Digitalisierung geht unter die Haut
11. Dezember 2015Vielleicht ist Hannes Sjöblad ein Freak, denn er ist so anders als der Rest der Menschen um ihn herum. Aber vielleicht sind wir bald alle so. Der schlanke Mann aus Schweden fährt über die Taschen seiner Hose. Sie sind leer. "Schlüssel, Kredit-, Tür- und Businesskarten habe ich nicht, das ist alles hier drin", sagt Sjöblad und hebt seine rechte Hand auf Brusthöhe. Seine Zuhörer auf dem Bitkom-Trendkongress in Berlin sehen eine kleine Wölbung auf dem Handrücken. Er hat sich einen Chip implantieren lassen: Damit kommt er ins Fitness-Studio und aktiviert sein Handy. Beim Shoppen sammelt er mit dem Implantat Treuepunkte. Wer seine Kontaktdaten will, der streicht mit dem Smartphone über Sjöblads Handrücken. Der Aktivist einer Biohacking-Gruppe glaubt, dass das erst der Anfang ist. "Bald könnte es sein, dass einzelne Organe über Chips mit der Umwelt kommunizieren und wir so unsere Gesundheit und Ernährung optimieren können." Den Unternehmen der Digital-Branche rät er, sich darauf einzustellen, dass viele der technischen Geräte, die wir derzeit noch mit uns herumtragen, bald in uns haben werden. "Der Körper wird die neue Plattform sein."
Dabei wird es zunehmend denkbar, dass diese Körper nicht mehr nur aus dem Fleisch und Blut sind, wie wir gewohnt sind. Bernhard Rohleder, der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands Bitkom, hat in seinem jüngsten Ausblick auf die Entwicklungen der Digitalwirtschaft einige Trends gepackt, die derzeit noch eher gruselig wirken. "Ich kann mir vorstellen, dass es bald Organe aus dem 3-D-Drucker gibt, ihr Steak können Sie sich ja bereits nach ihrem Geschmack ausdrucken und konfigurieren", sagt er zum Auftakt seiner Verbands-Tagung. Akzeptanzprobleme für die Leber aus dem Drucker sieht Rohleder nicht. Die Akzeptanz für jedwede Technik, die das Leben irgendwie länger aktiv und selbstständig führen lässt, wächst beständig in der alternden Gesellschaft. "66 Prozent der Älteren würden sich Technik, wie beispielsweise Chips einpflanzen lassen, wenn sie dadurch länger im eigenen Heim leben könnten", meint Rohleder.
Deutsche Wirtschaft sieht Digitalisierung als Chance
Der Verbands-Funktionär hat eine klare Botschaft. Es wird durch die Digitalisierung zu einer tiefgreifenden Veränderung in allen Bereichen der Gesellschaft kommen. Das sorgt für Unruhe in der Wirtschaft. In 56 Prozent der Unternehmen in Deutschland fühle man sich nicht gut aufgestellt für die digitale Zukunft, zitiert Rohleder aus einer aktuellen Umfrage unter über 500 Managern. 96 Prozent sehen die Digitalisierung als Chance. Doch in vielen Traditions-Branchen kämpft man inzwischen mit neuen, starken Wettbewerbern. "Fast zwei Drittel der Banken und die Hälfte der Autobauer betrachten große Unternehmen der Digitalbranche als Konkurrenz", weiß Rohleder. Er rät den Unternehmen zu mehr ganzheitlichen Ansätzen, um offen für neue Geschäftsmodelle zu sein. Die müssten zügig gefunden werden. "In der digitalen Plattform Ökonomie ist Schnelligkeit ein ganz entscheidender Faktor!"
Thomas Peeters versucht die Zeichen der Zeit zu lesen. Er ist bei der Online-Bank ING Diba verantwortlich für die Strategie. Er will sich von den Internetunternehmen nicht das Geschäft verderben lassen. "Wir arbeiten mit über 100 Fintechs zusammen, da geht es um Robot-Anlageberatung, Crowd-funding und Zahlungsverkehr", beschreibt Peeters. Statt sich das Geschäft von den Neuen abnehmen zu lassen, hofft er auf einen kleinen Anteil in der Wertschöpfungskette. Zum beiderseitigen Vorteil. "Wir haben als Bank das Vertrauen der Kunden, die Startups haben die interessante Technik." Peeters sieht seine Bank in einer vorteilhaften Position: "Wir betreiben keine Filialen und so stört uns das nicht so sehr, dass die Transaktionen mit Bargeld immer weiter abnehmen werden." Aber auf dem Weg zur gänzlich digitalisierten Finanzwirtschaft gebe es noch große bürokratische Hindernisse. "Das Gesetz fordert immer noch ausgedruckte Formulare mit Unterschrift, das müssen wir irgendwann mit einem Klick hinkriegen."
Der unwillige Roboter
Bei der immer schnelleren Entwicklung der Technik und ihrer Anwendungen wird es langsam auch Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, worauf die Menschen sich da einlassen. Die Technik rückt uns näher, sogar unter die Haut. Sie schafft eine Beziehung, die enger nicht sein könnte. "Wir müssen aufpassen, dass wir menschlich bleiben in der digitalen Welt", sagt Fabian Hemmert vom Design Research Lab der Universität der Künste zu Berlin. Er warnt davor, dass wir zu einer Art "Darth Vader" werden – einer Mischung aus Mensch und Technik, die ohne ihren digital-mechanischen Teil nicht mehr existieren kann. Er probt die Trennung von der Technik im Kleinen. "Bei uns zu Hause schlafen die Handys nicht im selben Raum wie wir."
Hemmerts Ansatz: Er versucht den elektronischen Dingen etwas mehr Menschlichkeit beizubringen. Seine Designstudien beschäftigen sich mit Handys, die emotional auf ihre Besitzer reagieren. Sie verstehen Gesten, freuen sich über ihre Benutzung, oder sind auch manchmal verhalten, wenn sie meinen, das wird jetzt zu viel. Es ist eine anregende Spielerei mit programmierten Gefühlen. Die echten jedoch, das will Hemmert deutlich machen, gibt es nur beim Menschen. Und das, so der Eindruck vom Trendkongress der Digitalwirtschaft in Berlin, wird sich so bald auch nicht ändern.