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Premiere in Berlin: DW-Doku "Kampf um Wahrheit"

4. Mai 2022

Rund 200 Gäste kamen zur Premiere der DW-Doku "Kampf um Wahrheit: Can Dündar trifft Anabel Hernández". Es gab große Emotionen - im Film und auch vor Ort in Berlin.

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Premiere „Kampf um Wahrheit" mit Can Dündar
Bild: Jan Roehl

Es ist einer dieser Abende, die in Erinnerung bleiben. Rund zweihundert Gäste, unter ihnen der mexikanische Botschafter Francisco José Quiroga und der Intendant der Deutschen Welle, Peter Limbourg, waren zur Premiere des ersten Films in der DW-Doku-Reihe "Guardians of Truth - Kampf um Wahrheit", in die Berliner Kulturbrauerei gekommen.

Schon das Setting des Films verspricht Spannung: Der türkische Exil-Journalist und Publizist Can Dündar, der nach Berichten über Waffenlieferungen der Türkei inhaftiert wurde, trifft die ebenfalls seit 2017 im Exil in Italien lebende Mexikanerin Anabel Hernández. Die investigative Journalistin schreibt seit Jahren über die Machenschaften der Drogenkartelle und deren Verflechtungen mit den wechselnden Regierungen. Der Unterschied: Er kann nicht mehr in die Türkei zurück, sie fliegt immer wieder für Recherchen nach Mexiko, obwohl sie wegen zahlreicher Todesdrohungen von dort weggegangen ist. Warum sie das mache, fragt Dündar im Film. "Es ist meine Heimat, und wir Journalisten sind die Ankläger, es gibt keine unabhängige Justiz, keine Gerechtigkeit, die Menschen müssen wissen, was passiert", sagt Hernández.

Selbst Drogenbosse sprechen mit ihr

Der Film zeigt eindrucksvoll, unter welchen Bedingungen man in einem Land, in dem jeden Tag Menschen verschwinden oder umgebracht werden, überhaupt recherchieren kann. Anabel Hernández geht nicht in ihr altes Haus, sondern in ein Hotel. Sie fotografiert heimlich Villen, von Regierungsangestellten, deren Lebensstandard nicht zu ihrem Gehalt passt, wälzt Akten, um Zeugenaussagen zu verifizieren und trifft Informanten. Selbst Männer, die im Drogenmilieu aktiv sind, reden mit ihr. Eine Art Beichte, dann sei sie in der Rolle einer Priesterin, mutmaßt Can Dündar. Sie hätten ihr einfach vertraut, sagt Anabel Hernández im Gespräch nach der Filmpremiere.

Das Vertrauen der Protagonistin zu gewinnen und die Sicherheit des Teams zu gewährleisten - das waren die beiden größten Herausforderungen bei der Entstehung des Films, erklärt Linda Vierecke, die gemeinsam mit Can Dündar Regie geführt hat. Die erfahrene DW-Reporterin befand sich schon öfters in brenzligen Situationen, aber mit Bodyguards zu arbeiten war neu für sie. Natürlich habe sie Angst gehabt, in Mexiko City und außerhalb zu drehen, sagt sie. Doch letztlich habe sie der Mut von Anabel Hernández, die immer wieder an die Verantwortung appelliert, die Journalistinnen und Journalisten hätten, überzeugt. Nichtsdestotrotz gab es immer wieder diese Abwägung: Bringe ich jetzt das Team und mich unnötig in Gefahr?

Linda Vierecke sitzt neben Can Dündar auf dem Podium und beantwortet die Fragen der Zuschauer, in der Hand hält sie ein DW-Mikrofon.
Linda Vierecke erzählt in Berlin von ihren Erfahrungen bei den DreharbeitenBild: Jan Roehl

Auch Anabel Hernàndez muss sich diese Frage wieder und wieder stellen. Jeder Abschied von ihrer Familie könnte der letzte sein. Wenn sie zu Recherchen nach Mexiko aufbricht, legt sie die Papiere ihres Sohnes bereit, für den "Notfall", erklärt sie. Der kleine Junge wurde - noch bevor er laufen konnte - von Bodyguards begleitet, sagt sie im Film, fast entschuldigend.

