspiegel, und was kostet es, die Küsten zu schützen? Wie sieht die Kosten-Nutzen-Bilanz aus, wenn steigende Temperaturen den Anbau bestimmter Pflanzen in der einen Region unmöglich machen, in einer anderen dafür aber begünstigen? Und wie vergleicht man heutige Belastungen mit Kosten, die erst in 300 Jahren anfallen?
William Nordhaus, Ökonom an der US-Universität Yale, hält das Erstellen solcher Modelle für eine Kunst. "Schauen Sie nur in diese dicken Bücher, die der UN-Klimarat veröffentlicht - all dieses unverdaute Material: hier eine Tabelle, dort eine Grafik, dazu ein Statement. Daraus etwas zu machen, das man verstehen, darstellen und auch testen kann, darin besteht die Kunst beim Erstellen von Modellen."
Nordhaus hat selbst Modelle entwickelt, die in der Klimafolgenabschätzung weit verbreitet sind. Seit 1975 gilt er außerdem als Erfinder des Ziels, den Temperaturanstieg der Erde möglichst auf zwei oder drei Grad Celsius zu begrenzen, um größere Schäden zu vermeiden.
Wie teuer sollte CO2 sein?
Um Temperaturziele zu erreichen, setzen Ökonomen beim CO2-Preis an. Jede Tonne Kohlendioxid, die beim Verbrennen fossiler Energieträger wie Kohle, Öl und Gas anfällt, sollte mit Kosten verbunden sein. Wenn der Preis steigt, sinkt die Nachfrage - und es steigt der Druck, alternative Energiequellen zu finden.
"Wie hoch sollte der Preis sein? Ein Dollar? Zehn Dollar? 100 Dollar? 1000 Dollar?", fragt Nordhaus. "Dafür werden diese Modelle eingesetzt - um zu bestimmen, wie der Preis von Emissionen auf die Temperaturziele wirkt."
Bei der Pariser Klimakonferenz 2015 haben sich 195 Länder darauf verständigt, den Anstieg der Temperatur auf unter zwei Grad zu begrenzen - ohne allerdings die nötigen Zusagen zu machen, um das Ziel auch zu erreichen.
Anspruch und Wirklichkeit
"Um das 2-Grad-Ziel zu erreichen, müsste der Startpreis für eine Tonne CO2 bei knapp 100 Dollar liegen", sagt der Umweltökonom Robert Mendelsohn, der ebenfalls an der Universität Yale forscht und oft mit Nordhaus zusammengearbeitet hat. Ähnliches empfiehlt auch eine Expertenkommission unter Leitung von Nicholas Stern und dem Nobelpreisträger Joseph Stiglitz.
Tatsächlich liegt der CO2-Preis aber viel niedriger, zwischen 5-10 Dollar pro Tonne. "Mit diesem Preis kann man dem Temperaturanstieg nur auf vier Grad begrenzen", so Mendelsohn.
Umweltaktivisten halten das für eine Katastrophe. Doch Mendelsohn sieht wenig Grund zur Aufregung. "Es gibt einerseits die Schäden und andererseits die Kosten zur Schadensbegrenzung. Jede Gesellschaft sollte bemüht sein, die Summe der beiden möglichst gering zu halten."
Nach Mendelsohns Berechnungen steigen die Kosten der Schadensbegrenzung exponentiell an, je ambitionierter das Klimaziel ist (siehe Grafik).
"Wie teuer es wird, hängt ganz davon ab, wie viel der fossilen Brennstoffe man die Welt noch verbrauchen lässt", so Mendelsohn. "Wenn man das Temperaturziel von zwei auf drei oder vier Grad erhöht, dürfen mehr fossile Brennstoffe genutzt werden. So erhalten wir mehr Zeit, um alternative Energiequellen zu entwickeln."
Vier Grad sei "wahrscheinlich ein gutes Ziel", auf das sich alle einigen können, so der Yale-Forscher. "Ich habe dreißig Jahre nach wirtschaftlichen Argumenten für das Zwei-Grad-Ziel gesucht und sie nicht gefunden", sagt Mendelsohn. "Wo ist der Schaden, der die dafür notwendigen Ausgaben rechtfertigen würde?"
Weltbank-Präsident Jim Jong Kim widerspricht. "Eine um vier Grad wärmere Welt kann und muss vermieden werden", sagte er schon 2012 bei der Vorstellung einer Studie zur Klimafolgenabschätzung. Es käme sonst zu massiven Störungen bei der Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln. "Die schlimmsten Auswirkungen betreffen vor allem die ärmsten Menschen in den ärmsten Ländern", so Kim.
Wird die Welt um vier Grad wärmer, summieren sich die Schäden auf 100-200 Milliarden Dollar pro Jahr, schätzt der Yale-Ökonom Mendelsohn. Andere Studien kommen auf noch höhere Zahlen. Das ist viel - aber ist es auch genug, um die Extrakosten für höhere Temperaturziele zu rechtfertigen?
Beschränkter Blick
Spätestens hier stellt sich die Frage nach dem Sinn wirtschaftlicher Kosten-Nutzen-Abwägungen. "Es ist sehr problematisch, den Klimawandel auf Geldwerte zu reduzieren", sagt der Klimaforscher Mike Hulmes von der britischen Cambridge University. "Man gaukelt den Menschen damit vor, Klimawandel sei ein wirtschaftliches Problem."
Dabei seien damit viel grundlegendere Fragen verbunden, so Hulmes. "Wie leben wir auf diesem Planeten? Damit verbunden sind Fragen nach Gerechtigkeit, Verteilung von Wohlstand, Ethik und der menschlichen Natur. Das geht weit über Geldwerte hinaus."
Der beschränkte Blick der Ökonomen zeige sich auch in ihren Modellen, so Hulmes. "Alles, für das es keinen Markt gibt, wird dabei vernachlässigt", sagt er im DW-Gespräch. "Wie bewertet man die Natur? Welchen Stellenwert haben Ökosysteme für Menschen in verschiedenen Kulturen?"
Das Abwägen von Kosten, die in reichen Ländern anfallen, mit Schäden, unter denen Menschen in armen Ländern zu leiden haben, zeigt die Ungerechtigkeit ökonomischer Vergleiche.
Besonders deutlich sei das in einem frühen Bericht des Weltklimarats geworden, sagt Hulmes. "Die Ökonomen stuften damals das Leben eines US-Bürgers als 100 Mal wertvoller ein als das eines Kenianers." In der Klima-Diskussion, so sein Fazit, brauche es daher weniger, nicht mehr Kosten-Nutzen-Rechnungen.