"Es hat sich überhaupt nichts geändert"
11. März 2016DW: In Ihrem neuen Film reist eine junge Deutsche auf Identitätssuche ins Katastrophengebiet. Frau Dörrie, Sie selbst reisten 2011 bereits sechs Monate nach dem Reaktorunglück dorthin - einige Jahre später kamen Sie mit einem Filmteam zurück. Wie hat sich die Gegend seitdem verändert?
Doris Dörrie: Das Schlimme ist, es hat sich seitdem eigentlich überhaupt nichts getan - außer dass aufgeräumt und die Trümmer weggeschafft worden sind. Aber die 500 Kilometer lange, komplett verwüstete Landschaft ist geblieben. Oft wird vergessen, dass diesen Streifen Land in nur 20 Minuten drei Katastrophen trafen: Erdbeben, Tsunami und Reaktorunfall. Bei meinem ersten Besuch lernte ich die Evakuierten in den Notunterkünften kennen. Die saßen damals schon dort und sitzen jetzt immer noch da. Auch daran hat sich überhaupt nichts geändert.
Einige von ihnen, zumeist ältere Frauen, spielen auch in Ihrem Film mit.
Ja, das war toll. Es war wirklich sehr rührend und süß, dass sie mitmachen wollten und dabei so begeistert und dankbar waren. Der Film war den Evakuierten vielleicht gar nicht so wichtig wie die Tatsache, dass wir überhaupt da waren und ein bisschen Unterhaltung boten.
Gedreht haben Sie an Originalschauplätzen in Fukushima, oft nur wenige Kilometer von dem Reaktor entfernt. Wie haben Sie es überhaupt geschafft, ein Filmteam dorthin zu kriegen?
Anfangs hatte auch ich Angst ins Sperrgebiet zu fahren, bin stets mit meinem Geigerzähler umher gewandert und habe natürlich lange recherchiert. Schließlich hat mich ein Strahlenexperte ausführlich beraten, denn ich wollte kein Filmteam samt Schauspielern in dieses Gebiet bringen, solange ich nicht garantieren konnte, dass keinem - auch mir nicht - etwas passiert könnte.
Millisievert, Mikrosievert und Becquerel…
…ja, die Unterschiede von den verschiedenen Einheiten habe ich auch wieder gelernt. Die kannte ich eigentlich schon seit Tschernobyl, hatte sie nur wieder vergessen. Überhaupt habe ich sehr viel dazu gelernt: zum Beispiel, dass die Luftstrahlung dort genauso hoch ist wie in München. Dass der Boden weiterhin verstrahlt ist, auch wenn die kontaminierte Erde abgetragen und dann in Plastiksäcke verpackt wird, die dann einfach in der Landschaft herumstehen.
Mit diesen Arbeitern, die die Erde abtragen, wohnten Sie und Ihr Team während des Drehs zusammen - wie war das?
Das war in der Tat schon sehr bizarr. Unser "Hotel" bestand aus Containern, in denen auch die Tagelöhner wohnten, die aus allen Teilen des Landes zusammengekommen und dort auf den 500 Kilometern 15 Zentimeter kontaminierte Erde abgraben. Neben diesem "Hotel" gab es noch ein Krematorium, zwei Puffs und einen Supermarkt - sonst nichts, wie eine Mondlandschaft. Diese Schicksalsgemeinschaft während der siebenwöchigen Drehzeit war sehr bizarr, morgens sind die Arbeiter mit den Baggern ausgefahren, während wir zum nächsten Drehort fuhren.
Wie haben Sie die Bewohner dieser Mondlandschaft wahrgenommen?
Deren Tragödien waren deutlich zu spüren - egal ob bei den Arbeitern, den Menschen in den Notunterkünften oder bei den Kassierern im Supermarkt. Diese Tragödien spürt man, selbst nach fünf Jahren wiegen sie noch sehr schwer.
In "Grüße aus Fukushima" erzählen Sie eine ungewöhnliche Freundschaft zweier sehr starker und doch sehr unterschiedlicher Frauen. Eine von ihnen ist eine alte Geisha - wer hat Sie zu dieser Figur inspiriert?
In der New York Times hatte ich von der Geisha Tsuyako Ito aus Kamaishi gelesen, die in einer Notunterkunft lebte und besorgt war, dass ihr Lied, der Fisherman's Song, verloren gehen würde. Jede Geisha hat ihr eigenes kulturelles Erbe und ihre eigene Musik. Daraufhin sind drei junge Geishas aus Tokio zu ihr gefahren und haben das Lied von ihr gelernt. Ito hat mich nicht nur für meine Hauptfigur inspiriert, die drei jungen Geishas spielen auch in meinem Film mit, wo die Weitergabe eines Liedes auch eine wichtige Rolle spielt.
Die japanische Kultur fasziniert Sie. Vier Filme haben Sie mittlerweile in Japan gedreht - warum gerade dort?
Wenn ich das so genau sagen könnte… Ich glaube, es ist wirklich diese große Ambivalenz zwischen sich "komplett zuhause" und "komplett fremd" fühlen. Beides passiert immer gleichzeitig, das empfinde ich als sehr elektrisierend und aufregend.
Sind sich Deutsche und Japaner manchmal auch ähnlich?
Es gibt sehr viele, sehr starke Verbindungen. Zum Beispiel dieses Verklemmte, was ja auch wir Deutsche haben. Oder dieses sehr Irrationale, das in der Musik und der Kultur aufbrechen kann, auch das ist durchaus sehr deutsch. Und dann gibt es natürlich viele Dinge, die weiterhin so anders sind, dass ich sie auch nach 25 Mal Japan nicht verstehe. Dinge, die mir fremd sind. Und fremd bleiben. Ich mag dieses Fremde, es bereichert mich.
Das Interview führte Regina Roland.
In "Grüße aus Fukushima" fährt Marie, gespielt von Rosalie Thomass, nach Japan, um zu helfen und endlich etwas richtig zu machen. In Deutschland ist kurz vor der Hochzeit ihre Beziehung auseinandergebrochen, und sie glaubt alles verloren. Doch auch mit der Hilfsarbeit will es nicht klappen. Kurz vor Abreise lernt sie die störrische Satomi kennen, gespielt von Kaori Momoi. Gemeinsam bauen sie zuerst das zerstörte Haus im Sperrgebiet und dann ihre ungewöhnliche Freundschaft auf. Doris Dörrie drehte bereits ihren vierten Film in Japan. "Kirschblüten - Hanami" wurde 2008 ein Publikumserfolg. Der Durchbruch gelang Dörrie 1985 mit der Beziehungskomödie "Männer". Bis heute hat Doris Dörrie bei mehr als 30 Filmen Regie geführt, daneben inszeniert sie Opern und schreibt Romane und Kinderbücher.
Der Film "Grüße aus Fukushima" bildet auch einen Schwerpunkt in der aktuellen KINO-Ausgabe. Außerdem ein Bericht über Hans Steinbichlers "Anne Frank"-Film und ein Blick auf den ungarischen Auschwitz-Film "Son of Saul".