Deutsche-Bank-CEO: Kenner ohne Altlasten
8. Juni 2015Wie es sich für einen britischen Top-Manager gehört, hat John Cryan in "Oxbridge" studiert. Das heißt, er hat gleich an beiden Top-Universitäten des elitären Hochschul-Systems von Großbritannien studiert: Oxford und Cambridge.
Von dort ging er, wie viele Oxbridge-Absolventen, direkt in die City of London, das Bankenviertel der britischen Hauptstadt. Im zarten Alter von 21 Jahren begann er für die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Andersen zu arbeiten, die damals zu den größten der Welt gehörte. In den folgenden fünf Jahren lernte er alles über die Bilanzen der Hochfinanz.
Das allein hätte wohl nicht gereicht, um Cryan für den CEO-Posten der Deutschen Bank zu qualifizieren. Doch in seinem Lebenslauf findet sich eine Reihe weiterer Argumente, die ihn für die Leitung des größten deutschen Geldhauses qualifizieren könnten.
Erfahrung mit Deutschland
1987 wechselte Cryan zu S.G. Warburg, einer Investmentbank mit deutschen Wurzeln. Zwei vor dem Holocaust geflohene Mitglieder der jüdischen Familie Warburg hatten sie nach dem Zweiten Weltkrieg in London gegründet und später ihre Kontakte nach Deutschland wieder aufleben lassen.
Cryan leitete das Deutschland-Geschäft von S.G. Warburg von 1990 bis 1992. Zeit genug, um nicht nur das Land und seine Finanzmärkte kennenzulernen, sondern auch eine passable Sprachkompetenz zu erwerben.
Erweiterung des Horizonts
1995 wurde die Londoner Warburg-Sektion vom Schweizerischen Bankenverein übernommen und ging später in der größten eidgenössischen Bank UBS auf. Cryan blieb dabei und machte Karriere: zunächst in der Financial Institutions Group in London, also dem UBS-Teil, der für institutionelle Anleger wie Banken und Versicherer zuständig ist. 2008 wechselte er als Finanzchef in den Züricher Konzern-Vorstand und wurde 2010 Vorstandsvorsitzender der Sektion für Europa, den Nahen Osten und Afrika, trat aber bereits Ende des Jahres "aus persönlichen Gründen" von diesem Posten zurück.
Schon im Folgejahr 2011 nahm er die Arbeit wieder auf, um das Europa- und Afrika-Geschäft für den Singapurischen Staatsfonds Temasek zu leiten. Schon damals, nachdem er die UBS Bank als Finanzvorstand durch die Finanzkrise von 2007/2008 gesteuert hatte, galt der besonnene Brite als Anwärter auf den Chef-Posten bei einer europäischen Großbank.
Die Gerüchte wurden lauter, nachdem er seinen Managerposten Mitte 2014 zugunsten einer Beraterstelle bei Temasek aufgab, um mehr Zeit für die diversen Aufsichtsratssitze zu haben, die er inne hatte: beim britischen Hedgefonds Man Group, den Temasek-Gesellschaften ST Asset Management und Tana Africa Capital - und bei der Deutschen Bank.
Insider mit weißer Weste
Seit 2013 sitzt Cryan im Aufsichtsrat der Deutschen Bank. Dort ist er - bis er in den Vorstand wechselt - Vorsitzender des Prüfungsausschusses und Mitglied im Risikoausschuss. Cryan redet also bereits seit einiger Zeit mit, wenn es um die Führung der Deutschen Bank geht. So fällt sein Mandat zwar in die anhaltend schwierige Phase, in der die Führungsspitze um eine strategische Neuausrichtung der Deutschen Bank kämpft. Doch er ist nicht lange genug dabei, als dass man ihm die aktuellen Probleme des Unternehmens anlasten könnte.
Die Doppelspitze im Vorstand aus Jürgen Fitschen und Anshu Jain wurde auf der Hauptversammlung im Mai 2012 berufen. Da managte Cryan noch in Vollzeit die Europa-Anlagen von Temasek. Im Gegensatz zu Fitschen und Jain arbeitete er also auch noch nicht im Unternehmen, als sich Manager der Deutschen Bank die unzähligen Vergehen leistet, die nun eine Flut von Gerichtsprozesse und Geldstrafen nach sich ziehen und die Bilanzen des Geldhauses belasten.
Nachdem auf der Hauptversammlung im Mai 2015 noch kein befriedigendes Strategiekonzept vorlag, hinterfragten Mitglieder der Führungsspitze, Fitschen und Jain eingeschlossen, ob die Doppelspitze noch im Interesse des Unternehmens sei. Auf der Suche nach einem Nachfolger rückte Cryan schnell in den Fokus. Zwei Wochen später kündigten beide ihren Rücktritt an.
Aufräumer mit Vertrauensvorschuss
Aufsichtsratschef Paul Achleitner sagte, er sei überzeugt, dass Cryan der richtige Mann zur richtigen Zeit sei, weil er das Unternehmen zwar schon gut kenne, aber dennoch eine externe Perspektive mitbringe. Und weil er eben nicht mit den Problemen der Vergangenheit in Verbindung gebracht werden könne.
Anfang Juli wird Cryan vom Aufsichtsrat in den Vorstand der Deutschen Bank wechseln - zunächst an der Seite von Jürgen Fitschen. Nach der nächsten Hauptversammlung im Mai 2016 soll er alleiniger CEO der Großbank werden.
Cryan gilt als Mann von gnadenloser Effizienz und als unbeirrbarer Bilanzanalyst. Aus der Branche schlägt ihm deshalb Vertrauen entgegen: "Wir glauben, dass John Cryan in der Lage ist, die Größe der Investmentbank sehr viel exakter beurteilen kann als Anshu Jain", sagt Stuart Graham, Leiter des Londoner Analystenhauses Autonomous Research. Und auch die Anleger goutierten den Wechsel: Die Aktie der Deutschen Bank legte am Montag um mehr als sieben Prozent zu.
Die Erwartungen an Cryan scheinen klar: Er soll die Augiasställe der Deutschen Bank ausmisten. Der nüchterne Brite selbst formuliert es zurückhaltender: "Unsere Zukunft hängt davon ab, wie gut wir unsere Strategie umsetzen, unsere Kunden überzeugen und die Komplexität reduzieren."