Die SPD schaltet auf Angriff
27. September 2017Der Saal, in dem Andrea Nahles gerade zur neuen SPD-Fraktionsvorsitzenden gewählt wurde, hat sich bereits geleert, da bleibt sie noch eine Weile am Eingang stehen, nimmt strahlend Glückwünsche entgegen und beantwortet Fragen. Zum Beispiel die, ob die Sozialdemokraten sicher in die Opposition gehen werden, so wie sie es mit großem Nachdruck nach ihrem Wahldebakel angekündigt haben. Auf jeden Fall, versichert die frisch gebackene Fraktionschefin, die heute um ihre vorzeitige Entlassung aus dem Amt der Bundesarbeitsministerin gebeten hat.
Mit leisem Spott berichtet Nahles aus ihrer letzten Kabinettssitzung am Morgen: Inzwischen hätten CDU und CSU kapiert, dass die die SPD für eine Neuauflage der große Koalition tatsächlich nicht zur Verfügung stehe. "Ich wünsche viel Vergnügen auf der Reise", kommentiert sie die anstehenden Verhandlungen von Union, FDP und Grünen über eine Jamaika-Koalition, die allseits als höchst kompliziert eingeschätzt werden.
Den Gang in die Opposition will Nahles nicht als Rückzug verstanden wissen, sondern als Beginn eines Erneuerungsprozesses. Und als neue Freiheit zum Angriff: "Ab morgen kriegen sie in die Fresse", beschreibt die 47-Jährige in schnörkelloser Schnoddrigkeit, was sie als Chefin der größten Oppositionsfraktion vorhat: Durch Angriffe auf die politischen Gegner - einschließlich der Union - will sie das Profil der SPD wieder schärfen, bevor die einst so stolze Volkspartei gänzlich zur politischen Randerscheinung verkümmert.
Im Fokus der Auseinandersetzung werde die neue Regierung stehen und nicht etwa die rechtspopulistische AfD, präzisiert Nahles, die die Disziplin "Attacke" beherrscht, seit sie Juso-Vorsitzende und Generalsekretärin ihrer Partei war. Auch als Arbeits- und Sozialministerin in der großen Koalition hatte sie einige Kämpfe auszufechten - etwa bei der Einführung des Mindestlohns in Deutschland, einem ihrer größten politischen Erfolge.
Oppermann hat auf eine neue Kandidatur verzichtet
Dass die Parteilinke außerdem in der SPD gut vernetzt ist, machte sie in den Augen von Parteichef Martin Schulz zur idealen Kandidatin für den Posten - er schlug Nahles vor, die Fraktion folgte. Mit 137 zu 14 Stimmen wurde sie zur Nachfolgerin von Thomas Oppermann gewählt, der nicht darüber murrte, dass er seinen Posten nach vier Jahren abgeben musste. Ihm winkt möglicherweise das Amt eines Vizepräsidenten des Bundestags. Neuer Parlamentarischer Geschäftsführer wird der Haushaltspolitiker Carsten Schneider, der aus Thüringen kommt und dem rechten Flügel der SPD zugerechnet wird.
Nun sinnt Nahles darauf, zusammen mit Schulz der Partei und der Fraktion neuen Kampfgeist einzuhauchen. Am Anfang steht dabei die Analyse des miserablen Wahlergebnisses von 20,5 Prozent. Dafür wolle die Partei sich Zeit nehmen, sagt Nahles, die aus der Eifel kommt und Mutter einer sechsjährigen Tochter ist. Bisher hat sie nur Fragen, aber keine Antworten: "Wir sind die Partei der sozialen Gerechtigkeit - aber wie spüren die Leute das im Alltag?"
40 Abgeordnete weniger
Die Phase der Regeneration, so stellt die SPD sich das vor, soll sie langfristig wieder in die Regierungsverantwortung bringen. "Wir gehen nicht in die Opposition, um in der Opposition zu bleiben." In ihrer um 40 auf 153 Abgeordnete geschrumpften Fraktion hat Nahles drei Tage nach dem Wahl-Schock bereits eine Aufbruchstimmung ausgemacht.
Bevor sie den Saal verlässt, bleibt sie vor den Porträts ihrer Vorgänger stehen - allesamt Männer. Von wem der Herren, wird sie noch gefragt, werde sie in ihrer Amtsführung etwas übernehmen? "Am meisten geprägt hat mich Peter Struck", gibt Nahles zurück. Der 2012 verstorbene Sozialdemokrat war bis 2009 Fraktionsvorsitzender der SPD. Struck habe nicht nur die Parlamentarier und die parlamentarischen Debatten ernst genommen, sondern auch für Disziplin in der Fraktion gesorgt, betont Nahles. "Das sind Punkte, die man gerne irgendwann auch über mich sagen kann."