Ein "Camp" für syrische Flüchtlinge
2. April 2013Wenn der Syrer Riad Baroudi in seinem Camp in Mardsch Besucher empfängt, dann bittet er sie in sein Zelt. Mit seiner Frau und zwei erwachsenen Söhnen lebt er auf vier mal vier Metern. Auf dem Boden, um einen Teppich herum, sind dünne Schaumgummimatratzen ausgelegt. In der Mitte steht ein Ofen. Privatsphäre gibt es im Camp kaum, die Zelte stehen dicht an dicht. Riad Baroudi nimmt Platz und erzählt vom Alltag im Lager: "Das Leben hier ist sehr einfach. Wir frühstücken, beten und sprechen mit unseren Töchtern, die in Syrien und den USA sind. In diesem Camp läuft alles geregelt ab."
In drei Reihen sind 35 stabile, graue Zelte aufgestellt. An Befestigungsseilen dazwischen hängt Wäsche. Auf dem weißen Kies spielen Kinder, aus einem Zelt dringt Musik und beschallt das gesamte Gelände. "Es sind auch immer zwei Männer da, die sich um anfallende Reparaturen kümmern. Die restliche Zeit stehen sie am Eingang des Camps, um aufzupassen", erzählt Riad.
Das 20.000 Seelen-Dorf Mardsch liegt in der Bekaa-Ebene, im Osten des Libanon, ungefähr 20 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Wenn man genau hinhört, kann man aus der Ferne dumpfe Explosionen hören. Riad kann davon nachts oft nicht einschlafen und liegt lange wach. Mit den Gedanken sei er immer in Syrien, er mache sich Sorgen um seine drei Töchter, die mit ihren Ehemännern dort geblieben seien. Dennoch ist er froh, dass er mit seiner Familie in Mardsch unterkommen konnte, als sie Anfang Februar flohen. Riads Frau Salwa ist zum ersten Mal im Libanon: "Im Vergleich zu anderen Flüchtlingen geht es uns hier gut. Wir haben fließendes Wasser, Elektrizität und Gas zum Kochen. Aber natürlich sehne ich mich nach meiner Heimat."
Flüchtlinge im Libanon
Als Familie Baroudi im Libanon ankam, wollte sie eigentlich ein Zimmer mieten. 150 Dollar, mehr Budget hatten sie nicht. Doch dafür war nichts zu finden. Die Bekaa-Ebene ist eines der Hauptaufnahmegebiete für syrische Flüchtlinge im Zedernstaat. 150.000 sind es nach Angaben des Flüchtingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR). Weitere Tausende nicht-registrierte Flüchtlinge kommen nach Schätzungen hinzu. Bezahlbaren Wohnraum oder Sammelunterkünfte gibt es daher schon lange nicht mehr, unter 300 bis 400 Dollar ist eine Einzimmerwohnung kaum noch zu bekommen. Unbezahlbar für Flüchtlinge wie die Baroudis.
Auf eigene Initiative
In den Dörfern und auf den Feldern der gesamten Region sind die Flüchtlinge unübersehbar. Viele wohnen in selbstgebauten Hütten aus Plastikplanen und Stoffresten. Kein Vergleich zum Camp in Mardsch. Die über 20 Familien in Mardsch kommen aus Aleppo, Hama oder Damaskus, so wie Riad Baroudi. Die Baroudis hatten bereits in Syrien von Mardsch gehört, erzählt Riad. "Wir wussten, dass es hier einen Bürgermeister gibt, dem unser Schicksal nicht egal ist, der sich kümmert." Imad Shmouri, der Bürgermeister von Mardsch, handelt: "Wir konnten doch die Menschen nicht auf der Straße stehen lassen", sagt er. Als immer mehr Flüchtlinge ankamen, habe er nach einer Alternative gesucht und entschieden, auf einem Grundstück, das der Gemeinde gehört, Zelte aufzustellen. "Es ist zu einem Dorf im Dorf geworden."
Auf einem großen weißen Schild am Eingang des Camps steht der offizielle Name: Aufnahmezentrum für syrische Flüchtlinge. Die Fahnen der Unterstützerländer Saudi-Arabien und Libanon sind abgebildet. Auch ägyptische Nichtregierungsorganisationen unterstützen die Initiative. Die Bezeichnung „Aufnahmezentrum“ ist mit Bedacht gewählt. Denn das Wort „Flüchtlingslager“ ist im Libanon tabu. Dabei hat das Camp alles, was ein Flüchtlingslager ausmacht. „Es gibt einen klaren Beschluss vom libanesischen Staat, keine Lager aufzubauen“, sagt der Bürgermeister. „Daher haben wir diese Zeltansammlung einfach Zentrum genannt.
Das Wort Flüchtlingslager ist im Libanon mit den seit Jahrzehnten bestehenden Lagern für palästinensische Flüchtlinge verbunden. Eine dauerhafte Lösung für die Palästinenser im Zedernstaat ist nicht in Sicht. Keine libanesische Regierung kann es daher heute politisch durchsetzen, neue Lager aufzubauen.
Mehr Transitzentren nötig
So wie in der Bekaa-Ebene sind die Aufnahmekapazitäten auch in anderen Regionen im Libanon erschöpft. UNHCR-Vertreterin Ninette Kelly ist daher auch der Ansicht, dass dringend Transitzentren nach dem Vorbild von Mardsch im Libanon eingerichtet werden müssen. "In den Transitzentren könnten die neuen Flüchtlinge nach ihrer Ankunft unterkommen, bis wir anderswo eine geeignete Unterkunft organisieren können", sagt Ninette Kelly. "Wir brauchen ein Zentrum in der Bekaa-Ebene und ein Zentrum im Nordlibanon. Nun muss endlich eine politische Entscheidung von libanesischer Seite erfolgen, wie das umgesetzt werden soll." Nach dem Sturz der libanesischen Regierung Ende März ist allerdings kaum zu erwarten, dass die Suche nach geeigneten Standorten für Transitzentren vorangetrieben wird. Riad Baroudi und seine Familie können aber vorerst in Mardsch bleiben. Denn das Camp wurde auf unbestimmte Zeit gegründet und hat mit der libanesischen Regierung nichts zu tun.