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Ein kalkulierter Spagat

Martin Fritz, Tokio30. Dezember 2013

Als erster Premierminister seit mehr als sieben Jahren hat Shinzo Abe den umstrittenen Kriegsschrein besucht. Sein Friedensversprechen konnte die Empörung der Nachbarländer China und Südkorea wie erwartet nicht dämpfen.

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Shinzo Abe unterwegs zum umstrittenen Yasukuni-Schrein in Tokio. (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Vor laufenden TV-Kameras ging der japanische Regierungschef am ersten Jahrestag seines Amtsantritts zum Yasukuni-Gedenkschrein für die 2,5 Millionen japanischen Kriegstoten seit 1853. Seit den siebziger Jahren gehören dazu auch 14 japanische Militärs und Politiker, die nach dem Zweiten Weltkrieg vom Tokioter Tribunal als Kriegsverbrecher teilweise zum Tode verurteilt wurden. Daher versuchte Abe die Nachbarländer China und Südkorea mit seiner Aussage zu beschwichtigen, er habe den "Seelen" des Schreins eine neue Ära versprochen, in der Menschen frei von den Leiden des Krieges sein würden. Keineswegs wolle er die Gefühle des chinesischen und südkoreanischen Volkes verletzen, fügte Abe hinzu. China und Südkorea seien für Japan wichtig. "Die Beziehungen unerschütterlich zu machen, wäre im nationalen Interesse", erklärte der 59-Jährige.

Doch die Botschaft stieß auf taube Ohren. China erklärte am Montag (30.12.2013) Japans Ministerpräsidenten für unerwünscht. "Das chinesische Volk wird solch einen japanischen Führer nicht willkommen heißen. Und Chinas Führer werden ihn nicht treffen", erklärte der Sprecher des Pekinger Außenministeriums, Qin Gang. Chinesische Zeitungskommentare sprachen von einer Ehrung von "Teufeln". Südkorea warf dem japanischen Regierungschef ein "anachronistisches Verhalten" vor, das die Beziehungen grundsätzlich beschädige.

Auch die US-Botschaft in Tokio zeigte sich "enttäuscht". Der Besuch werde die Spannungen mit den Nachbarn verschärfen, hieß es dort. So offen wurde Japan vom einzigen Bündnispartner schon lange nicht mehr kritisiert. Yasukuni bedeutet auf japanisch "der Nation Frieden bringen". Der Shinto-Schrein ehrt vor allem die Toten der Kriege gegen China und Korea.

Referenz an rechte Unterstützer

Mit der Kombination aus Schrein-Besuch und Friedensversprechen versuchte Abe den Spagat, einerseits dem japanischen Publikum seine nationalistische Haltung zu demonstrieren und andererseits die erwarteten negativen Auslandsreaktionen abzufangen. Für die Nachbarländer ist der Schrein ein Symbol von Japans Militarismus. Doch Abe verfolgt die Mission, die Kriegsvergangenheit von Japan in weniger negatives Licht zu rücken und den Nationalstolz wiederzubeleben. Er ist der Enkel des früheren Premierministers Nobusuke Kishi, der wegen seines Amts als Handelsminister als mutmaßlicher Kriegsverbrecher bis 1948 inhaftiert war.

Der Besuch löst in den Nachbarländern China und Südkorea heftige Proteste aus. Auf dem Foto protestieren Menschen vor dem japanischen Konsulat in Hongkong. (Foto: Reuters)
Der Besuch löst in den Nachbarländern China und Südkorea heftige Proteste aus. Hier protestieren Menschen vor dem japanischen Konsulat in HongkongBild: Reuters

Während seiner ersten Amtszeit zwischen 2006 und 2007 hatte Abe die Yasukuni-Gedenkstätte nicht besucht. Denn sein Vorgänger Junichiro Koizumi hatte mit seinen wiederholten Schrein-Visiten eine Eiszeit in den Beziehungen zu China ausgelöst. China belohnte die Zurückhaltung von Abe mit einem Gipfeltreffen. Nach dem Regierungswechsel im Dezember 2012 hoffte Abe auf eine Wiederholung dieses Coups - im nationalen Interesse, da China der zweitwichtigste Handelspartner für Japan ist. Die anti-japanischen Unruhen im Herbst 2012 hatten nämlich die Geschäfte der japanischen Autobauer und Einzelhändler in China schwer beschädigt.

Eiszeit durch Inselstreit

Doch sowohl Chinas neuer Präsident Xi Jinping als auch Südkoreas neue Präsidentin Park Geun-hye verweigern Abe trotz dessen Werbens bisher einen Staatsbesuch. China will auf diese Weise Stärke im Streit um die Inselgruppe demonstrieren, die in China Diaoyu und in Japan Senkaku heißt. Südkorea reagiert vor allem auf die harte Haltung von Japan in der Frage einer Entschädigung von koreanischen "Trostfrauen", die im Zweiten Weltkrieg zu Zwangsdiensten in Soldatenbordellen gezwungen wurden. Als Peking seine Luftverteidigungszone über das Ostchinesische Meer ausdehnte, war für die Abe-Regierung klar, dass China den Inselstreit nicht beilegen will. Aus Abes Sicht ergab der Verzicht auf einen Schrein-Besuch daher keinen Sinn mehr.

China will durch den Inselstreit die Stärke demonstrieren
China will durch den Inselstreit die Stärke demonstrierenBild: Getty Images

Das größte politische Risiko bestand für Abe in einer negativen Reaktion des Bündnispartners USA. Schließlich setzt der nationalistische Regierungschef auf eine verstärkte Kooperation mit Washington, um das Hegemoniestreben Chinas in Schach zu halten. Trotzdem wurde die US-Botschaft in Tokio nur eine Stunde vorher über den Yasukuni-Besuch informiert. Bis dahin hatte die US-Regierung Abes Anstrengungen für eine verbesserte Sicherheitspartnerschaft positiv beurteilt. Dazu gehörten die Schaffung eines nationalen Sicherheitsrates, ein Geheimnis-Schutzgesetz und die Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Aber auch in Bezug auf die USA bewies Abe ein gutes Gespür für Timing mit seinem Yasukuni-Besuch. Denn schon am Tag danach konnte seine Regierung verkünden, dass ein seit Jahren umstrittener Umzug einer US-Militärbasis auf Okinawa wie verabredet stattfinden werde. Prompt wurde Abe dafür von der US-Botschaft gelobt.