Droht in Polen die Zensur?
10. Dezember 2018Das liberale Blatt Gazeta Wyborcza enthüllte Mitte November einen Korruptionsskandal, der den Chef des Ausschusses für Finanzaufsicht zum Rücktritt zwang. Marek Chrzanowski habe einem Bankeigentümer seine Unterstützung bei der Lösung der Probleme seiner Bank angeboten. Das Institut sollte einen von Chrzanowski empfohlenen Spezialisten anstellen und ihn mit einem Honorar in Höhe von 10 Millionen Euro vergüten. Das Gespräch wurde aufgezeichnet.
Der Druck auf Journalisten wächst
Seit der Veröffentlichung der Korruptionsgeschichte steht Gazeta Wyborcza unter Druck. Für einen wie den investigativen Journalisten Wojciech Czuchnowski ist das sein täglich Brot. Alleine in diesem Jahr sind die regierende die PiS-Partei und andere Staatsorgane gegen 50 seiner Artikel juristisch zu Felde gezogen. Sie klagten auf Entschuldigungen und auch auf Geldbußen - jeweils bis zu 12.000 Euro. Doch seit dem Artikel, der den Chef der Finanzaufsicht zu Sturz gebracht hat, steht er massiv unter Druck der Polnischen Nationalbank, die die Entfernung sämtlicher Medien-Artikel zu diesem Thema aus dem Netz fordert.
"Es erschwert meine Arbeit und kostet Zeit, weil ich mich zu jeder Aufforderung äußern muss. Das friert meine journalistische Arbeit ein", sagt Czuchnowski im Gespräch mit DW. "Doch jedes Mal, wenn ich antworten muss, überprüfe ich meine Informationen besonders genau und finde dadurch oft neue Geschichten", fügt er hinzu. Er lasse sich nicht einschüchtern. Was ihn stark mache, sei die Unterstützung der Leser.
Der "Brief an die Welt"
Die Unterstützung kommt auch von den Kollegen. Die liberale Journalistengesellschaft (http://towarzystwodziennikarskie.pl/), Mitglied in der Internationalen Journalistenföderation (https://www.ifj.org), schlägt Alarm. Im "Brief an die Welt" heißt es, dass die jüngsten Versuche, Journalisten einzuschüchtern, schon den Charakter von Zensur hätten.
"Die Journalisten, die die Affären und Pathologien enthüllen, werden vom Staatsapparat wie potenzielle Verbrecher behandelt". Das Ziel sei es, sie von der kritischen Berichterstattung abzuhalten und an ihrer Glaubwürdigkeit zu rütteln. In dem Brief wird der Fall des Newsweek-Reporters Wojciech Ciesla erwähnt, der für seinen Text über den umstrittenen Chef des Verfassungstribunals zum Verhör geladen wurde.
Die Freiheit der Medien in Gefahr
Der Press Club Polska (www.pressclub.pl) hat am 10.12. in einem offenen Brief an Polens Premierminister reagiert. Darin ist von "Mobbing gegen Journalisten" die Rede ist. Der Press Club protestiert gegen die Versuche, die Journalisten zur Preisgabe ihrer Informationsquellen zu zwingen und auch gegen die wiederholten Verhöre ohne konkrete Vorwürfe, zu denen die kritischen Reporter regelmäßig geladen würden.
"Wenn die Staatsinstitutionen das Recht instrumentalisieren und die Journalisten einzuschüchtern oder still zu machen versuchen, dann ist die Freiheit der Medien ernsthaft gefährdet", heißt es in dem Appel an Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki.
Eine langfristige Kampagne der PiS
Auch international sorgt die angegriffene Medienfreiheit in Polen für Debatten. "Reporter ohne Grenzen" fordert die polnische Regierung dazu auf, mit der Einschüchterung der Journalisten aufzuhören. "Die ganzen Schikanen sind ein Teil der Kampagne, die die polnische Regierung gegen die unabhängigen Medien seit 2015 führt. Die Kampagne zielt darauf ab, die kritischen Medien finanziell zu drosseln und den investigativen Journalismus zu unterdrücken", sagt Pauline Adès-Mével, Chefin des EU- und Balkandesks.
Auch über andere Beispiele aus der jüngeren Zeit, wie etwa die Vorwürfe gegen den Privatsender TVN, zeigt sich Adès-Mével empört. Anfang 2018 hatte TVN, Teil der US-Mediengruppe Discovery, in einer Reportage junge Menschen gezeigt, die im Süden von Polen den Geburtstag von Adolf Hitler mit Hitlergruß und Naziparolen feierten. Nazi-Propaganda vorgeworfen wurde aber nur dem TVN-Kameramann. Der habe angeblich auch den Hitlergruß gemacht, um sich im Neonazi-Milieu frei bewegen zu können.
Die US-Botschaft unterstützt Medienfreiheit
Nach Protesten in vielen polnischen Medien wurden die Vorwürfe zurückgenommen. Auch weil sich Polen mit seinem Verbündeten USA nicht anlegen wollte. In die Debatte über die Medienfreiheit hat sich nämlich die US-Botschafterin in Warschau Georgette Mosbacher eingeschaltet und in einem Brief an Polens Premierminister ihre "tiefe Sorge" über die Behandlung der TVN-Journalisten ausgedrückt. Bei einem Treffen mit Parlamentsabgeordneten zeigte sie sich auch über die diskutierte "Re-Polonisierung" der Medien besorgt. Dies könnte eine Einschränkung ausländischen Medien-Kapitals bedeuten.
Auch "Reporter ohne Grenzen" zeigt sich höchst alarmiert: "Die polnische Regierung hat schon die staatlichen Medien zum Propagandainstrument gemacht und versucht, dasselbe mit den unabhängigen Journalisten zu machen. Diesem Zweck könnte auch eine Re-Polonisierung der Medien dienen", sagt Adès-Mével.
Im jährlich publizierten Index der Medienfreiheit von "Reporter ohne Grenzen" ist Polen seit 2016 von Platz 18 auf 58 gefallen.