Ein Datum für die Unabhängigkeit Kataloniens?
4. Oktober 2017Einziger Tagesordnungspunkt der Plenarsitzung sei die "Analyse" der Ergebnisse des Referendums über die Loslösung von Spanien am Sonntag und "deren Auswirkungen", so die Sprecher der katalanischen Koalitionsparteien. Sie teilten aber nicht mit, ob es dann auch schon eine Abstimmung über die Unabhängigkeit geben wird. Die separatistische Allianz Junts pel Sí (Gemeinsam fürs Ja) und die kleine Linkspartei CUP, die Katalonien gemeinsam regieren, haben im Regionalparlament in Barcelona eine absolute Mehrheit der Sitze.
"Keine Gesellschaft sollte einen Zustand akzeptieren, den sie nicht will", sagte Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont (Artikelbild) dem britischen TV-Sender BBC in seinem ersten Interview seit der Abstimmung vom Sonntag. Wenn es eine Mehrheit für eine Unabhängigkeit gebe, dann müsse es darauf auch eine politische Antwort geben. Zugleich betonte der katalanische Regierungschef, er habe den Dialog mit der Regierung in Madrid gesucht: "Mein Anruf gestern, mit dem ich jemanden um Vermittlung bitten wollte, ist auf keine Erwiderung gestoßen. Überhaupt keine."
Nach jedem Fehler stärker geworden
Bei dem umstrittenen und gerichtlich untersagten Referendum hatten nach bisherigen Angaben der Regionalregierung 90 Prozent der Teilnehmer für eine Loslösung Kataloniens von Spanien gestimmt. Die Wahlbeteiligung lag allerdings bei etwas mehr als 40 Prozent. Doch Puigdemont zeigte sich in dem Interview überzeugt, dass sie mehr als 50 Prozent erreicht hätte, hätten alle Interessierten auch wählen gehen können. Zum Argument der Regierung, das Referendum sei verfassungswidrig gewesen, sagte er: "Es gibt Leute, die die Verfassung wie die Bibel interpretieren, die die absolute Wahrheit beinhaltet und wichtiger ist als der Wille des Volkes."
Mit Blick auf mögliche Festnahmen von katalanischen Regierungsmitgliedern sagte der 54-Jährige: "Das wird ein weiterer Fehler in der langen Liste sein. Nach jedem Fehler sind wir stärker geworden. Heute sind wir der Unabhängigkeit näher als noch vor einem Monat. Jede Woche haben wir nach jedem Fehler an Unterstützung in der Gesellschaft gewonnen. Ein klarer Schnitt wie die Übernahme der (katalanischen) Regierung oder meine Festnahme oder die anderer Regierungsmitglieder könnte der endgültige Fehler sein."
Konflikt keine innerspanische Angegelegenheit
Puigdemont verurteilte die Gewalt, mit der die spanische Polizei am Sonntag gegen die die Abstimmung vorgegangen sei. Rund 900 Menschen wurden nach katalanischen Angaben verletzt. "Solch einen unverhältnismäßigen und brutalen Gebrauch von Gewalt haben wir seit dem Tod von Diktator Franco nicht mehr gesehen", sagte er. Francisco Franco war nach dem Bürgerkrieg (1936 bis 1939) bis zu seinem Tod 1975 Diktator in Spanien. Während seiner Zeit wurde die katalanische Sprache und Kultur verboten. Politische Gegner ließ er gnadenlos verfolgen.
Der Katalonien-Konflikt ist aus Sicht von Puigdemont eine europäische Frage und keine innerspanische Angelegenheit. Zur Haltung der Europäischen Union sagte er: "Mir fällt es schwer, diese Gleichgültigkeit und das absolut fehlende Interesse, an dem was hier passiert, zu verstehen. Sie (die Europäer) wollten uns niemals anhören."
In der Region demonstrierten mehrere Hunderttausend Menschen für die Unabhängigkeit und gegen Polizeigewalt. Zugleich legte am Dienstag ein Generalstreik weite Teile des öffentlichen Lebens lahm. In Barcelona blieben die meisten Geschäfte und auch die Metro-Stationen geschlossen. Zu den Kundgebungen und dem Ausstand hatten Gewerkschaften und andere Organisationen aufgerufen.
Nach den Protesten schaltete sich König Felipe VI. mit scharfer Kritik an der Regionalregierung erstmals in den Konflikt ein. Die Führung in Barcelona bewege sich "außerhalb des Gesetzes" und setze "die wirtschaftliche und soziale Stabilität Kataloniens und ganz Spaniens aufs Spiel", sagte der Monarch am späten Dienstagabend in einer Fernsehansprache an die Nation.
Ermittlungen wegen Volksverhetzung
Die spanische Zentralregierung in Madrid übt ihrerseits Druck auf katalanische Behörden aus. So hat die Justiz Ermittlungen wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung gegen den Chef der katalanischen Polizei sowie Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung eingeleitet. Polizeichef Josep Luis Trapero und weitere Verdächtige hätten eine gerichtliche Vorladung erhalten, erklärte ein Justizsprecher in Madrid. Bei den Ermittlungen geht es um eine Großdemonstration gegen die spanische Polizeieinheit Guardia Civil in Barcelona am 20. September. Der katalanischen Regionalpolizei wird vorgeworfen, nicht gegen die Demonstranten vorgegangen zu sein.
fab/bri/sam (dpa, afp)