Rund 1000 Menschen wegen Protesten angeklagt
31. Oktober 2022In der iranischen Hauptstadt Teheran sind rund 1000 Menschen wegen der anhaltenden Proteste angeklagt worden. Die Betroffenen hätten bei den jüngsten Ereignissen Sabotage begangen, meldet die halbamtliche Nachrichtenagentur Tasnim unter Berufung auf den Obersten Richter der Provinz Teheran. Die Angeklagten hätten auch Sicherheitskräfte angegriffen oder getötet und öffentliches Eigentum angezündet. Die Prozesse würden öffentlich abgehalten und noch diese Woche beginnen.
Seit mehr als sechs Wochen halten die Proteste nicht nur in Teheran, sondern auch in anderen Städten der Islamischen Republik an. Entzündet hatten sie sich am Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini. Die Kurdin war am 16. September in Polizeigewahrsam gestorben. Die sogenannte Sittenpolizei hatte sie festgenommen, weil sie unangemessen gekleidet gewesen sein soll. Inzwischen haben sich die Proteste zur größten Herausforderung für die geistliche Führung seit 1979 ausgewachsen. Damals wurde im Zuge der Islamischen Revolution der Schah gestürzt, und die Islamische Republik wurde ausgerufen.
Große Gewalt gegen Demonstranten
Die Sicherheitskräfte gehen zum Teil mit großer Gewalt gegen die Demonstrantinnen und Demonstranten vor und versuchen, die Proteste zu unterdrücken. Am Wochenende drohten zudem die Revolutionsgarden den Protestierenden, sie sollten sich von der Straße fernhalten. Bisher hatte sich die Eliteeinheit nicht an der Niederschlagung der Kundgebungen beteiligt.
Seit deren Beginn Mitte September sind nach Angaben von Menschenrechtsgruppen im Iran rund 300 Demonstrierende ums Leben gekommen, darunter über 40 Minderjährige. Zudem seien über 30 Sicherheitskräfte getötet worden. In 132 Städten und kleineren Orten soll es mehr als 14.000 Festnahmen gegeben haben.
Scholz erwägt weitere Sanktionen
Bundeskanzler Olaf Scholz verurteilte das gewaltsame Vorgehen der iranischen Sicherheitskräfte gegen Demonstranten und erwägt weitere Strafmaßnahmen. "Unsere EU-Sanktionen sind wichtig, wir prüfen weitere Schritte", schrieb Scholz auf Twitter. "Es bestürzt mich, dass bei den Protesten im Iran friedlich demonstrierende Menschen ums Leben kommen", so der Kanzler weiter. "Wir verurteilen die unverhältnismäßige Gewalt der Sicherheitskräfte und stehen den Menschen im Iran bei."
Auch ein Sprecher der Bundesregierung kritisierte in aller Schärfe "die unverhältnismäßige Gewalt der iranischen Sicherheitskräfte gegen die Demonstrantinnen und Demonstranten". Im Namen der Bundesregierung begrüßte Steffen Hebestreit die neuen Sanktionen der EU gegen den Iran. Die Regierung prüfe derzeit "weitere Maßnahmen, die allerdings zu diesem Zeitpunkt nicht spruchreif sind", fügte er hinzu.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hatte am Sonntag im deutschen Fernsehen gesagt, "dass wir prüfen werden, wie wir die Revolutionsgarden auch als Terrororganisation listen können". Die Gewalt gegen Demonstranten und Demonstrantinnen nannte sie schrecklich. "Furchtbar ist schon ein Wort, was gar nicht ausreicht, wenn man diese dramatischen Bilder sieht, wenn man kleine Mädchen sieht, die um ihre Mütter weinen, die ermordet worden sind", sagte sie. Die europäische Politik werde deshalb neu ausgerichtet, sagte sie mit Blick auf ein geplantes Sanktionspaket gegen die Führung in Teheran.
Revolutionsgarden: Teheran protestiert gegen mögliche Sanktionen
Der Iran bezeichnete die Überlegung, Sanktionen gegen die Revolutionsgarden zu verhängen, als "illegal". Die Revolutionsgarden seien das offizielle militärische Organ der Islamischen Republik, sagte ein Sprecher des iranischen Außenministeriums. Sollte Deutschland Strafmaßnahmen gegen die Garden ergreifen, wäre dies "eine Fortsetzung der unverantwortlichen und nicht konstruktiven Aktionen" Berlins gegen Teheran.
Eine Sprecherin des Auswärtigen Amts sagte derweil in Berlin, dass sich die Zahl der aktuell im Iran inhaftierten deutschen Staatsbürger "im mittleren einstelligen Bereich" bewege. Deutsche Diplomaten bemühten sich vor Ort um konsularische Betreuung. Insgesamt sei die Lage im Iran derzeit "unübersichtlich".
kle/qu (rtr, dpa, afp)