Drama um Dänemarks Christian Eriksen

Es war ein trauriger Tag für das dänische Nationalteam, den alle Beteiligten wohl ihr Leben lang nicht vergessen werden. Zum einen unterlag die Mannschaft von Trainer Kasper Hjulmand in Gruppe B zum EM-Auftakt im Heimspiel in Kopenhagen überraschend gegen Finnland mit 0:1 (0:0). Aber noch viel schlimmer: Gegen Ende der ersten Hälfte mussten Spieler, Verantwortliche und Fans um das Leben von Christian Eriksen bangen. Der Star des Teams war nach 43 Minuten ohne gegnerische Einwirkung plötzlich zusammengebrochen und musste auf dem Rasen reanimiert werden. 

Eriksens fassungslose Mitspieler, von denen viele die Tränen nicht zurückhalten konnten, standen während der intensiven Bemühungen der Sanitäter um ihren Mitspieler herum und schirmten den Profi von Inter Mailand vor den Blicken der 15.900 Zuschauer und den Fernsehkameras ab. Auch die Zuschauer standen unter Schock und viele weinten. Trainer Kasper Hjulmand kniete am Spielfeldrand und faltete die Hände zum Gebet. Die Zuschauer wurden per Durchsage gebeten, auf ihren Plätzen zu bleiben. Zwischenzeitlich skandierten die Zuschauer den Namen des Spielers.

Teamarzt Boesen: "Er war schon weg"

"Er lag auf der Seite, atmete und hatte auch Puls. Aber plötzlich änderte sich das, und wir haben mit der Herzmassage begonnen", beschrieb Dänemarks Mannschaftsarzt Martin Boesen den dramatischen Kampf um das Leben Eriksens einen Tag später. "Er war schon weg. Es war ein Herzstillstand. Wir haben es geschafft, ihn zurückzuholen."

Rund eine halbe Stunde nach seinem Zusammenbruch konnte Eriksen schließlich begleitet von seinen Mitspielern, die neben seiner Trage hergingen, und hinter Stoffbahnen aus dem Stadion gebracht werden. Er wurde zu weiteren Untersuchungen ins Krankenhaus gebracht. Sein Zustand sei "stabilisiert" worden, teilte die UEFA mit. "Christian Eriksen ist wach und ist zu weiteren Untersuchungen im Reichskrankenhaus", ergänzte der dänische Fußball-Verband DBU etwas später. Die Spieler wurden vom Schiedsrichter in die Katakomben geschickt.  

Anschließend hatte wohl kaum jemand damit gerechnet, dass die Partie noch einmal angepfiffen würde. Aber um 20.30 Uhr ging es nach 107 Minuten Unterbrechung tatsächlich weiter. Die UEFA hatte zuvor die Spieler befragt und sie vor die Wahl gestellt, ob sie die Partie noch am gleichen Abend oder lieber am Sonntagmittag um 12 Uhr fortsetzen wollten. Offenbar hatte es in der Kabine via Mobiltelefon auch Kontakt zwischen den dänischen Spielern und Christian Eriksen im Krankenhaus gegeben. Eriksen soll seine Teamkollegen dabei darum gebeten haben, das Spiel fortzusetzen. 

Hjulmand: "Falsche und harte Entscheidung"

Dänemarks Nationaltrainer Hjulmand kritisierte die Entscheidung mit einem Tag Abstand. "Ich denke ehrlich gesagt nicht, dass wir wieder auf dem Plätz hätten sein sollen", sagte der ehemalige Coach vom FSV Mainz 05 am Sonntag bei einer Pressekonferenz. "Es war die falsche und eine harte Entscheidung, die Spieler zwischen diesen beiden Dingen entscheiden zu lassen: Am selben Abend oder am nächsten Tag zu spielen."

Das Ergebnis war ob der Ereignisse um Christian Eriksen zwar nur Nebensache, es war allerdings aus dänischer Sicht kein gutes: Dänemark war überlegen, doch den einzigen Treffer der Partie erzielte der Finne Joel Pohjanpalo (60.). 

Im zweiten Vorrundenspiel treffen die Dänen in Gruppe B am Donnerstag auf Belgien. Dann allerdings ohne Christian Eriksen, der nach seinem Herzstillstand noch einige Tage im Krankenhaus bleiben muss und weiter untersucht wird. Eriksen sei "stabil", teilte der nationale Verband DBU am Sonntag mit. Man habe am Morgen mit ihm sprechen können. Die Untersuchungen würden wohl einen Herzinfarkt bestätigen, sagte der behandelnde Kardiologe Jesper Kjärgaard dem Sender TV2, betonte aber: "Ich denke, er wird auf jeden Fall wieder auf die Beine kommen." 

Bundespräsident Steinmeier mit großer Betroffenheit

Am Samstagabend hatten Eriksens Herzstillstand und seine dramatische Rettung große Anteilnahme ausgelöst: Das russische Fußball-Nationalteam sendete vor dem eigenen EM-Auftakt gegen Belgien gute Wünsche an den Spieler, seinen Verein und die Nationalmannschaft. "Wir denken an Christian Eriksen, Dänemark und Inter. Wir hoffen, dass alles in Ordnung sein wird", schrieb der Verband am Samstagabend bei Twitter. England sagte kurzfristig die obligatorische Pressekonferenz vor seinem EM-Auftakt gegen Vizeweltmeister Kroatien ab.

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier reagierte bei seinem Dänemark-Besuch mit Betroffenheit auf den Zusammenbruch Eriksens. Steinmeier sah den Zwischenfall am Fernseher im Hotel in Kolding, unmittelbar bevor er die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen zum Abendessen traf. Die dänische Delegation zeigte sich schockiert von dem Vorfall. Auch Frederiksen äußerte sich besorgt und warb um Verständnis, dass die Delegation sich fortwährend auf dem Laufenden halten werde.

UEFA-Präsident Aleksander Ceferin wünschte Eriksen eine schnelle Genesung. "Momente wie diese relativieren alles im Leben. Ich wünsche Christian eine vollständige und schnelle Erholung und bete, dass seine Familie Stärke und Glauben hat", wurde der Slowene auf dem Twitter-Account der UEFA zitiert. 

Der Star im dänischen Team

Eriksen ist der Top-Spieler der Dänen. Schon seit mehr als zehn Jahren läuft er für die Nationalmannschaft auf, eine zweite sportliche Heimat fand er in London. Sechseinhalb Jahre war er für Tottenham Hotspur aktiv, wurde in dieser Zeit wiederholt zu Dänemarks Fußballer des Jahres und zum "Spurs"-Profi der Saison gekürt. 2019 führte er Tottenham ins Champions-League-Finale. Anfang 2020 wechselte er zu Inter Mailand. Dort schien Eriksen zunächst zu scheitern. Auf dem Weg zum Scudetto, der italienischen Meisterschaft mit Inter, wurde er in der abgelaufenen Saison aber doch noch zum wichtigen Bestandteil der Mannschaft.

2018 wurde Eriksen erstmals Vater, 2020 brachte seine Lebensgefährtin Sabrina Kvist Jensen das zweite Kind zur Welt.