Hollands Deiche wegen Dürre in Gefahr
9. August 2022Nachts um zwei Uhr kam das Wasser. Ein Wohnviertel in dem Dorf Wilnis bei Utrecht in den Niederlanden wurde überflutet. 1500 Menschen mussten evakuiert werden, weil ihre Häuser im Wasser standen. Auf 60 Metern Länge hatte ein alter Deich nachgegeben. Mitten im Sommer, am 26. August 2003, nicht etwa im Winter in einem Sturm.
Es war ein sehr trockener Sommer damals. Schnell wurde den verantwortlichen Deichbauern klar, dass der Deich regelrecht ausgetrocknet war, deshalb sein Gewicht verloren hatte und dem Wasser des Flusses nicht mehr hatte standhalten können. Viele hundert Kilometer Deich sind nämlich aus Torf gebaut worden, der sich wie ein Schwamm verhält. Wird das Material zu trocken, wird es leicht und porös.
Deichläufer kontrollieren
Einen Deichbruch hat es in diesem heißen Sommer 2022 noch nicht gegeben, aber die niederländischen Behörden haben einen Dürre-Notfallplan in Kraft gesetzt, der auch verstärkte Kontrollen der Deiche vorsieht. "Die Dürre verursacht Löcher und Risse an der Oberfläche der Deiche. Das kann ihre Stabilität bedrohen", sagt Arjan Goossen vom Wasserverband in Zeeland, einer Provinz im Süden der Niederlande.
Die Mitarbeiter der Wasser-Behörde und freiwillige Helfer laufen deshalb die Deiche ab, um nach Rissen zu suchen. "Wir schauen uns wörtlich mit den eigenen Augen an, was los ist", meint Arjan Goossen im Gespräch mit der DW. "Wir verzeichnen die Risse und im Herbst füllt der Regen die Deiche wieder auf. Wenn das nicht reicht, füllen wir Wasser nach." Die großen Deiche in Zeeland, die die Wellen der Nordsee abhalten sollen, jetzt zu bewässern, hätte wenig Sinn, erklärt der Sprecher des Wasserverbandes. Die großen Deiche seien so ausgetrocknet, dass Bewässern mitten in der Sommerhitze einfach verpuffen würde.
Die Deiche direkt am Meer sind nicht aus Torf, sondern aus Erdreich und Lehm gebaut. Sie können nicht so einfach brechen wie Deiche aus Torf. Aber im Winter, wenn die Sturmfluten kommen und das Meer an den Deichen nagt, müssen die Risse wieder aufgefüllt sein. "Wir werden im Herbst eine Menge Arbeit haben", sagt Arjan Goossen voraus.
Wasser auf die Deiche
Kleinere Deiche aus Torf, die man hauptsächlich im Inland an Kanälen und Flüssen gebaut hat, werden mit speziellen Schiffen bewässert. Sie pumpen Wasser aus den Kanälen auf die Böschungen. Diese Einsätze nehmen zu, denn bereits 2018, 2019 und 2020 herrschte in den Niederlande eine Dürre. Jedes Jahr fiel zu wenig Regen, um die Deiche zu wässern und das Grundwasser wieder komplett aufzufüllen. Landwirte dürfen im Süden der Niederlande kein Wasser mehr aus Kanälen und Flüssen zur Bewässerung ihrer Felder einsetzen. Die Ernten beim Agrarexport-Weltmeister Niederlande fallen dieses Jahr wohl schlechter aus, befürchten die Bauernverbände, die mit der Regierung sowieso schon wegen der bevorstehenden Einschränkung von Pestiziden im Clinch liegen.
"Die Niederlande sind ein Land des Wassers. Und hier wird Wasser sehr wertvoll", meinte der zuständige Minister für Wasserwirtschaft, Mark Harbers, als vergangene Woche von der Regierung der Notstand erklärt wurde. "Priorität hat es jetzt, dass die lebenswichtigen Deiche sicher bleiben. Danach kommt das Trinkwasser und danach die Energieversorgung." Zwei Drittel der Bevölkerung leben in Regionen, die unter dem Meeresspiegel liegen. Rotterdam und Amsterdam würden ohne intakte Deiche und Pumpsysteme überflutet. In Amsterdam sind Mitarbeiter der Stadtverwaltung dabei, mit Wasser aus Feuerwehrschläuchen die Dämme der Stadt feucht und damit schwer genug zu halten. Deiche und Entwässerung sind für die Niederlande überlebenswichtig, wie die Grafik zeigt.
Klimawandel zwingt zu höheren Deichen
In Zeeland, direkt am Meer, ist der steigenden Meeresspiegel das größte Problem. Wegen der Erderwärmung und schmelzenden Eises an den Polen wird der Druck auf die Deiche aus Steinblöcken und Erde jedes Jahr größer. "Wir führen deshalb ein Programm zur Ertüchtigung der Deiche durch. Wir machen sie stärker und höher gegen den Klimawandel", erläutert Arjan Goossen von der Behörde für Wassermanagement in Zeeland. Dabei wird auch darauf geachtet, dass die Deiche gegen Dürren geschützt werden. Am grundsätzlichen Konstruktionsprinzip ändert sich aber nichts.
Seit Jahren beobachten die Wasserverbände, dass das Wassersystem der Niederlande langsam austrocknet und nicht genug Regen fällt, um es aufzufüllen. Das führt auch zur Versalzung des Grundwassers und Behinderungen für den Schiffsverkehr. Die Nutzung vieler Schleusen musste für diesen Sommer bereits eingeschränkt werden, weil das Meer Salzwasser in die Flüsse drückt.
Die Niederlande haben sich bislang auf regelmäßige Regenfälle verlassen. Es gibt keine unterirdischen Wasserspeicher in Kavernen oder große Stauseen als Rückhaltesystem. Das könnte sich in Zukunft ändern müssen. Es gibt zahlreiche Vorschläge in wissenschaftlichen Studien und von regionalen Wasserbehörden: Entweder sollten unterirdische Speicher für Regenwasser gebaut oder Nebenarme des Rheins, der aus Deutschland kommend bei Rotterdam in die Nordsee mündet, aufgestaut werden. Den Platz für einen solchen Stausee in den dicht besiedelten Niederlanden zu finden, ist allerdings nicht einfach.