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EGMR: Türkei muss Yücel Schadenersatz zahlen

25. Januar 2022

Knapp vier Jahre nach der Freilassung des Journalisten Deniz Yücel aus türkischer Haft hat der Menschenrechtsgerichtshof über dessen Beschwerde entschieden.

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Deutschland Berlin 2019 | Deniz Yücel, deutsch-türkischer Journalist und Publizist
Deniz Yücels Untersuchungshaft in der Türkei war ungemessen, wie der EGMR nun entschied (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa/C. Soeder

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Türkei wegen der Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel verurteilt. Das Vorgehen der Justiz habe die Menschenrechte Yücels auf Freiheit und Sicherheit sowie auf freie Meinungsäußerung verletzt, heißt es in der Entscheidung der Straßburger Richter. Ankara muss nun 12.300 Euro Entschädigung an den Journalisten zahlen und 1000 Euro an Verfahrenskosten erstatten. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig - die Prozessparteien können es innerhalb von drei Monaten anfechten.

Hintergrund ist eine Beschwerde des deutsch-türkischen Journalisten. Der "Welt"-Korrespondent war von Februar 2017 bis Februar 2018 ohne Anklageschrift im Hochsicherheitsgefängnis Silivri westlich von Istanbul inhaftiert. Der heute 48-Jährige sieht dadurch seine Menschenrechte verletzt. Konkret zielte seine Beschwerde auf die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzugs wie auch auf dessen Dauer (Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention). Weiter warf er der Türkei die Verletzung seiner Meinungsfreiheit (Artikel 10) und eine politisch motivierte Begrenzung der Rechtseinschränkungen (Artikel 18) vor.

"Vorwürfe durch Vernehmungen bekannt"

Hinsichtlich der Verletzung des Rechts auf Freiheit verwies der EGMR darauf, dass schon das türkische Verfassungsgericht die Untersuchungshaft Yücels aufgrund fehlender stichhaltiger Gründe als unverhältnismäßig bewertet habe. Yücels Beschwerde wegen der Dauer der Freiheitsentziehung (Artikel 5 Paragraf 3) erübrigte sich damit aus Sicht des Straßburger Gerichtshofs. Auch sah das Gericht anders als Yücel im fehlenden Zugang zu Ermittlungsakten keinen Bruch der Menschenrechtskonvention (Artikel 5 Paragraf 4), da er durch die Vernehmungen hinreichende Kenntnis von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen gehabt habe.

Türkei Gefängnis in Silivri
Im Hochsicherheitsgefängnis Silivri bei Istanbul musste Deniz Yücel einsitzen (Archivbild)Bild: Mehmet Guzel/AP/picture alliance

Als unbegründet wies der EMGR ferner die Beschwerde wegen eines zu langen Verfahrens vor dem türkischen Verfassungsgericht zurück (Artikel 5 Paragraf 4). Hingegen beurteilte er die vom Verfassungsgericht gewährte Entschädigung von rund 3700 Euro als "offensichtlich unzureichend" angesichts der Umstände des Falls (Artikel 5 Paragraf 5).

Da aus Sicht des EMGR kein hinreichender Verdacht auf eine Straftat Yücels vorlag, habe die Untersuchungshaft sein Recht auf Meinungsfreiheit verletzt. Die Straßburger Richter unterstellten dieser Maßnahme eine abschreckende Wirkung mit dem Effekt, die Zivilgesellschaft in der Türkei einzuschüchtern und abweichende Stimmen verstummen zu lassen.

"In Teilen enttäuschend"

In einer ersten Stellungnahme erklärte Yücel, er halte das Urteil "in Teilen für enttäuschend". So habe der EGMR keinen Verstoß gegen das Folterverbot festgestellt - " trotz der neunmonatigen Isolationshaft, trotz der körperlichen und psychologischen Misshandlung" der er im Hochsicherheitsgefängnis Silivri drei Tage lang ausgesetzt gewesen sei.

Der Schriftstellerverband PEN-Zentrum Deutschland begrüßte das Urteil, äußerte aber auch Kritik. Zwar habe das Gericht bestätigt, dass Yücel "nur aufgrund seiner journalistischen Arbeit verfolgt" worden sei. Es habe aber weder einen Verstoß gegen das Folterverbot noch ein politisch motiviertes Verfahren festgestellt. Yücel ist seit Oktober Präsident des deutschen PEN-Zentrums.

Tauziehen zwischen Ankara und Berlin

Yücel war erst nach langem politischen Tauziehen zwischen Ankara und Berlin 2018 freigekommen und konnte ausreisen. Gleichzeitig wurde jedoch Anklage erhoben. Im Juli 2020 wurde Yücel in Abwesenheit wegen Terrorpropaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK zu knapp zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Hiergegen hatte der Journalist Revision eingelegt. Eine Entscheidung steht noch aus.

Strassburg Europäscher Gerichtshof EGMR
Noch während seiner Haft hatte Deniz Yücel Beschwerde beim EGMR in Straßburg erhoben (Archivbild)Bild: Winfried Rothermel/picture alliance

Menschenrechtler hatten das Verfahren in der Türkei als politisch motiviert eingestuft. Die Türkei steht auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 153 von 180, noch hinter Venezuela, der Demokratischen Republik Kongo und Russland. Spätestens seit dem Putschversuch im Jahr 2016 geht die Regierung mit großer Härte gegen kritische Journalisten vor. Viele Medienvertreter sitzen wegen ihrer Arbeit im Gefängnis.

jj/sti (dpa, afp, kna)