"Die unperfekte Frau"
5. September 2016Deutsche Welle: Frauen im Film haben in einer bestimmten Rolle gesellschaftliche Verhältnisse nicht nur gespiegelt, sondern erkennbar beeinflusst. Hat eigentlich die inzwischen 47-jährige Oscar-Preisträgerin in ihrer Rolle als Bridget Jones auch ein neues Frauenbild geprägt?
Sibylle Stürmer: Aus meiner Sicht hat Renée Zellweger mit der populären Reihe um Bridget Jones sehr wohl ein neues Frauenbild etabliert. Die wurde ja doch sehr breit wahrgenommen. Viele Frauen sind mit ihren Freundinnen ins Kino gegangen, um sich einen schönen Abend zu machen und herzlich zu lachen. Sie haben durch den Film bestimmt auch Aspekte ihres eigenen Lebens auf die Schippe genommen gesehen. Jones verkörpert die unperfekte Frau, die alles so gut macht, wie es eben jetzt gerade in ihrem chaotischen Leben geht.
Erwarten Sie Bridget in einer gewandelten Rolle?
Ich finde die Grundkonstellation, unter der der neue Film steht, sehr interessant. Denn die Aussicht, alleinerziehende Mutter zu werden, ist so ungefähr der schlechteste soziale Status, den eine Frau in unserer heutigen Gesellschaft bekommen kann – außer alt zu sein. Das ist vielleicht noch schlimmer. Aber alleinerziehende Mutter zu sein, ist so eine Horrorsituation, hat so eine große Fallhöhe, dass ich mir von diesem Film ein großes humoristisches Potenzial erwarte.
Findet jede Generation ihr eigenes, prägendes Rollenvorbild bei den weiblichen Stars?
Ich glaube, jede Generation hat mehrere. Es gibt ja immer das Bild der erfolgreichen, berufstätigen Frau, das der sexuell attraktiven Liebhaberin, es gibt die fürsorgende Freundin, die man Tag und Nacht anrufen kann, die unterhaltsame Frau, mit der man gern einen Abend verbringen möchte, oder die unnahbare Schöne. All diese Bilder, die auch auf Filmen gründen, die wir gesehen haben, schlummern in uns allen. Wir spielen mit diesen Versatzstücken.
Gibt es nicht neben all diesen Modellen, die Sie eben benannt haben, von Generation zu Generation neue, dominante Frauenrollen, die zuvor nicht existierten?
Die Geschlechterrealität hat sich im letzten Jahrhundert wesentlich gewandelt. Das hat vor allem Auswirkungen auf das Leben von Frauen. Das Leben der Männer hat sich weniger stark verändert. Deshalb sind für uns heute Rollen oder Verhaltensweisen möglich, die vor 20, 40 oder 60 Jahren absolut undenkbar waren. Filme sind da teilweise der Wandlung der Lebensrealität vorangegangen. Filme bilden ja Realität ab und manifestieren neue Rollen im Bewusstsein der Zuschauerinnen. Und Filme schaffen auch eine Utopie, der sich die Realität dann nachformt.
Ich glaube, dass zum Beispiel "Thelma und Louise" ein wirklicher Meilenstein in Bezug auf das Frauenbild war. Der Film ist im Jahr 1991 gedreht worden und handelt von zwei Frauen, die einen Raubüberfall begehen, weil sie unbedingt Geld brauchen. In diesem Film hat man zum ersten Mal Frauen gemeinsam bei einer kriminellen Tat gesehen. Ich bin davon überzeugt, dass er das Rollenbild der Frau erweitert hat: Dass sie ihr Leben in die eigene Hand nehmen, selbst wenn das in dem Moment heißt, dass sie eine kriminelle Tat begehen.
Welche deutschen Filme haben das Rollenbild der Frau neu geprägt?
Ich würde da zum Beispiel den Film "Rote Sonne" nennen, der aus der 68er-Bewegung stammt. In diesem Film hat Uschi Obermaier, damals ein Mitglied der Kommune K1, die Hauptrolle gespielt. Sie spielt eine Frau, die ihre wechselnden Liebhaber mit in ihre Frauenwohngemeinschaft nimmt. Diese Frauen-WG hat sich zur Regel gesetzt, dass sie jeden Mann nach einer Woche, in der er sexuell mit ihnen verkehrt hat, umbringen. Das wird mit großer Selbstverständlichkeit zelebriert. Diese wunderhübsche Uschi Obermaier, die mit ihrem Aussehen damals der Hingucker von Deutschland war, mordet in diesem Film ganz selbstverständlich Männer. Sowas darzustellen, war so frech, dass das eine bleibende Veränderung hinterlassen hat.
