Totenrituale rund um den Globus
31. Oktober 2024Die Pharaonen im alten Ägypten wurden einbalsamiert - ebenso wie in späteren Jahrhunderten einige andere Herrscher, darunter der französische Sonnenkönig Ludwig XIV. oder der kommunistische Staatsführer Lenin. Die Botschaft: Ihre Körper sind tot, aber sie sind unsterblich. Ein Glaube, der in vielen Kulturen verankert ist. Wir stellen einige Zeremonien rund um den Tod vor.
Día de Muertos: Mexikanischer Tag der Toten
Grinsende Skelette tanzen auf den Straßen, Bäckereien verkaufen "pan de muerto", Totenbrot in Knochenform, Schaufenster sind mit Totenschädeln aus glitzerndem Zuckerguss dekoriert. Am Día de Muertos feiern die Mexikaner den Tod. Auch wenn das zunächst makaber anmuten mag: Der Tag der Toten ist ein fröhliches und farbenfrohes Spektakel. Der Glaube besagt, dass die Verstorbenen zu diesem Anlass aus ihrem ewigen Schlaf erwachen und ihre Lieben besuchen. Deswegen stellen die Familien "Ofrendas" auf, reich geschmückte Totenaltäre mit allerlei Gaben, einem Foto der Verstorbenen und gelborangen Studentenblumen. Ihre leuchtende Farbe soll den Toten den Weg vom Friedhof nach Hause zeigen.
In vielen Regionen Mexikos werden zum Día de Muertos farbenfrohe Paraden abgehalten. Das Fest dauert vom 31. Oktober bis zum 2. November. Am letztem Tag strömen die Lebenden zum Friedhof und lassen sich zum Picknick auf den herausgeputzten Gräbern ihrer Ahnen nieder. Tequila und Zigarren werden gereicht, es wird getanzt und gesungen.
Die intensive Auseinandersetzung mit dem Sterben und dem Leben nach dem Tod hat in Mexiko eine lange Tradition - und nichts mit Halloween zu tun, wie viele meinen. Schon die Hochkulturen der Mayas und Azteken glaubten, der Tod sei nur der Anfang eines neuen Lebens in einer Parallelwelt. Mit der Ankunft der spanischen Eroberer vermischten sich die Festlichkeiten zu Ehren der Verstorbenen mit katholischen Bräuchen. 2008 hat die UNESCO das Fest zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt.
Himmelsbestattung in Tibet
Mitten im tibetanischen Hochland scharen sich Geier hungrig um einen zerstückelten Leichnam. Die "Ragyapas", die buddhistischen Leichenbestatter, haben ihnen den Körper zum Fressen überlassen. Sie folgen damit der uralten Tradition der Himmelsbestattung: Stirbt ein Mensch, wird er zunächst ein paar Tage weiterhin symbolisch mit Essen versorgt, während ein Mönch ihm aus dem tibetischen Buch der Toten vorliest. So will der heilige Mann die Seele dazu bewegen, den Körper zu verlassen. Am Tag der Beisetzung beschwört der Lama den Toten ein letztes Mal, bevor der Leichnam noch vor Sonnenuntergang zum Bestattungsplatz gebracht wird. Die Ragyapas zerteilen den Körper und spalten den Kopf, damit die Seele entweichen kann. Dann ist es die Aufgabe der Geier, den Verstorbenen ins "Bardo" zu tragen, das Zwischenreich zwischen Tod und Wiedergeburt.
Indien: Feuerbestattung und heiliges Wasser
Auch im Hinduismus glaubt man daran, dass jeder Mensch viele Male wiedergeboren wird. Ein Toter muss daher möglichst bald verbrannt werden, denn nur dann kann seine Seele sich vom Körper befreien und weiterwandern. In Indien kommt dabei dem Fluss Ganges eine besondere Rolle zu. Der Religion nach ist er heilig, denn er soll einen der Haarzöpfe des Gottes Shiva symbolisieren. Wer hier badet, befreit sich von allen Sünden. Das ist auch der Grund, warum am Ufer zahlreiche Scheiterhaufen für die Toten errichtet werden. Nach der Verbrennung sammeln Angehörige die Asche ein und verstreuen sie, flankiert von Blumen und Girlanden, im Ganges. Sie hoffen, dass der Verstorbene so dem ewigen Kreislauf von Geburt, Tod und Wiedergeburt entkommt und ins Nirwana gelangt - ein Zustand, in dem die Seele endlich zur Ruhe kommt.
