Kunstprojekt will Wandel anstoßen
20. August 2020"Guten Abend, meine Damen und Herren, guten Morgen, liebe Künstler”, heißt es manchmal ironisch über das Metier der Kulturschaffenden. Nun hat die Hamburger Hochschule für bildende Künste auch noch ein Stipendium fürs Nichtstun ausgeschrieben. Bewerben kann sich jede und jeder, ob künstlerisch tätig oder nicht. Jeweils 1.600 Euro verspricht Projektinitiator Friedrich von Borries den drei Bewerberinnen und Bewerber, die die Jury am meisten überzeugen.
Doch bei dem Kunstprojekt, wie die Universität es nennt, geht es weniger um "La Dolce Vita", das süße Nichts-Tun: Bewerberinnen und Bewerber sollen vielmehr kundtun, was genau sie nicht (mehr) tun möchten und wie lange sie beabsichtigen, das nicht zu tun. "Das kann eine Radiomoderatorin sein, die beschließt, in einer Sendung fünf Minuten lang mal nichts zu sagen. Oder jemand, der einen Monat keinen Plastikmüll produzieren will", so Borries zur Deutschen Welle. Die eingereichten Beiträge will er dann vom 6. November 2020 an in seiner Ausstellung "Schule der Folgenlosigkeit" im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe vorstellen.
Schluss mit Höher, Schneller, Weiter
Und was geschieht, wenn wir etwas unterlassen, etwas nicht tun? Welche Folgen bleiben dann aus - für Umwelt, Gesellschaft, Gesundheit, das Klima? Mit dem von ihm initiierten Stipendium will der studierte Architekt, Kurator, Designtheoretiker und Schriftsteller helfen, die Gesellschaft zu verändern.
"Für die öko-soziale Transformation brauchen wir einen Kulturwandelund müssen dafür unser Verhalten ändern", sagt er. "Das gelingt aber nur, indem man positive Perspektiven aufzeigt, statt Verzicht zu predigen!" Verzicht klinge so negativ. "Mal die Füße hochzulegen, das findet jeder gut. Aber das 'Dieses oder jenes darfst Du nicht mehr!', das gefällt keinem".
"Folgenlosigkeit" definiert von Borries auch als eine Abkehr vom Leistungsdenken. Schluss mit dem immer höher, schneller, weiter: "Es geht darum, aus der Erfolgsstrebensspirale, aus dem Hamsterrad rauszukommen." Noch bemesse sich sozialer Status daran: Wie groß ist das Haus, wie schnell das Auto, wie dick die Uhr?
"Wenn wir in einer Gesellschaft leben wollen, die weniger Energie verbraucht, die weniger Ressourcen verschwendet, ist das doch das falsche Wertesystem", erklärt Friedrich von Borries. "Wäre es nicht schöner, soziales Prestige zu gewinnen, indem man sagt: Ich habe Zeit zum Träumen, Zeit, mit den Kindern Schwimmen zu gehen, Freunde treffen, die Füße hoch zu legen, Zeit fürs Nichts-Tun?" Diese Debatte möchte Wissenschaftler von Borries anstoßen und so die die Gesellschaft von morgen formen.
Debatte über bedingungsloses Grundeinkommen
Schon lange wird in Deutschland über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens diskutiert. Aber wie verändert sich das Leben von Menschen, wenn diese jeden Monat 1.200 Euro bekommen – bedingungslos, ob bedürftig oder nicht? Das wollen das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), der Verein "Mein Grundeinkommen" und Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern und der Universität zu Köln in einer neuen Langzeitstudie untersuchen. Ihr Forschungsprojekt wurde soeben mit der Freischaltung einer Bewerbungsseite im Internet gestartet.
120 Teilnehmer sollen ab Frühjahr 2021 monatlich 1.200 Euro bekommen, drei Jahre lang. Finanziert wird das Projekt über Spenden. "Wir wollen wissen, was es mit Verhalten und Einstellungen macht und ob das Grundeinkommen helfen kann, mit den gegenwärtigen Herausforderungen unserer Gesellschaft umzugehen", sagte dazu Michael Bohmeyer, Initiator des Vereins Mein Grundeinkommen, am Dienstag (18.08.2020) in Berlin.
Prominente Fürsprecher dieser Idee sind beispielsweise Linken-Chefin Katja Kipping, aber auch der Gründer der Drogeriemarktkette dm, Götz Werner. Erhalten soll dieses "Bürgergeld" jede und jeder - ob reich, ob arm, ob Baby oder Greis. Kritiker verweisen auf die hohen Kosten und warnen, eine solche Zahlung könnte die Motivation etwas zu arbeiten oder kreativ zu sein bremsen und diese letztlich unglücklicher machen.
Auch HfBK-Designer Friedrich von Borries möchte nicht als Träumer oder Phantast dastehen. Kritik auf seine Stipendiumsidee, sagt er, habe er bisher lediglich vom Bund der Steuerzahler gehört. Der wolle wissen, wer das Projekt finanziere. "Das Erfolgsstreben hört bei niemandem auf, auch nicht bei jemandem, der finanziell abgesichert ist", erläutert von Borries im DW-Interview.
So darf man auf die besten Ideen zum Nicht-Tun gespannt sein. Vielleicht ist darunter ja auch ein süßes Nichts-Tun, was noch mehr Kreative auf nachhaltig gute Ideen bringt.