"Unbehagliche" Beziehung
28. September 2012Vierzig Jahre "Normalisierung" zwischen China und Japan sind in den vergangenen Wochen weitgehend zunichte gemacht worden. In Japan wird man die Bilder von chinesischen Transparenten mit der Aufschrift "Tötet alle Japaner" nicht schnell vergessen. Besonders symbolträchtig waren die Brandanschläge auf eine Fabrik des größten japanischen Elektronikkonzerns Panasonic. 1978 hatte Chinas Führer Deng Xiaoping den Panasonic-Gründer Konosuke Matsushita persönlich besucht und um Hilfe bei der Modernisierung von Chinas Wirtschaft gebeten. Aus japanischer Sicht haben die Chinesen nicht einfach Feuer in einer Fabrik gelegt. Dort ist die ganze Ära von Dengs Pragmatismus in Flammen aufgegangen.
Seit der Aufnahme der Beziehungen 1972 haben japanische Investitionen fünf Millionen Arbeitsplätze in China geschaffen. Viele Milliarden Dollar staatlicher Wirtschaftshilfe flossen von Tokio nach Peking. China wurde Japans wichtigster Handelspartner. Jedes Jahr fuhren Hunderte japanischer Wirtschaftsvertreter nach China zum Austausch und Gespräch mit chinesischen Beamten und Politikern. Ein Freihandelsabkommen war auf die offizielle Tagesordnung gerückt.
"Keine gemeinsame Sprache"
Doch die politischen Beziehungen wuchsen und gediehen viel weniger als die wirtschaftlichen Verbindungen. Beim Friedens- und Freundschaftsvertrag von 1978 hatten die beiden Länder den Inselstreit noch zur Seite geschoben. "Unsere Generation ist nicht weise genug, um für diese Frage eine gemeinsame Sprache zu finden", sagte Deng damals. Die nächste Generation würde weiser sein. Doch seine Prognose hat sich als Fehleinschätzung erwiesen. Das liegt daran, dass sich das Verhältnis der beiden Länder fundamental verändert hat.
Vor 40 Jahren war China noch arm und hilfsbedürftig. Japan konnte sich großzügig zeigen, obwohl man den Krieg verloren hatte. Doch durch die rapide Modernisierung ist China auf Augenhöhe zu Japan gewachsen. Erstmals in ihrer Geschichte sind die Nachbarn gleichzeitig Großmächte. "Niemals hatten China und Japan diese Art von Beziehung", betont Michael Yahuda, früher Professor für Internationale Beziehungen an der London School of Economics. Daher gebe es keine historische Erfahrung, auf die man sich beziehen könne, und keine institutionellen Wege, um dieses Verhältnis auszudrücken. "Das Ergebnis ist eine sehr unbehagliche Beziehung", meint Yahuda.
Vom Imperialismus zum Pazifismus
Bis zur Neuzeit sei China von Japan als größeres Zentrum von Kultur und Zivilisation akzeptiert worden, so der Gelehrte. Aber unter dem Meiji-Kaiser (1852-1912) gelang Japan eine so schnelle Modernisierung, dass man 1895 China beim Krieg um Korea besiegen konnte. Das habe ein Gefühl der Überlegenheit in Japan ausgelöst, meint Yahuda. Knapp 40 Jahre später besetzte Japan die Mandschurei und eroberte halb Asien. Die Massaker von Nanking oder die Menschenexperimente der geheimen "Einheit 731" der kaiserlichen Armee zeigten den Chinesen, dass sie von den Japanern als minderwertig betrachtet wurden.
Mit der Kriegsniederlage schaltete Japan abrupt vom Imperialismus zum Pazifismus um. Aus der kaiserlichen Armee wurden Selbstverteidigungsstreitkräfte, die Verfassung verbietet jeden Angriff. "Auch der Rassenhass wurde wie ein Wasserhahn abgedreht", schreibt der US-Historiker John Dower. Zugleich kehrte Japan seine Kriegsverbrechen unter den Teppich. Japanische Schulbücher nennen das Massaker von Nanking einen "Zwischenfall". Der Missbrauch koreanischer Frauen in Bordellen für die kaiserlichen Soldaten wird selten erwähnt.
Scham statt Schuld
Ein Grund für das Verschweigen ist kultureller Natur: Das Schamgefühl ist in Japan stärker ausgeprägt als das Schuldgefühl. Der zweite Grund hängt mit dem Ende des Weltkrieges zusammen. Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki erleichterten es Japan, die eigenen Verbrechen zu verdrängen. "In Japan ist Nanking ein Tabu, weil das die Sichtweise vieler Japaner stört, sie seien nicht nur Kriegstäter, sondern auch Kriegsopfer", erklärt der japanische Autor Yoshikazu Kato.
Gegenüber seinen Nachbarn gestand Japan zwar immer wieder seine Schuld ein. Aber eine offizielle Entschuldigung gab es nur einmal, nämlich 1993, und ohne dass alle Parteien voll dahinter standen. Das interpretierten die anderen Völker in Asien als Beweis, dass Japan es mit seinem Pazifismus nicht ernst meine. In dieser Zwickmühle bleibt Japan heute stecken. Der Aufstieg Chinas zwingt Nippon zur Selbstbehauptung, doch dabei stehen der Pazifismus und damit die Kriegsschuld im Weg. Konservative Japaner erklären daher bereits, dass man sich genug entschuldigt habe, etwa der neue Vorsitzende der Liberaldemokraten, Shinzo Abe.
Der populäre Bürgermeister von Osaka, Toru Hashimoto, will die pazifistische Verfassung abschaffen. Dieser Trend wird die Meinung vieler Nachbarn bestärken, dass Japans Eingeständnis seiner Kriegsschuld immer nur halbherzig war. Doch aus japanischer Sicht ist das ein Missverständnis. Diesmal gehe der Imperialismus von China aus, so die Lesart der neuen historischen Situation, gegen den sich Japan nur verteidige.