John Cryan jetzt Deutsche-Bank-Chef
1. Juli 2015Während der Investmentbanker Jain die Bank verlassen muss, darf Co-Chef Jürgen Fitschen noch ein Jahr bleiben. Die beiden hatten Deutschlands größtes Geldhaus seit Juni 2012 gemeinsam geführt - ohne Erfolge. Der vielbeschworene "Kulturwandel" blieb aus, die Profite waren mickrig, und die zahlreichen Bußgelder und Prozesse machten der Bank zunehmend zu schaffen.
Als die Aktionäre dem Führungsduo auf der Hauptversammlung im Mai fast das Vertrauen entzogen, musste Aufsichtsratschef Paul Achleitner handeln. Er präsentierte John Cryan (Artikelbild) als neuen Co-Chef, der das Haus ab Mai 2016 dann alleine führen soll. Vor ihm liegt nun eine gewaltige Aufgabe.
"Cryan muss das Vertrauen der Investoren zurückgewinnen, die Details der neuen Strategie ausarbeiten und vor allem Ruhe ins Haus bringen", sagt Helmut Hipper, Portfoliomanager der Fondsgesellschaft Union Investment, die zu den 20 größten Aktionären der Bank zählt.
Stationen einer Karriere
Als Vorteil könnte sich dabei erweisen, dass Cryan von aussen kommt und beim Aufräumen nicht auf hauseigene Netzwerke Rücksicht nehmen muss. Der 54-jährige Brite begann seine Karriere nach dem Studium in Cambridge als Wirtschaftsprüfer bei Arthur Andersen und wechselte später zur Londoner Investmentbank S.G. Warburg. Die ging nach einer Reihe von Fusionen in der Schweizer Großbank UBS auf, wo Cryan in den turbulenten Jahren von 2008 bis 2011 Finanzchef war.
In dieser Zeit ist es ihm nach Aussagen von Brancheninsidern gelungen, ein Kulturwandel einzuleiten: weg von den schnellen, aber hochriskanten Profiten, hin zu einem seriöseren Geschäftsmodell.
Nach einem Disput mit dem damaligen UBS-Chef wechselte Cryan 2012 dann als Europa-Chef zum singapurischen Staatsfonds Temasek Holding. In dieser Funktion saß er seit 2013 auch im Aufsichtsrat der Deutschen Bank, wo er den Ausschuss für die Rechnungsprüfung leitete und auch im Ausschuss für Risikomanagement saß.
"Langweilig ist wieder in"
Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Anshu Jain spricht Cryan gut Deutsch und gilt als vorsichtig, pragmatisch und auch ein wenig langweilig. "Langweilig ist wieder in", zitiert die BBC den Headhunter John Purcell, "und Cryan ist genau der Mann, den die Deutsche Bank jetzt braucht".
Durch seine Zeit im Aufsichtsrat der Deutschen Bank kennt Cryan das Haus gut - trägt aber zumindest auch Mitverantwortung für den aktuell desolaten Zustand der Bank. So hatte er als Kontrolleur der "Strategie 2020" zugestimmt, jenem Plan, der die Bank in eine bessere Zukunft führen soll, aber von Investoren als zu wenig konkret kritisiert worden war.
Im Kern geht es dabei ums Abspecken: Die Postbank soll verkauft, viele Filialen geschlossen und das Investmentbanking gestärt werden. Diesen Plan, noch von Jain und Fitschen verkündet, muss Cryan jetzt umsetzen. Details, wie das geschehen soll - und wie viele Mitarbeiter gehen müssen - werden für den Herbst erwartet.
Ein weiteres Problem, das Cryan bald angehen muss, ist die gewaltige Kapitallücke. Seine Vorgänger haben in den vergangenen Jahren das Eigenkapital erhöht, um den strengeren Anforderungen der Regulierer gerecht zu werden. Doch Bußgelder in Milliardenhöhe, Rechtskosten für zahlreiche Prozesse und der Konzernumbau selbst verschlingen Unsummen. Einige Analysten rechnen damit, dass sich die Deutsche Bank bis zu zwölf Milliarden Euro an frischem Geld besorgen muss.
Frisches Geld
Es ist also gut möglich, dass Cryan schon kurz nach seinem Antritt die Aktionäre um eine weitere Kapitalerhöhung bittet. Die werden das nicht gerne hören, aber immerhin ist Cryan mit ihrer Unterstüztung an die Macht gekommen. Im Gegenzug müsste er zu einem harten Sparkurs bereit sein.
"Die Bank kann locker zehn Prozent ihrer rund 100.000 Mitarbeiter abbauen", zitiert die Nachrichtenagentur Reuters einen Vertreter der zehn größten institutionellen Anleger der Bank. Der neue Chef kann zum Amtsantritt also kaum mit einer Schonfrist rechnen.
Die Umstände seiner Ernennung beschäftigen unterdessen bereits die deutsche Finanzaufsicht (Bafin). Börsennotierte Unternehmen müssen wichtige Nachrichten, die den Kurs ihrer Aktie bewegen können, umgehend ("ad hoc") bekanntgeben. So soll verhindert werden, dass Insider früher als andere Anleger Aktien kaufen und verkaufen können.
Beim Vorstandswechsel der Deutschen Bank haben die Finanzaufseher Zweifel und prüfen derzeit, "ob die Ad-hoc-Mitteilung [...] rechtzeitig veröffentlicht worden ist", so ein Bafin-Sprecher. Denn bereits zwei Stunden vor der offiziellen Bekanntgabe am 7. Juni hatte das "Wall Street Journal" über den anstehenden Rücktritt von Jain und Fitschen berichtet.