Andrzej Wajda ist tot
10. Oktober 2016Wajdas gesellschaftliches Engagement hat bis zum Schluss nicht nachgelassen. Auch im hohen Alter nicht. Der polnische Regisseur rieb sich an den politischen Zielen der nationalkonservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit". Dass die neue Regierung in Warschau entscheidende Veränderungen in den Bereichen Medien und Justiz in die Wege leitete, dass passte dem Filmemacher ebenso wie vielen anderen Intellektuellen im Lande nicht. Wajda brachte das klar zum Ausdruck.
Andrzej Wajda, ein Kind der berühmten Filmschule in Łódź
Natürlich gerät der große alte Mann des polnischen Kinos, der am 6. März 2016 seinen 90. Geburtstag feiern konnte, damit auch ins Kreuzfeuer der nationalen Kräfte im Lande. Als es im Frühjahr um die Verleihung der Ehrenbürgerschaft der polnischen Stadt Gdańsk (Danzig) an ihn ging, protestierten die Nationalkonservativen, die in der Hafenstadt in der Opposition sitzen. Es sei höchste Zeit, Wajda für sein Werk zu danken, plädierte hingegen Danzigs Bürgermeister Paweł Adamowicz.
Polen hat Andrzej Wajda viel zu verdanken. Und das europäische Kino auch. Wajda war zweifellos einer der bedeutendsten Regisseure des europäischen Nachkriegsfilms. Er wurde mit der Zeit zum wichtigsten Chronisten seines Landes auf der Kinoleinwand. Wajda, 1926 im nordostpolnischen Suwałki geboren, hatte mit jungen Jahren zunächst Kunst studiert, wechselte dann aber auf die renommierte Filmhochschule in Łódź, wo er unter anderem auch auf den sieben Jahre jüngeren Roman Polanski traf.
Tragik und Aufbegehren: die Protagonisten bei Andrzej Wajda
Seine Filme rückten ab Mitte der 1950er Jahre Polen auf die Landkarte des europäischen Films. Die berühmten Film-Kritiker Frankreichs tauften die Filme Wajdas und die seiner Kollegen "Polnische Schule". Was steckt dahinter? Ein deutscher Kritiker umschrieb Wajdas Lieblingssujet, das sich immer wieder in seinen filmischen Protagonisten manifestierte, einmal so: "Der Teufelskreis, die Situation ohne Ausweg, in der sich der Held verfängt, erlangt nach Jahren der Verpöntheit des Tragischen im sozialistischen Realismus große Bedeutung."
Der Einzelne, gefangen in den Zeitläuften der Geschichte. Das mal ohnmächtige, mal sich wehrende Individuum im Kampf mit den Oberen - das zieht sich wie ein roter Faden durch das Œuvre des Regisseurs Andrzej Wajda. Zunächst war es die polnische Bevölkerung, die unter dem Martyrium der deutschen Besatzer zu leiden hatte. Das rückte der Regisseur immer wieder eindrucksvoll ins Blickfeld.
Das Individuum gegen Partei und Staat
In vielen späteren Filmen beschäftigte sich der Pole mit den Zwängen, unter denen seine Landsleute während der von Moskau diktierten Politik ächzten. So rückten bei Wajda Männer und Frauen in den Fokus, die gegen die Deutschen kämpften, sich gegen sozialistische Vorgaben auflehnten. Zumeist waren es Gegenwartsstoffe, die Wajda verfilmte, manchmal ging er auch in die Vergangenheit - aber auch dann sagten seine Filme viel aus über aktuelle Geschehnisse in Polen und Europa.
Doch Andrzej Wajda war kein Regisseur, der seine Protagonisten und Geschichten unter Politik und Moral begrub. Seine Filme bargen fast immer eine große künstlerische Kraft. Wajda war ein poetischer Filmemacher ebenso wie ein politischer. Er arbeitete mit Symbolen, Träumen, mit surrealen Einsprengseln. Zudem konnte er sich auf die große Kunst der polnischen Kameramänner stützen, von denen einige später Weltkarriere machten. Wajdas Filme waren immer großes Kino, oft schwarz-weiß, später auch in Farbe.
Realismus und Poesie
Er zauberte trotz der Grausamkeiten und Brutalitäten, mit denen sich seine Helden auseinandersetzten mussten, wunderbar leicht inszenierte Szenen voller Poesie auf die Leinwand. Bei den Filmen von Andrzej Wajda kommen alle auf ihre Kosten: diejenigen Kinogänger, die das Medium vor allem als Träger von politischen und gesellschaftlichen Botschaften verstehen, aber genauso auch die, für die Kino vor allem eine Kunst ist.