Die SPD will Alt-Kanzler Gerhard Schröder loswerden
21. April 2022Es gibt nicht viele, mit denen der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder noch spricht. Mit einer US-Journalistin hat er es getan - ausführlich und bei "reichlich Weißwein", wie am Wochenende in einem langen Artikel in der "New York Times" zu lesen war. Ein Artikel, der auch den letzten in der SPD zu der Überzeugung bringen muss, dass Gerhard Schröder nicht bereit ist, sein Verhältnis zu Russland zu überdenken.
Zwar distanziert sich Schröder vom Krieg, den er "einen Fehler" nennt. Doch seine Freundschaft zum russischen Präsidenten Wladimir Putin und seine Posten in der russischen Energiewirtschaft will der 78-Jährige nicht aufgeben. Putin selbst habe "ein Interesse, ihn zu beenden", will Schröder vom russischen Präsidenten erfahren haben, als er sich mit ihm Mitte März ohne vorherige Absprache mit der Bundesregierung im Kreml traf. "Das ist aber nicht so einfach, es gibt noch einiges zu klären", zitiert die NYT den Alt-Kanzler.
Gut gelaunt in Sotschi
Als die US-Journalistin Schröder nach den Gräueltaten in Butscha, einem Vorort von Kiew, fragt, kommt als Antwort: "Das muss untersucht werden." Schröder fügt aber hinzu, dass er nicht glaube, dass Putin die Befehle gegeben habe, sondern dass sie "von einer niedrigeren Instanz" gekommen seien. Dabei kann auch Schröder nicht entgangen sein, dass Putin die Soldaten, die in Butscha waren, ausgezeichnet hat.
Das Bild, das die Menschen von Putin hätten, sei ohnehin "nur die halbe Wahrheit", so der Alt-Kanzler, der in dem Interview Anekdoten vom Sauna-Gang mit Putin erzählt und Fotos von einem Treffen in Sotschi im Herbst 2021 zeigt. Darauf lächeln die beiden Männer, Putin trägt einen roten Eishockey-Anzug. Worüber sie gesprochen hätten, fragt die Journalistin. "Fußball", antwortet Schröder. Damals zog Putin bereits seine Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammen.
Handel mit Russland als Konstante
Gerhard Schröder war von 1998 bis 2005 Bundeskanzler. Seit mehr als zwanzig Jahren verbindet ihn mit Putin eine Freundschaft, die weit über ein politisches Verhältnis hinausgeht. Putin vermittelte Schröder und seiner damaligen Frau Doris Schröder-Köpf vermutlich sogar zwei russische Adoptivkinder. In Deutschland wären sie womöglich wegen des fortgeschrittenen Alters nicht berücksichtigt worden.
Schröder wirbt dafür, die Beziehungen zu Russland trotz des Angriffskrieges gegen die Ukraine aufrechtzuerhalten. "Die deutsche Industrie braucht die Rohstoffe, die Russland hat." Er selbst habe eine Politik fortgeführt, die "seit den 1960er Jahren eine Konstante" gewesen sei, nämlich die Sowjetunion und später Russland durch Handel einzubinden.
Russland nicht dauerhaft isolieren
Beim russischen Gas seien alle mit dabei gewesen. "In den letzten 30 Jahren haben sie alle mitgemacht, aber plötzlich wissen es alle besser", zitiert die NYT Schröder und rechnet vor, dass die Aufsichts- und Verwaltungsratsposten in Russland dem Ex-Kanzler eine Million Dollar pro Jahr einbringen. Wenn er reich geworden sei, sei es auch die Bundesrepublik Deutschland, sagt Schröder dazu. "Ich mache kein mea culpa. Das ist nicht mein Ding."
Ein Land wie Russland könne man auch nicht auf Dauer isolieren. "Wenn dieser Krieg vorbei ist, werden wir uns wieder mit Russland befassen müssen. Das tun wir immer." Schröder betont, er habe "immer deutschen Interessen gedient" und tue auch heute was er tun könne. "Wenigstens eine Seite vertraut mir." Die NYT schreibt dazu: "Diese Seite ist nicht die deutsche Seite." Er sei "Putins Mann in Deutschland" und ein "Symbol für die deutsche Russlandpolitik", urteilt die Zeitung abschließend über Gerhard Schröder.
Die SPD und ihre Nähe zu Russland
Für die SPD kommt das Interview zur Unzeit. Die Partei muss sich seit Wochen gegen Vorwürfe verteidigen, sie habe zu lange und zu sehr auf Annäherung zu Russland gesetzt und dabei Risiken außer Acht gelassen. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk sieht sogar Verbindungen zwischen einer "höchst bedenklichen Nähe zu Russland" in den vergangenen Jahren und der heutigen zögerlichen Haltung bei der Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine.
Besonders im Visier hat Melnyk Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Er war ab 1998 einer der engsten Vertrauten von Kanzler Schröder, sein Kanzleramtsminister und ab 2005 Bundesaußenminister. Als solcher habe er ein "Spinnennetz der Kontakte mit Russland" geknüpft, sagte Melnyk Anfang April im Berliner "Tagesspiegel". In dieses Netz seien auch viele Leute verwickelt, die in der jetzigen Bundesregierung das Sagen hätten.
