Wahlen in Ecuador: Im Schatten der Gewalt
18. August 2023Agustín Intriago, Fernando Villavicencio, Pedro Briones: drei führende Politiker, ermordet innerhalb von wenigen Wochen in Ecuador. Wenige Tage vor der vorgezogenen Wahl am Sonntag spitzt sich die Lage im südamerikanischen Land weiter zu.
Die Gewalt hat die politische Landschaft Ecuadors fest im Griff. "Politische Konflikte werden mit Gewalt gelöst. Und das ist ein echtes Problem", sagt Efrén Guerrero, Politikwissenschaftler an der Pontificia Universidad Católica del Ecuador, in einem Interview der DW. "Ecuador geht müde und mit Angst in die Wahlen."
Ein "failed state”?
Die Krise habe sich angekündigt, meint Wolf Grabendorff, ehemaliger Vertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Ecuador. Was sich jedoch jetzt zeige, sei "das strukturelle Ausmaß dieser Krise, die sichtbar macht, dass die verschiedenen kriminellen Gruppen eben doch in diesem Staat eine große Rolle spielen". Die Morde seien eine Machtdemonstration, ergänzt der Experte.
Die Gewalt scheint dabei nicht zwischen politischen Lagern zu unterscheiden: Während Villavicencio für sein vehementes Anprangern der Korruption bekannt war und als Gegner des "Correísmo", der politischen Strömung des ehemaligen Präsidenten Rafael Correa, galt, war Briones Mitglied der Partei von Correa.
Die geschwächte Regierung kann die Krise nicht mehr auffangen. Der Rechtsstaat habe sich selbst abgeschafft, fasst Grabendorff die Lage zusammen, insofern, als dass "ein Großteil der Bevölkerung kein Vertrauen in den Rechtsstaat mehr hat". Denn Korruptionsvorwürfe gegen den liberalen Präsidenten Guillermo Lasso haben seinen Rückhalt in der Bevölkerung schwinden lassen. Der Vorwurf: Lasso soll im Zusammenhang mit Öltransportverträgen Geld veruntreut haben. Lassos Schwager steht außerdem unter dem Verdacht, Verbindungen zur albanischen Mafia zu unterhalten. Beide weisen alle Vorwürfe zurück.
Der Politologe Guerrero meint, Lasso habe "seine politische Handlungsfähigkeit verloren". Das ging so weit, dass Lasso Mitte Mai kurzerhand das Parlament auflöste und Neuwahlen ausrief - etwas, das die ecuatorianische Verfassung erlaubt, in der Geschichte des Landes aber noch nie passiert ist. "Die Demokratie ist in Gefahr", warnt Grabendorff.
Pulverfass Ecuador
Ecuador erholt sich nur langsam von der durch die COVID-19-Pandemie beschleunigten Wirtschaftskrise. Nach Angaben des Nationalen Instituts für Statistik und Volkszählung (INEC) ist das Armutsniveau noch immer höher als vor der Pandemie, jeder vierte Ecuadorianer lebt in Armut.
Hinzu kommt, dass die Gewalt in Ecuador zunimmt. Galt das Land früher als eines der stabilsten in der Region, ist es heute eines der blutigsten. Zwischen 2020 und 2022 stieg die Mordrate um 245 Prozent und liegt heute höher als in Mexiko. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres zählte die Nationalpolizei 3568 gewaltsame Todesfälle.
Aus Expertensicht hängt diese Entwicklung eng mit dem grassierenden Drogenhandel zusammen. Ecuador liegt zwischen den beiden größten Kokainproduzenten Kolumbien und Peru - und hat nach Angaben der Vereinten Nationen in diesem Jahr Kolumbien, den Hauptproduzenten von Kokain, als Exporteur der Droge überholt.
"Es gibt eine Wirtschaftskrise, eine emotionale Krise und eine Sicherheitskrise, aber auch eine massive Krise der psychischen Gesundheit", fasst Efrén Guerrero zusammen. Tatsächlich verlassen immer mehr Menschen das Land und auch die Suizidrate ist gestiegen.
Wie einst in Kolumbien
Der starke Einfluss der Mafia auf die Politik und die Ermordung von Präsidentschaftskandidaten legen den Vergleich mit Kolumbien in den 1980er Jahren nahe. "Was Kolumbien in den 80er Jahren und Mexiko in den 90er Jahren erlebt hat, erlebt Ecuador heute", sagte der Präsidentschaftskandidat und ehemalige Vizepräsident Otto Sonnenholzner der kolumbianischen Tageszeitung El Espectador.
Der Vergleich sei zutreffend, meint Wolf Grabendorff. Allerdings habe sich die Dynamik des Drogenhandels im Zuge der Globalisierung verändert. Während Kolumbien damals von nationalen Kartellen wie dem Medellín- und dem Cali-Kartell beherrscht wurde, steht Ecuador unter dem Einfluss internationaler, auch mexikanischer und sogar europäischer Akteure.
Jan Topic, der Outsider
Was kann sich die Bevölkerung von den Wahlen versprechen? "Unsere Agenda, die von uns allen unterscheidet, ist Sicherheit, Wirtschaft und Stabilität, Wohlstand", kommentiert der ecuadorianische Politologe Efrén Guerrero. Die jüngsten Attentate haben jedoch das Vertrauen der Bevölkerung in das politische System weiter erschüttert. Nur ein Kandidat scheint von der Krise zu profitieren: Jan Topic.
Der milliardenschwere Geschäftsmann mit militärischer Ausbildung positioniert sich selbst als Außenseiter, rechnet sich weder der Linken noch der Mitte oder der Rechten zu und behauptet, er habe ein "völlig unpolitisches Entscheidungsschema". Sein Vorschlag, die Gewalt mit einer Politik der "mano dura" (eiserne Faust) im Stil von El Salvadors Präsident Bukele einzudämmen, scheint in der Bevölkerung Anklang zu finden: Der ehemalige Scharfschütze legt in den Umfragen weiter zu.
Was die Wahlen dominieren wird, sind nach Ansicht von Experten Anti-Correísmo und Frustration. "Die Menschen haben die Nase voll", sagt Efrén Guerrero. Wolf Grabendroff kommt zu dem Schluss, dass "es definitiv eine Protestwahl werden wird" - und die Wahlen vermutlich nicht die ersehnte Stabilität bringen werden.