Ein Deutscher für Rumänien
4. November 2019Im geräumigen Wohnzimmer in Berlin liegen die letzten Umzugskartons. Die meisten sind schon im Transporter. Mit einem Hauch Nostalgie zeigt mir Dominic Samuel Fritz die Aussicht aus seiner Altbau-Wohnung: "Diesen Balkon werde ich vermissen." Als Wahlberlinerin kann ich seinen Abschiedsschmerz verstehen. Doch seine Begeisterung wird wieder spürbar, als der 36-Jährige von seinen Plänen erzählt: Er möchte Oberbürgermeister von Temeswar (Timisoara) in Rumänien werden, in der Stadt, die er "so sehr liebt". Seit 2015 dürfen EU-Bürger in Rumänien bei Kommunalwahlen auch für das Amt des Bürgermeisters kandidieren.
Am nächsten Tag ist es soweit. Dominic verlässt Berlin, auf unbefristete Zeit. Und damit auch seinen bisherigen Job als Büroleiter des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler. Echt? Hätte ich so etwas gemacht, frage ich mich heimlich - als gebürtige Temeswarerin?
Etwa 1200 km lang ist der Weg bis zur westlichsten Großstadt Rumäniens, die im Dreiländereck an der Grenze zu Ungarn und Serbien liegt. Einen direkten Flug aus Berlin gibt es nicht mehr. Dieses Mal möchte Dominic nach Budapest, in die ungarische Hauptstadt, fliegen und von dort noch etwa drei Stunden mit dem Bus bis zu seinem Ziel fahren. Die Strecke Berlin-Temeswar und zurück kennt er bereits auswendig, denn seit 16 Jahren pflegt der Deutsche enge Beziehungen zu Temeswar. Aber dieses Mal ist es ein One-Way-Ticket.
#dominicbürgermeister
Es war 2003, als Dominic nach dem Abitur ein freiwilliges Jahr in einem Kinderdorf im Temeswarer Bezirk Freidorf machte. Und damals schon, erzählt er, verliebte er sich in die Stadt. Immer wieder kehrte er hierher zurück, auch während und nach seinem Studium der Politikwissenschaft und Verwaltung in Deutschland, Frankreich und England.
"Nach zehn Jahren internationaler Zusammenarbeit, Diplomatie und Public Management möchte ich meine Leidenschaft für die öffentliche Ordnung in einem konkreten und lokalen Kontext umsetzen, da, wo mein Herz schlägt, wo mein Zuhause geworden ist: in Temeswar. Als Bürgermeister." Das schreibt Fritz auf seiner neuen Website, deren übersetzte URL "Dominicbürgermeister" heißt. Der gleiche Hashtag (auf Rumänisch #dominicprimar) kursiert bereits auf allen sozialen Plattformen. Meistens gefolgt von hunderten Daumen hoch oder Herzchen-Emojis.
In der rumänischen Zivilgesellschaft ist Dominic inzwischen bekannt. Er nahm Teil an den Antikorruptionsprotesten in Bukarest und Temeswar, leitete unterschiedliche soziale und kulturelle Projekte und wurde auf einmal, "ohne es zu merken", wie er sagt, Politiker. Im Sommer 2019 wählte ihn die Newcomer-Partei Union Rettet Rumänien (USR) zum Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters. Die Kommunalwahlen finden im Juni 2020 statt.
"Gefahr" für seinen Kontrahenten
Bei Facebook und anderen sozialen Netzwerken ist seine Popularität stark gewachsen. Sicherlich auch deshalb, weil plötzlich ein ausländischer Staatsbürger die Probleme der Stadt lösen möchte.
Aber auch, weil er eben nicht wie ein gewöhnlicher Politiker wirkt. "Hey Dominic, lass uns mal quatschen", ruft ein Mann aus einem schicken Café, als ich das Interview mit dem frischgebackenen Kandidaten führe. Auch im Netz duzen ihn die meisten und freuen sich auf seine witzigen Ideen im Rahmen der Wahlkampagne. Sein jüngster Clou: Er hat die Temeswarer aufgerufen, am 1. Dezember, dem Nationalfeiertag Rumäniens, unbekannte Mitbürger zum Abendessen einzuladen. 101 Gastgeber sollen es werden, weil das moderne Rumänien seinen 101. Jahrestag feiert. "Der Hundertunderste werde ich selbst sein", schmunzelt er.
Eine konkrete Vision für die Stadt hat Dominic Samuel Fritz auch: Den öffentlichen Verkehr will er modernisieren, jedem Bezirk seinen Charakter zurückgeben, Temeswars Rolle als regionaler Mittelpunkt für Wirtschaft, Technologie und Kultur verstärken, die Digitalisierung der Verwaltung voranbringen.
Sein Gegenkandidat, der seine zweiten Amtszeit leistende liberale Bürgermeister Nicolae Robu, dürfte alles andere als entspannt bleiben. Der ehemalige Rektor der Politechnischen Universität Temeswar (UPT) geriet immer wieder wegen eigenwilligen Entscheidungen in die Kritik. 2021 wird Temeswar Kulturhauptstadt Europas und viele Bürger hätten sich eine konsequentere Vorbereitung dafür gewünscht. "Im Moment agiert die Stadtverwaltung wie eine Bremse für die ganze Innovationskraft, die Kreativität in der Stadt", so Fritz. " Für mich geht es darum, das unglaubliche Potenzial, das in der Stadt steckt, zu heben."
Fritz möchte die Mentalität der Rumänen ändern
Auf die Frage, was ihn an Rumänien nervt, lacht Dominic und antwortet knapp: "Die Unpünktlichkeit." Und fügt hinzu: "Am meisten nervt mich aber, dass sie ansteckend ist."
Tatsache ist, dass der Deutsche auch auf die Mentalität der Rumänen einwirken will. Viel Glück damit!, denke ich mir. "Es gibt in Rumänien so eine Art Spruch. Eigentlich ganz absurd, es ist eine Frage und dann eine Antwort, die man sich gleich im selben Satz noch gibt: 'Ach, was kann man machen?' Und die Antwort: 'Man kann sowieso nichts machen.' Und das habe ich aufgegriffen in dem Clip, mit dem ich meine Kandidatur bekanntgegeben habe, und ich habe die ganze Sache dann gedreht: 'Was kann man machen? Man kann was machen!'"
Der Clip hatte schnell über 220.000 Aufrufe auf Facebook. Das sind etwa zwei Drittel der Einwohnerzahl Temeswars. Sollte das Wahlergebnis im nächsten Jahr ähnlich aussehen, verliert Dominic für lange Zeit die schöne Aussicht von seinem Berliner Balkon. Dafür wird eine ganze Menge frischer Luft in das Temeswarer Rathaus einziehen.