Tragik und Humor 

Einer der bewegendsten Momente in der knapp einstündigen Dokumentation ist die Szene mit einem Mann, Mario, der die Relikte seines ermordeten Bruders sucht. Jeden Tag fährt er unter Lebensgefahr in die Region, wo dieser von den Drogendealern umgebracht wurde, und gräbt mit einem Stock in der Erde. Die Toten riechen ganz speziell, erklärt er. Mario findet tatsächlich Überbleibsel eines Menschen, aber nicht die seines Bruders. Dieser Geruch, sagt Can Dündar anschließend, werde immer in ihm sein. 

Der Film geht unter die Haut. Es gibt aber auch Humor und Optimistisches, beispielsweise wenn Anabel Hernández gemeinsam mit Can Dündar ihre 83-jährigen Mutter besucht und es zu einem improvisierten WhatsApp-Gespräch mit dessen gleichaltriger Mutter kommt. In solchen großartigen Momenten gelingt es, befreit zu lachen.

Filmszene: Can Dündar sitzt mit Anabel Hernández in einem Wohnzimmer, in der Mitte die Mutter, sie alle gucken zusammen in ein Mobiltelefon und lachen.
Filmszene: Ein Moment zum Aufatmen - improvisiertes Telefonat mit den Müttern Bild: firsthandfilms

Die Verpflichtung, die Wahrheit ans Licht zu bringen

Überhaupt ist der Abend von starken Emotionen geprägt. Nicht nur im Film, sondern auch im Gespräch danach. Auf die Frage, wie sie sich fühle nach der Premiere auf der großen Leinwand, schweigt Anabel Hernández erst mal - um dann in einem vehementen Plädoyer auf alle Menschen, nicht nur Journalisten, zu verweisen, die jeden Tag mutig für Menschenrechte, für die Aufklärung der Verbrechen an ihrer Familie und anderswo kämpfen und sterben. Sie sei keine Heldin, obwohl der Film das suggeriere. Sie habe lediglich das Glück, im Gegensatz zu hunderten ermordeten Kolleginnen und Kollegen, dass sie noch lebe. Die Verpflichtung, die sich daraus ergebe: die Wahrheit ans Licht zu bringen. In Mexiko sei das lebensgefährlich, aber auch im Westen wolle man die Wahrheit nicht unbedingt hören, so Hernández. Die kriminellen Strukturen, nicht nur die Drogenkartelle in Mexiko und anderswo, hätten auch damit zu tun, dass der Westen vom Drogenhandel profitiere. Ohne Konsum von Heroin und Kokain kein illegaler Drogenhandel, so einfach sei das.

Linda Vierecke, Peter Limbourg, Anabel Hernández, Can Dündar stehen nebeneinander und lächeln in die Kamera, im Hintergrund Filmplakate des Films.
Linda Vierecke, Peter Limbourg, Anabel Hernández, Can Dündar (v.l.) bei der Premiere in BerlinBild: Jan Röhl/DW

Meinungsfreiheit ist höchstes Gut

Viel kämpferischer Mut angesichts von Gewalt und Lebensgefahr, gleichzeitig Wärme und Menschlichkeit - darin sind sich Anabel Hernández und Can Dündar ähnlich. Zwei beeindruckende Menschen und ein wichtiger Film.  Zum Internationalen Tag der Pressefreiheit hätte die Deutsche Welle wohl kaum einen besseren Beitrag finden können. Der Intendant Peter Limbourg schlug dann auch den Bogen zum aktuellen Krieg in der Ukraine, wo noch einmal ganz deutlich wird, welches wichtige Gut Pressefreiheit ist. So geht der DW Freedom of Speech Award dieses Jahr an die Journalisten Evgeniy Maloletka und Mstyslav Chernov, die unter Einsatz ihres Lebens aus Mariupol berichteten.

Auch der nächste Film der DW-Doku-Reihe "Guardians of Truth" wird russische und ukrainische Freiheits-und Menschenrechtskämpfer vorstellen. Ob Männer oder Frauen, das wurde noch nicht verraten. Man darf gespannt sein.