Putin hatte freie Hand
Frank-Walter Steinmeier hat inzwischen schwere Fehler eingeräumt. Fast 15 Jahre lang war er der Idee einer engen Zusammenarbeit mit dem Kreml gefolgt, in deren Zentrum die Energie stand. "Wandel durch Handel" oder auch "Wandel durch Verflechtung" hieß die Strategie, die auf eine Modernisierungspartnerschaft mit Russland zielte.
Egal, was Putin befahl, ob es der Krieg in Georgien war, die Unterdrückung der Opposition in Russland oder die Annexion der Krim - Steinmeier gehörte zu denen, die stets dagegen waren, mit Russland härter umzugehen oder Sanktionen zu verhängen.
Brücken, an die Russland nicht mehr geglaubt hat
Noch 2016, also zwei Jahre nach der Annexion der Krim, schimpfte Steinmeier über "lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul" an der "Ostgrenze des Bündnisses", als 10.000 Nato-Soldaten in Polen und dem Baltikum Manöver abhielten, um die Verteidigung einer (Halb-)Insel wie der Krim zu üben.
Heute spricht der Bundespräsident davon, "gescheitert" zu sein: "Wir haben an Brücken festgehalten, an die Russland nicht mehr geglaubt hat und vor denen unsere Partner uns gewarnt haben."
Besuch in Hannover
Fehler hat auch der frühere SPD-Chef, Bundeswirtschafts- und Bundesaußenminister Sigmar Gabriel eingestanden. Noch am Tag vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine hatte Gabriel behauptet, Putin gehe es "nicht um Landgewinne". Inzwischen räumt der 62-Jährige ein, der nach seiner politischen Karriere inzwischen in der deutschen Wirtschaft angeheuert hat: "Es war ein Fehler, bei den Einwänden gegenüber Nord Stream 2 nicht auf die Osteuropäer zu hören. Das war auch mein Fehler."
Kürzlich besuchte Gabriel Alt-Kanzler Schröder in Hannover. Nach eineinhalb Stunden Gespräch zitierte die "Bild-Zeitung" Gabriel mit den Worten: "Ich wollte Gerd Schröder fragen, was bei seinen Gesprächen in Istanbul und Moskau zu den Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland herausgekommen ist. Aber leider scheint trotz vielfältiger internationaler Bemühungen ein schnelles Ende dieses furchtbaren Angriffskrieges offenbar nicht in Sicht zu sein."
Gabriel streitet mit Melnyk
Doch war das tatsächlich alles, was Gabriel mit Schröder besprechen wollte? Es geht ihm wohl auch darum, seine historische Reputation zu retten und die seiner Genossen. Mit einem Post auf Twitter nahm Gabriel am Osterwochenende Frank-Walter Steinmeier gegen die Angriffe des ukrainischen Botschafters Melnyk in Schutz. "Spinnennetze dienen bekanntlich dem Fang und der anschließenden Verwertung der Beute", schrieb Gabriel. "Auf den Punkt gebracht insinuiert dieser Vergleich, dass der frühere Kanzleramts- und Außenminister die Interessenvertretung Russlands in Deutschland mitorganisiert habe. Das ist wahrheitswidrig und bösartig."
Das wollte Melnyk nicht auf sich sitzen lassen und keilte entsprechend zurück. "Bösartig ist vor allem Ihre und Ihrer SPD-Kumpane jahrelange Putin-freundliche Politik gewesen."
Ein Albtraum für die SPD
SPD-Chefin Saskia Esken hat sich kürzlich mit Melnyk getroffen und ihn offenbar davon überzeugen können, die Auseinandersetzung nicht länger öffentlich auszutragen. Keinen Schritt weiter ist die Parteispitze hingegen im Streit mit Altkanzler Schröder. Seit Wochen appellieren, fordern und drohen führende Genossen, der frühere Regierungschef möge mit Putin brechen und sich von seinen Posten zurückziehen.
"Mit einem Aggressor, mit einem Kriegstreiber wie Putin macht man keine Geschäfte. Als Bundeskanzler a.D. handelt man nie komplett privat. Schon gar nicht in einer Situation wie der jetzigen", hatte SPD-Chef Lars Klingbeil im März in den sozialen Medien geschrieben.
Parteiausschlüsse sind schwierig
Der SPD-Spitze liegen mehrere Anträge auf einen Parteiausschluss Schröders vor, doch das Verfahren zieht sich hin, und es ist auch nicht so einfach, ein Parteimitglied auszuschließen. Esken forderte den Alt-Kanzler jetzt auf, aus der Partei auszutreten. "Seine Verteidigung Wladimir Putins gegen den Vorwurf der Kriegsverbrechen ist regelrecht absurd", sagte Esken im Deutschlandfunk.
Auf die Frage, ob Schröder aus der SPD austreten solle, entgegnete sie: "Das sollte er." Schröder agiere seit vielen Jahren lediglich als Geschäftsmann. "Wir sollten damit aufhören, ihn als Elder Statesman, als Altkanzler wahrzunehmen", sagte Esken. Sein Urteil hat auch der SPD-Co-Vorsitzende Lars Klingbeil getroffen: "Ich hätte mir gewünscht, dass sich Gerhard Schröder auf die richtige Seite der Geschichte stellt. Er hat sich aber für die falsche entschieden."
Dieser Artikel wurde erstmals am 2. April 2022 publiziert und am 25. April 2022 aktualisiert.