Die Renaissance der FDP
12. Mai 2017Es sind die Farben. Sie sind anders als früher. Jahrzehntelang kamen die Liberalen blau-gelb daher, jetzt ködern auch knallrot, lila, türkis und ein schrilles pink die Augen. Die Wahlplakate der FDP sind die einzigen Hingucker im Wahlkampf Nordrhein-Westfalens. Alles andere ist bieder bis "schon mal gesehen". Immer im Fokus: Christian Lindner, der Landeschef und Bundesvorsitzende. Der erst 38-Jährige ist die personifizierte FDP reloaded. Ein Jungstar, einer, der vier Jahre parlamentarische Abstinenz in Berlin beenden soll. Und das nicht irgendwie knapp über der Fünf-Prozent-Hürde, nein, zweistellig soll es werden. Und die Chancen stehen derzeit gut.
Der nette, junge Herr Lindner
Denn Lindner kommt an! Der Mann mit den kurzen blonden Haaren und dem gelegentlichen Dreitagebart hätte beste Chancen beim Wettbewerb "Deutschland sucht den Super-Schwiegersohn". Leicht bubihaft in der Erscheinung ist der studierte Politologe tatsächlich aber ein brillanter Redner - was ihm sogar seine politischen Gegner nicht absprechen. Sein Markenzeichen ist der freie Vortrag ohne Pult und Mikro in der Hand. Eine Stunde und mehr arbeitet er die Stichpunkte ab, die er auf einem nur postkartenkleinen Zettel in der Hand hält. Bei den Pointen erhebt er sich leicht auf den Zehenspitzen. Anders als sein inzwischen verstorbener Vorgänger Guido Westerwelle kommt Lindner leicht daher.
Er gilt als Überflieger, als einer, dem alles locker von der Hand geht. Schon als Oberschüler war er freiberuflich tätig. Seine spätere Internetfirma ging allerdings insolvent. Den Millionenkredit aus öffentlichen Fördergeldern musste er nicht zurückzahlen. Über die frühe Unternehmerperiode berichten die Medien inzwischen bemerkenswert wenig. Stattdessen wird er seit 2013, der Stunde Null der Liberalen, mal wohlwollend gewürdigt, mal hymnisch als Retter des deutschen Liberalismus gefeiert.
Lindners Start als oberster Liberaler bot wenig Perspektive. Nahezu alles lag darnieder: das Personal verbraucht, die Kassen leer, das Programm gescheitert. Er hatte keine Chance, doch er nutzte sie. Er war jung genug, um nicht als Altlast der abgewirtschafteten FDP diskreditiert zu sein. Er war frei. In Düsseldorf in der Opposition und in Berlin gar nicht erst im Parlament, stand er vor allem im Windschatten größerer Medienaufmerksamkeit. Die FDP konnte ja praktisch nichts falsch machen. Beste Voraussetzungen also für einen lautlosen Neustart.
Als die FDP noch als Anwalts- und Zahnarztpartei war
Die alte FDP war vor allem eine Klientel-Partei. Ärzte und Apotheker, Hoteliers und Mittelständler machten die Liberalen zu einer kleinen, aber festen Größe an der Seite der CDU - etwas weniger lang auch als Juniorpartner der SPD. Immer darauf erpicht, allzu viele Verbote für den Markt zu verhindern und die Abgaben für Freiberufler und Arbeitgeber klein zu halten. Ein so verstandener Liberalismus gipfelte dann irgendwann Mitte der 1990er Jahre in dem Etikett "Partei der Besserverdienenden".
Das Elitäre in der FDP wurde zur Angriffsfläche. Sozialdemokraten und Grüne konnten wieder und wieder in die selbst geschaffene offene Flanke hinein stoßen. Das Image der FDP nahm Schaden. Doch nichts hat den Liberalen gesellschaftlich mehr geschadet als der Ruf, eine kalte Kapitalistenpartei zu sein, die programmatisch nicht mehr anzubieten hatte als Steuersenkungen für Reiche.
In dieser Pauschalität war der Vorwurf sicher nicht gerechtfertigt, doch die Erinnerung an die politische Buhmann-Zeit scheint noch frisch zu sein. Als beim Bundesparteitag Anfang des Monats der Antrag gestellt wurde, den rezeptpflichtigen Versandhandel von Medikamenten verbieten zu lassen, um die Apotheker vor Ort zu schützen, war Gefahr im Verzug. Lindner roch die selbstgestellte Falle. Man sei politisch tot, warnte er seine Partei, wenn die FDP jetzt wieder Klientel-Politik betreibe.
Das saß - die Apotheker schäumten. Die Liberalen werden mit solchen Korrekturen am alten Selbstverständnis den einen oder anderen Freiberufler an der Wahlurne am 14. Mai in Nordrhein-Westfalen und im September bei der Bundestagswahl verlieren, doch die entscheidende Frage der kleinen Partei lautet: Wie und mit was spreche ich die Mitte der Gesellschaft an? Das Neue an der Lindner-FDP ist auf jeden Fall die Verbreiterung ihrer Politikziele.
Ihr Renner von einst, die permanente Forderung nach Steuerentlastungen, die nie kamen, wird inzwischen leiser formuliert. Stattdessen rücken die ebenfalls klassischen liberalen Politikfelder Bildung, freier Wettbewerb und Digitalisierung wieder nach vorne. Dazu eine Prise Patriotismus. Lindner hatte Merkels Flüchtlingspolitik von Anfang an kritisiert. Nicht grundsätzlich, aber wer ins Land kommt, sollte sich ausweisen können.
Wieder reif für eine Koalition: aber mit wem?
Die Frage ist längst nicht mehr, ob die FDP beim Wähler in Düsseldorf und im Bund erfolgreich sein wird, sondern wie sehr. Und: Mit wem geht sie dann eine Koalition ein? Die beschaulichen Politikverhältnisse aus der Zeit der Drei- oder Vierparteien-Parlamente ist vorbei. Der Kuchen der Wählerstimmen wird zwischen fünf oder sechs Parteien aufgeteilt. Das macht Dreierbündnisse nötig. Doch mit der SPD und den Grünen - einer Ampelkoalition - wollen die Liberalen in Berlin nicht. Bei einem Jamaika-Pakt aus CDU, FDP und Grünen, stellen sich letztere quer. Doch das Ausschließen von politischen Dreier-Ehen ist gefährlich, es fördert die ungeliebte Große Koalition.
Wenn es soweit ist, wird Christian Lindner auch das zu regeln haben. Er ist der Christiano Ronaldo der FDP, schrieb unlängst die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Der Ball liegt auf dem Elfmeterpunkt, er muss liefern. Die Voraussetzungen sind optimal. Der aktuelle Deutschlandtrend prophezeit der Lindner-FDP für die Bundestagswahl im Herbst acht Prozent der Wählerstimmen.