Auch ein Film wie "Lola rennt" von Tom Tykwer hat eine sehr starke weibliche Hauptperson. Dieser Film hat den deutschen Film international wieder bekannt gemacht, denn er fand gerade in einer Zeit statt, in der die Amerikaner solche Geschichten nicht erzählt haben. Sie haben nicht darauf vertraut, dass eine Frau als Hauptdarstellerin einen Film tragen kann. Erst vor zwei Jahren haben die amerikanischen Studiobosse erkannt, dass gerade Filme, in denen eine Frau die Hauptrolle spielt, kommerziell erfolgreich sein können: "Die Tribute von Panem, Teil 2" mit Jennifer Lawrence gehörte 2013 und 2014 zu den weltweit erfolgreichsten Filmen. Der Animationsfilm "Die Eiskönigin" von Jennifer Lee war 2013 der meistgesehene Film des Jahres.
Seit wann müssen führende weibliche Stars eigentlich nicht mehr schön sein?
Für mich ist ein Aspekt von Bridget Jones eben auch die Darstellung des Bildes der verführerischen Frau. Das ist ja durch die ersten beiden Filme immer sehr konterkariert worden. Und das wird natürlich in diesem nächsten Film, wenn sie jetzt ein Baby bekommt, noch weiter auf die Spitze getrieben werden.
In der deutschen Filmgeschichte hat ein Film von 1951 den Blick auf die sexuell attraktive Frau verändert: "Die Sünderin", der den Welterfolg von Hildegard Knef begründete. Darin spielt sie eine Frau, die sich prostituiert, um ihrem geliebten Mann eine Operation zu ermöglichen, durch die er das Augenlicht wiedergewinnt. Das hat damals eine breite Kontroverse ausgelöst, da sie auch als erste Frau nackt im deutschen Nachkriegskino zu sehen war. Auf der anderen Seite hat der Film die Rolle der Frau deshalb so nachhaltig verändert, weil sie sich ja wirklich aus guten Gründen an Männer verkauft. Dieser Film hat das Rollenbild der Frau vielschichtiger gemacht. Darin liegt seine große Bedeutung.
Hat so ein radikaler Film wie "24 Wochen" der Regisseurin Anne Zohra Berrached, der einzige deutsche Wettbewerbsfilm bei der diesjährigen Berlinale, die weibliche Sichtweise auf die Spitze getrieben? Die Schauspielerin Julia Jentsch in der Rolle einer Schwangeren sieht sich darin vor die Frage gestellt, ob sie ihr stark behindertes Kind im 6. Monat abtreibt.
Wir hatten selbst in den 1920er Jahren schon sehr fortschrittliche Filme. Sogar schon in den ersten Filmen der Geschichte. In dem Film "Arbeiter verlassen die Fabrik" der Brüder Lumière sind es keine Arbeiter, sondern in erster Linie Arbeiterinnen, die die Fabrik verlassen. Sie tun das ganz selbstbewusst, laufen auf die Kamera zu in ihren schönen langen Kleidern, in denen sie nach Hause strömen in den Feierabend: Der erste Film liefert bereits ein Bild von großer Gleichheit, Männer und Frauen agieren praktisch auf gleiche Art und Weise. Solche Filme gab es von Anfang an.
Kehren wir zur Gegenwart zurück. Kann man eigentlich von einem Grundtypus Frau im aktuellen deutschen Film sprechen?
Wenn ich grob pauschalisieren müsste, dann sind die deutschen Frauen im Film diejenigen, 'die's jetzt tun'. Die handeln. Sie sind nicht schön, sie stehen nicht in der Ecke. Das sieht man auch an Sandra Hüller in "Toni Erdmann": Sie handelt, auch mit all der Verzweiflung und all der Widersprüchlichkeit – sie tut was, sie nimmt die Dinge in die Hand. Die handelnde Frau, das könnte ein deutsches Thema sein.
Sibylle Stürmer ist leitende Professorin für Film und Fernsehen an der Hochschule Macromedia in Köln.
Der dritte Teil der "Bridget Jones"-Reihe hatte am 5. September Weltpremiere und kommt am 20. Oktober in die deutschen Kinos. Im Unterschied zu den zwei Vorgängerfilmen basiert "Bridget Jones' Baby" nicht direkt auf einem Roman von Helen Fielding. Sie schrieb aber am Drehbuch mit.