Pro Jahr finden rund 100.000 Beisetzungen am Ganges statt - reinigend für die Seele, aber nicht für den Fluss: Er gehört zu den dreckigsten Gewässern der Welt.
Sargkunst aus Ghana
Anderswo setzt man doch eher auf die Erdbestattung. Aber ein Sarg ist noch lange nicht gleich Sarg. In Ghana beispielsweise hat sich eine Sargkunst etabliert, die wenig mit den gängigen Modellen in Kistenform zu tun hat. Stattdessen symbolisiert das Behältnis, was für den Verstorbenen im Leben wichtig war: Hat er als Musiker in einer Band gearbeitet? Dann kann der Sarg in Form einer Gitarre bestellt werden. War er Barbesitzer? Warum nicht eine letzte Ruhestatt in Form einer Bierflasche? Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Dem Preis allerdings auch nicht, so dass ein ausgefalleneres Sargmodell wohl nicht für jeden erschwinglich ist.
Indonesien: Der lange Weg ins Totenland
Noch teurer allerdings sind die Begräbniszeremonien beim Bergvolk der Toraja in Indonesien. Damit die Seele des Verblichenen den Weg ins Totenland Puya findet, braucht sie die Hilfe der Lebenden. Denn wenn sie sich verirrt und zwischen den Welten herumgeistert, kann sie den Hinterbliebenen zur Bedrohung werden.
Nach ihrem Tod werden die Verstorbenen zunächst einbalsamiert und im Haus der Familie aufgebahrt. Manchmal nur ein paar Wochen, manchmal für Jahre, denn die Angehörigen sparen für ein gigantisches mehrtägiges Bestattungsfest, dass der Seele den Weg ins Jenseits ermöglichen soll. Je höher die soziale Stellung des Verstorbenen, desto umfangreicher die Feierlichkeiten.
Da kommen schon mal Hunderte von Gästen zusammen, die alle bewirtet und untergebracht werden müssen. Bei der Totenfeier werden zahlreiche Tiere geschlachtet - vorzugsweise Wasserbüffel. Sie gelten bei den Toraja nicht nur als Symbol für Macht und Reichtum, sondern sollen ebenfalls den Toten helfen, den Weg ins Jenseits zu finden. Auch Hahnenkämpfe gehören zum Ritual.
Der Höhepunkt der Feierlichkeit ist dann die eigentliche Beisetzung. Der Verstorbene wird in kunstvoll geschnitztem Holzsarg an einer Felswand aufgehängt oder in einer in den Fels gehauenen Höhle aufgebahrt. Ganze Familien finden hier Platz. Vor den Felsengräbern stehen auf einer Art Balkon Holzfiguren, Tau-Taus genannt, die die Verstorbenen darstellen sollen.
Madagaskar: Neue Kleider für die Ahnen
Im afrikanischen Inselstaat Madagaskar sind die Toten genauso Teil der Familie wie die Lebenden. Diese "Razana" haben eine ganz besondere Gabe: Sie können mit den Göttern sprechen. Man tut also gut daran, sie als Vermittler auf seiner Seite zu haben; die Ahnen zu verärgern, kann nämlich Unglück heraufbeschwören und der ganzen Familie schaden.
Die ungehaltenen Razana lassen sich aber besänftigen: beim Totenwendungsfest "Famadihana". Manchmal bestimmen sie selbst den Termin, indem sie einem Angehörigen im Traum erscheinen. Meist aber nimmt ein "Ombiasy", ein madagassischer Heiler, Kontakt zu den Toten auf, um den richtigen Zeitpunkt für die Famadihana zu ermitteln, zu dem die weitläufige Verwandtschaft, Nachbarn und Freunde eingeladen sind. Am Festtag werden die Überreste der Verstorbenen in kostbare Seidentücher gewickelt, und Lebende und Tote werden einander vorgestellt. Die Gastgeber kredenzen opulente Speisen und Toaka Gasy, selbstgebrauten Rum. Es wird viel getrunken, gelacht und getanzt. Und wenn die Verblichenen danach wieder in die gereinigte und neu bemalte Gruft gebettet werden, sind sie - hoffentlich - erst mal zufriedengestellt. Bis zur nächsten Famadihana. In der Regel findet so ein Fest nur alle drei bis sieben Jahre statt, ist es doch sehr aufwendig und kostspielig.
