"Ein Kapitän muss Leben retten"
19. August 20181800 Menschen sind nach UN-Angaben im Jahr 2018 bereits im Mittelmeer ertrunken - Grund für den deutschen Kapitän Stefan Schmidt, mit seiner Arbeit nicht nachzulassen. Im Jahr 2004 hatte Schmidt mit der deutschen Cap Anamur 37 afrikanische Schiffbrüchige gerettet. Als ehrenamtlicher Landesflüchtlings- und Zuwanderungsbeauftragter setzt er sich nun auf andere Art für die Seerettung ein. Die Seenotrettung, sagt Schmidt, sei ein unbedingtes Gut, höher als alle anderen: "Wenn es um Menschenleben geht, darf man auch gegen ein Gesetz handeln."
Für diese Überzeugung hat Schmidt viel auf sich genommen. Im Jahr 2004, nachdem er die Afrikaner nach Italien gebracht hatte, wurden er und seine Kollegen festgenommen, kamen aber nach einigen Tagen wieder frei. In dem über fünf Jahre sich hinziehenden Gerichtsprozess drohten ihnen mehrjährige Haftstrafen, doch im Oktober 2009 wurden sie freigesprochen.
"Lebensretter verdienen Lob"
Diese Erfahrung habe ihn geprägt, sagt Schmidt, und zwar so sehr, "dass ich weitermache und gegen diese Ungerechtigkeit arbeite, die es auf der Welt gibt." Nachvollziehen kann er die gegen ihn erhobenen Vorwürfe - etwa, den Schleusern zuzuarbeiten - nicht. "Wenn ein Kapitän Menschen aus Seenot rettet, dann müsste eigentlich die ganze Welt sagen: 'Mensch super, hast du gut gemacht'."
Wenig irritiert ist Schmidt durch den Umstand, dass nahezu sämtliche Afrikaner, die er 2004 rettete, wieder abgeschoben wurden, da sie falsche Angaben über ihre Herkunftsländer gemacht hatten. Nur ein einziger durfte bleiben. Ihm gehe es um einen anderen Punkt, so Schmidt: "Wenn ein Kapitän Leute aus Seenot rettet, dann muss er sie nicht fragen, wo sie herkommen, dann muss er nicht fragen, ob sie braun oder grün im Gesicht sind, sondern er muss sie an einen sicheren Platz bringen. Das ist alles. Mehr muss er nicht."
Seenotretter und der "Pull-Faktor"
Inzwischen ist in Deutschland und anderen europäischen Ländern eine Diskussion um die Frage entbrannt, ob die Seenotretter die Migranten nicht erst dazu animieren, auf oft seeuntüchtigen Booten die dann lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer anzutreten - der so genannte "Pull-Faktor".
Träfe dieser Vorwurf zu, trügen die Seenotretter für jeden Toten, den sie nicht retteten, zumindest eine gewisse Verantwortung. Zugleich begäben sie sich in gefährliche Nähe zu den Schleppern, die die Migranten an den nordafrikanischen Küsten in die Boote setzen.
Die Wochenzeitung "Die Zeit" hat diesen möglichen Zusammenhang vor einigen Wochen in einer hohe Wogen schlagenden Pro-und-Contra-Debatte aufgegriffen. Die "Zeit"-Journalistin Mariam Lau bewertete in ihrem Essay die Seenotretter kritisch: Diese handelten keineswegs autonom. Das Gegenteil treffe zu, so Lau: "Die Retter sind längst Teil des Geschäftsmodells der Schlepper." Laus Artikel löste erhebliches, weit über die Leserschaft der "Zeit" hinausreichendes Echo aus: Viele Menschen kritisierten ihre Position, andere unterstützten sie.
Stefan Schmidt widerspricht einer Position, wie Lau sie vertritt. Es gebe Studien, die die Vermutung widerlegten, dass die Schlepper die Menschen erst zur Flucht animierten. Einige europäische Politiker - so etwa der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz - vermuten allerdings sehr wohl einen Zusammenhang zwischen der Arbeit der Retter und dem Anstieg der Zahl der Fahrten über das Mittelmeer. "Da antworte ich, dass Herr Kurz wohl ein wenig zu kurz denkt", entgegnet Schreiber. "Der sollte erstmal die Welt studieren, bevor er irgendwelche bescheuerten Antworten gibt."
Ausgenutzt durch die Schlepper?
In der allgemeinen Wahrnehmung treffen auf dem Mittelmeer zwei ganz unterschiedliche Akteure zusammen: auf der einen Seite die auf Gewinnbasis operierenden Schlepper und auf der anderen die als idealistisch geltenden Seenotretter. Dies wirft die Frage auf, ob sich die Retter von den Scheppern nicht bisweilen ausgenutzt fühlten. "Das kann schon so sein", entgegnet Schmidt. "Aber an erster Stelle stehen bei mir die Menschenleben. Ob da jemand irgendwas missbraucht, das steht erst an zweiter Stelle. Denn nicht Grenzen, sondern Menschenleben müssen geschützt werden. Das ist für mich das Allerallerwichtigste. Das gilt auch für die NGOs, die im Mittelmeer jetzt helfen."
Darum lässt er auch Kritik an den Schleppern nicht gelten: Gäbe es sie nicht mehr, "dann verhungern die Leute am Strand von Nordafrika, weil sie nicht mehr auf die See hinauskommen. Dort aber hilft keiner. Dann sitzen sie am Strand von Nordafrika und verhungern. Ich weiß nicht, ob verhungern ein besserer Tod ist als ertrinken."
"Wirtschaftsflüchtlinge gibt es für mich nicht"
Allerdings, wendet Moderator Thomas Spahn im DW-Interview ein, habe man auf der sogenannten Balkan-Route beobachtet, dass seit ihrer Schließung kaum noch jemand auf diesem Weg nach Europa komme. Ob ihm dieses Argument nicht zu denken gebe, will Spahn von seinem Gast wissen. Man könne nicht sagen, dass das Flüchtlingsproblem gelöst sei, nur weil ein Zaun errichtet worden ist, entgegnet Schmidt. "Auf der anderen Seite des Zaunes haben wir ja Bilder gesehen, wie die Menschen versucht haben, sich in eiskaltem Wasser zu waschen, da ihnen niemand geholfen hat." Unterstützergruppen seien mit einem Lastwagen an die Grenzen auf dem Balkan gefahren. "Wir haben Suppe verteilt, weil sonst sich niemand zuständig fühlte. Das darf nicht sein."
Diskutiert wird in Deutschland auch die Frage von Armutsflüchtlingen. Soll das Land Menschen aufnehmen, die ihr Land verlassen, obwohl sie nicht individuell verfolgt werden? Im Vordergrund stehe die Rettung jedes Flüchtlings, erwidert Schmidt. "Ob man sie permanent aufnimmt, ist eine ganz andere Frage. Da müssen wir dann unsere Asylgesetze ändern, müssen schauen, wer wirklich einen Grund zur Flucht hatte." Aber auf Rettung zu verzichten, weil man die Geretteten nicht im Land haben wolle, das sei unzulässig. Grundsätzlich aber plädiert Schmidt für eine großzügige Aufnahme: "Wirtschaftsflüchtlinge gibt es für mich nicht."