Droht ein iranischer Angriff auf Saudi-Arabien?
5. November 2022"Ich würde nicht ausschließen, dass das Regime im Iran Saudi-Arabien angreift," sagt Michael Doran vom konservativen Hudson Institut in Washington. Bereits Ende September hätten Irans Truppen iranisch-kurdische Verbände in der Nähe der nordirakischen Stadt Erbil beschossen. Deren Mitglieder waren einst vor dem Regime in Teheran ins Nachbarland geflohen. Diese Machtdemonstration ("display of force") könne wiederholt werden, wenn sich das Regime unter Druck gesetzt fühle, so Doran gegenüber der Deutschen Welle. Wegen der Massendemonstrationen gegen das Mullah-Regime stehe Teheran zunehmend unter Druck. Auseinandersetzungen außerhalb des Landes nutzten dem Regime auch innenpolitisch: Es könne die Demonstranten so als ausländische Agenten verleumden. Das Regime in Teheran versuche, seine Feinde alle in einen Topf zu werfen: die Demonstranten, Saudi-Arabien, Israel und die USA.
Tatsächlich haben die Revolutionsgarden, das Ministerium für die Geheimdienste und die Sicherheit gerade gemeinsam einen Bericht veröffentlicht, der die Demonstrationen im Iran als Teil einer Verschwörung beschreiben, die von Teherans Feinden ausgehe: den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Israel und Saudi-Arabien.
Ablenkung von den Protesten
Dieses Verhalten sei typisch für Teheran. "Je mehr das Regime unter Druck gerät, desto aggressiver wird es," meint Doran, ehemaliger Nahostexperte der Regierung von George W. Bush.
Ähnlich sieht es James Jeffrey, einst US-Botschafter im Irak und in der Türkei. Auch er schließt nicht aus, dass das Regime in Teheran einen Angriff auf Saudi-Arabien unternimmt. "Das Motiv wäre jetzt, von den Demonstrationen gegen das Mullah-Regime abzulenken," so Jeffrey gegenüber der Deutschen Welle. Bei einem Konflikt mit dem Nachbarland könne es möglicherweise auch Menschen hinter sich scharen. Der Iran könnte ausnutzen, dass sich die Beziehungen zwischen Washington und Riad nach dem jüngsten Besuch von Präsident Biden in Saudi-Arabien etwas eingetrübt hätten.
Bei einem iranischen Angriff auf Saudi-Arabien befänden sich die USA in einer sehr schwierigen Situation, so Michael Doran vom Hudson-Institut. Der Nahostexperte beruft sich dabei auf die Einschätzung der Militärs. So habe der frühere Chef des US-Zentralkommandos (CENTCOM), General Kenneth Fr. McKenzie, unlängst in London gesagt, dass der Iran seinen Nachbarn militärisch überlegen sei ("overmatch"). Teherans Militärs besäßen Offensiv-Fähigkeiten, denen seine Nachbarn wenig entgegenzusetzen hätten. Diese Überlegenheit komme vor allem durch iranische Drohnen, ballistische Raketen und Marschflugkörper. Bei einem Angriff würde der Iran diese Waffenarten kombiniert einsetzen, was diesen besonders gefährlich mache. Raketenabwehrsysteme, die die USA bei ihren Verbündeten in der Region installiert hätten, könnten nur einen Teil der Raketen abfangen.
Doran glaubt, dass sich die USA bei einem iranischen Angriff auf Saudi-Arabien zurückhalten würden. Ähnlich sieht es James Jeffrey, wobei er differenziert: Es komme immer auf die Größe der Provokation an. Davon hänge vieles ab. Doch aus der Sicht der Biden-Administration sei der derzeitig wichtigste Konflikt der in der Ukraine. Davon solle nicht abgelenkt werden, so Jeffrey.
Iran-Expertin: Angriff auf Saudi-Arabien macht keinen Sinn
Ganz anders als ihre amerikanischen Kollegen sieht Sanam Vakil vom britischen Thinktank "Chatham House" die Lage am Golf. Sie glaubt nicht, dass ein iranischer Angriff auf Saudi-Arabien unmittelbar bevorsteht. "Wir können nur spekulieren, weshalb Riad jetzt entsprechende Information öffentlich machte", sagt die Iran-Expertin der Deutschen Welle. "Vielleicht haben die Geheimdienste in Saudi-Arabien irgend etwas aufgezeichnet und publizieren es, um den Iran zu diskreditieren." Sicher stehe die Regierung in Teheran wegen der Massendemonstrationen unter Druck. Doch ihre Macht sei nicht wirklich gefährdet. In dieser Situation einen Angriff auf Saudi-Arabien zu unternehmen, mache aus ihrer Sicht keinen Sinn. "Die iranische Innenpolitik ist komplizierter als viele im Westen meinen."