Ein Ende wie aus dem Drehbuch
23. März 2017Es hat sich gelohnt, 70 Minuten zu warten. Es hat sich gelohnt, eine schlecht getimete Rede von DFB-Präsident Reinhard Grindel über sich ergehen zu lassen. Es hat sich gelohnt, sich durch eine erste Hälfte lauwarmen Fußballs zu quälen, die wenig Argumente dafür lieferte, warum überhaupt ein Spiel notwendig war, um sich zu verabschieden. Dieser eine Augenblick war es wert, in dem Lukas Podolski ein Tor erzielte, das an seine Glanzzeiten erinnerte. Es war ein Tor, das es wirklich verdiente, ein Spiel zu entscheiden - und dann auch noch sein letztes im deutschen Nationaltrikot.
Mit einem Klopfer auf das Emblem auf seiner Brust und einem Winken zum Abschied verließ Podolski sechs Minuten vor dem Abpfiff den Platz. Die Zuschauer im Stadion hatten auf diesen Moment gewartet, aber sie standen noch immer unter dem Eindruck des Traumtors, das die Nummer 10 eben geschossen hatte. Erst als Podolski nach dem Abpfiff das Bad in der Menge suchte, auf den Zaun kletterte, um die Fans Selfies mit sich machen zu lassen und von seinen Mitspielern in die Luft geworfen wurde, dürfte Deutschland gedämmert haben, was nun unwiederbringlich verloren war.
Unentbehrlich
In der aktuellen Ausgabe des populären deutschen Fußballmagazins "11 Freunde" sagte Podolski: "Es gibt 80 Millionen Deutsche, aber nur 22, 23 werden zu einem Länderspiel eingeladen. Wenn ich einer von denen sein darf, soll ich mich da beschweren?" Der 31-Jährige hat niemals die Bodenhaftung verloren, immer blieb er entspannt, freundlich und witzig. Vor allem sein unbekümmertes Wesen, das im modernen Fußball so selten zu finden ist, machte ihn so unentbehrlich für das deutsche Team.
Dass er auf dem Platz kaum fehlen wird, war schon seit einer ganzen Weile klar - und der Abend in Dortmund lieferte dafür lange Zeit auch ausreichend Belege. Vor dem Tor wirkte Podolski zu langsam, fast verzweifelt nach jeder Chance suchend, zum Abschluss zu kommen. Die Zuschauer im Stadion wurden unruhig. Irgendwie fühlte es sich nicht so an wie der Abschied, den Podolski verdiente. Aber wie so oft schrieb der Sport dann doch noch ein Märchen. "Man hätte es nicht besser in einem Drehbuch schreiben können", sagte Julian Weigl anschließend der DW. Nicht einmal Podolski - ein Mann, der all die Jahre für seine originellen Sprüche bekannt war - hätte sich ein solches Finale seiner Karriere in der Nationalmannschaft vorstellen können. "Das sind Dinge, die man nicht beschreiben kann. Das muss man selbst erleben", sagte Podolski der DW.
Übereifrige Jungstars
Das Spiel an sich hätte man sich sparen können. Das Podolski-Tor und die Standing Ovations für ihn zum Abschied hätten genügt. Eigentlich hätte England die Partie gewinnen müssen, doch Marc-André ter Stegen verhinderte mit seinen Glanzparaden, dass die Kicker von der Insel zu Spaßbremsen wurden. Jonas Hector wird seinen Auftritt ganz schnell vergessen wollen, einzig Mats Hummels spielte auf dem hohen Niveau, das man von ihm kennt. "Man hat gesehen, dass die Abläufe nicht da waren", sagte Weigl, "und dass die jungen Kerle, mich eingeschlossen, zu viel wollten." Das galt besonders für Debütant Timo Werner, der es besonders gut machen wollte und dabei übereifrig wirkte.
Doch auch für die jungen Spieler stand das Testspiel ganz im Zeichen von Podolskis Abschied. "Als Mensch werden wir ihn definitiv vermissen. Aber ich denke, wir haben viele gute und erfahrene Spieler, die ihn ersetzen können", sagte Leroy Sané der DW. Auch Julian Weigl sieht der Zukunft optimistisch entgegen. Die Jungen bräuchten sich nicht zu verstecken und seien bereit, in die Fußstapfen des Routiniers zu treten.
Dennoch, ohne Podolski droht das deutsche Team sein inneres Gleichgewicht zu verlieren. Thomas Müller könnte vielleicht in Podolskis Rolle schlüpfen. Und doch hat es noch nie einen deutschen Spieler gegeben, der so viel gute Laune verbreitet hat wie Podolski und der mit seiner lockeren Art ein wichtiger Teil des Erfolgsgeheimnisses war. "Die ganzen Idioten hier", antwortete Podolski mit breitem Grinsen auf die Frage, wie er sich ein letztes Mal bei einem Länderspiel in der Mixed Zone mit all den Reportern fühle. "Nein, Spaß", schob er nach und bedankte sich für die Arbeit der Medien während seiner Jahre in der Nationalelf.
Häufig erkennt man erst, was man hatte, wenn man es verloren hat. Nach diesem Abend in Dortmund muss Deutschland klar sein, welch große Persönlichkeit die Umkleidekabine verlassen hat - ein Kölscher Junge, aber ein deutscher Mann.