Das japanische Obon-Fest
Auch in vielen asiatischen Ländern huldigt man den Ahnen. So stellen Familien zu Hause Hausschreine auf und ehren die Verstorbenen mit Blumen und Räucherstäbchen. Dafür revanchieren diese sich: Man darf sie um kleine und auch große Gefallen bitten.
In Japan gibt es alljährlich Mitte August ein dreitägiges Ahnenfest namens " Obon": Nach buddhistischem Glauben kehren die Toten einmal im Jahr aus dem Jenseits zurück in ihre Häuser und zu ihren Familien, und es gilt sie gebührend zu empfangen. Damit sie problemlos den Weg finden, werden in den Gärten Willkommensfeuer oder Laternen auf dem Hausaltar angezündet. Die Hinterbliebenen bringen ihren Ahnen täglich wechselnde Speiseopfer dar, unter anderem "Verabschiedungs-Klöße". Die symbolische Speisung soll das Leid der Toten lindern, die womöglich hungern.
Dem Volksglauben nach reiten die Verstorbenen am Ende des Obon zurück ins Jenseits, deswegen basteln ihnen die Familien Reittiere aus Gurken oder Auberginen; Essstäbchen fungieren als Beine. Man stellt diese entweder auf den Altar oder vor die Tür. Der Abschied steht wieder im Zeichen des Feuers: Flammen in Form von Schriftzeichen erhellen dann die Berghänge, schwimmende Laternen schaukeln sanft auf Flüssen und Seen.
Das Obon ist mittlerweile ein Volksfest, bei dem nahezu das ganze Land auf den Beinen ist, um die Ahnen im Heimatort zu begrüßen.
Striptease für die Toten in Taiwan
In dem asiatischen Inselstaat bestellen die Angehörigen zur Beerdigung gern ein "Electric Flower Car". Das ist ein mit vielen Blumen und grell blinkenden Lichtern geschmückter Lastwagenanhänger, auf dem spärlich bekleidete Frauen an Poolstangen für den Verstorbenen und die Trauergesellschaft tanzen. Zur Not tut es auch ein umgebauter Jeep. Dazu tönt laute Popmusik aus den Lautsprechern.
Dieser für manche etwas ungewöhnlich anmutende Brauch hat sich erst in den 1970er-Jahren etabliert. Offenbar witterte die taiwanesische Unterwelt damals ein gutes Geschäft: Als Teilhaber von Beerdigungsunternehmen boten sie schlichtweg auch Stripperinnen aus ihren Nachtclubs im günstigen "Bestattungspaket" an. Das würde mehr Trauernde anlocken, so ihr Verkaufsargument - und auch den Göttern gefallen. Außerdem seien die Tänzerinnen ein Geschenk an die Toten, die sich zu Lebezeiten gern vergnügten.
In den Großstädten gelten die "Electric Flower Cars" meist als unmoralisch verpönt, auf dem Land hingegen - wo es weit weniger Unterhaltung gibt - sind sie umso beliebter.
Deutschland: Leichenschmaus und Totensonntag
In Deutschland - wie wohl in den meisten Ländern dieser Erde - wäre so eine Veranstaltung kaum denkbar. Die Verstorbenen werden in einem Sarg oder in einer Urne beigesetzt, es werden bewegende Reden gehalten, und die Trauergemeinde wirft zum Abschied Erde oder Blumenblätter ins Grab. Hinterher setzt man sich beim sogenannten Leichenschmaus zu Kaffee und Kuchen zusammen und zeigt so: Das Leben geht weiter. Der Toten gedenkt man dann an christlichen Festtagen wie Allerseelen oder dem Totensonntag, auch Ewigkeitssonntag genannt. Dann besuchen die Menschen den Friedhof und stellen Grablichter auf.
Festzuhalten bleibt: Die Erinnerung an die Verstorbenen ist in allen Kulturen präsent - egal, wie man sie zelebriert.