Die privatisierte Armee
9. April 2003Am 21. Januar 2003 kam es an der Kreuzung der Autobahn 85 und der Abu-Dhabi-Straße in Kuwait-Stadt zu einem Zwischenfall. Wie aus dem Nichts taucht ein Mann auf. Mit einer Kalaschnikow feuert er auf einen Toyota, der an einer Ampel gehalten hatte. Der Fahrer überlebt schwer verletzt, der Beifahrer ist auf der Stelle tot. Die Opfer befanden sich auf dem Weg zum US-Stützpunkt Camp Doha und waren Mitarbeiter der Software-Firma Tapestry Solutions aus San Diego. Die beiden Amerikaner sollten für die US-Streitkräfte Computersoftware installieren, mit der Militäroperationen koordiniert werden können.
Die Hintergründe dieses Anschlags sind noch immer unklar. Allerdings macht der Zwischenfall auf eine Entwicklung innerhalb der Streitkräfte aufmerksam, die seit Beginn der 90er Jahre - von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen - um sich greift. Private Firmen übernehmen immer häufiger Aufgaben, die einst den Streitkräften vorbehalten waren. Über 30 Milliarden Dollar, das sind etwa zehn Prozent des Verteidigungshaushaltes der USA, lasse sich das US-Verteidigungsministerium Pentagon den Service von privaten Militärfirmen (PMF) kosten, sagt Herbert Wulf vom Internationalen Konversionszentrum Bonn im Gespräch mit DW-WORLD. Auch Großbritannien setze verstärkt auf Outsourcing - das Ausgliedern einzelner Aufgabenbereiche - beim Militär.
Den Truppen zu Diensten
Im Vergleich zum Golfkrieg von 1991 sind diesmal wesentlich weniger Soldaten in der Region stationiert. Dagegen habe sich die Zahl der Mitarbeiter von Militärfirmen vervielfacht, sagt Peter Singer vom Washingtoner Brookings-Institut zu DW-WORLD. Nach Schätzungen des Instituts kommt auf zehn Soldaten ein PMF-Mitarbeiter, vor zwölf Jahren lag das Verhältnis noch bei Hundert zu Eins. 100 Milliarden Dollar soll die Branche weltweit umsetzen, auch wenn diese Zahl nur eine grobe Schätzung ist. Eines steht für Experten aber fest, ohne die PMF's wäre der Krieg der Alliierten wohl nicht durchzuführen. Die Firmen sorgen für Nachschub und Logistik der Truppen, reparieren Waffensysteme, warten B52-Bomber, Apache-Hubschrauer und unbemannte Flugkörper wie Drohnen. "Auf einem Kreuzer, der mit Marschflugkörpern bestückt ist, arbeiten 16 Mitarbeiter von vier verschiedenen privaten Sicherheitsfirmen", sagt Singer.
Dank der millionenschweren Aufträge aus dem Pentagon haben sich Firmen wie MPRI (Military Professional Ressources), Dyncorp, Vinnell oder Cubic zu global agierenden Konzernen mit tausenden von Mitarbeitern entwickelt. Ihre Chefs haben beste Verbindungen ins Weiße Haus. So kommandierte der Chef von MPRI, Ex-General Carl Vuono das US-Heer während der Militäroperation "Desert Storm" - Wüstensturm - im Golfkrieg 1991. Militärisches Training ist einer der wichtigsten Zweige von MPRI. "Wahrscheinlich wird das Unternehmen die Bildung einer irakischen Post-Saddam-Armee übernehmen", so die Prognose von Singer. Die Unternehmen selber halten sich mit Auskünften zu ihren Aufträgen zurück und verweisen stattdessen an das Pentagon.
In allen Krisenherden der Welt
Die Firmen sind immer da, wo auch amerikanische Soldaten eingesetzt sind: In Afghanistan, auf dem Balkan, in Kolumbien, in Indonesien oder Sierra Leone. Gegenüber der Öffentlichkeit geben sich die Unternehmen seriös und betonen immer wieder, dass sie nie direkt ins Kampfgeschehen eingreifen. Sie wollen damit Kritiker widerlegen, die in den privaten Militärfirmen eine neue Form des Söldnerwesens sehen.
"Diese Unternehmen behaupten immer: Wir handeln ganz klar und eindeutig im Rahmen bestehender Gesetze, weil sie eine Lizenz der US-Regierung haben", sagt Wulf vom Internationalen Konversionszentrum Bonn. Seiner Ansicht nach lässt sich auf dem modernen Schlachtfeld allerdings keine klare Trennlinie mehr zwischen Kampfauftrag und Nicht-Kampfauftrag ziehen. "Welche Rolle spielt beispielsweise der Ingenieur, der Computerwissenschaftler, der am Computer sitzt und dem Oberbefehlshaber Daten über Truppenbewegungen durchgibt. Ist der an Kampfhandlungen beteiligt oder nicht?", fragt Wulf.
Rechtliche Grauzone
Der Trend zum Outsourcing werde anhalten, darüber sind sich die Experten einig. Die britische Regierung hat erst kürzlich einen Auftrag zur Luftbetankung der Luftwaffe Royal Air Force ausgeschrieben. So sollen Kosten gespart werden. Bereits heute werden militärische Trainingszentren von Unternehmen wie Dyncorp, MPRI oder Cubic betrieben. Oftmals sind die Streitkräfte auch gar nicht mehr in der Lage, ihre technologisch hochgerüsteten Geräte selbst zu warten.
Nach Ansicht von Wulf bewegen sich die Firmen in einer rechtlichen Grauzone. "Diese Unternehmen sind gegenüber dem Parlament nicht rechenschaftspflichtig. Sie sind nur ihren Aktionären und Auftraggebern verantwortlich", sagt Wulf. So könnten auch Truppenbegrenzungen umgangen oder heikle Operationen ohne langwierige parlamentarische Debatte realisiert werden. Auch völkerrechtlich sei die Stellung der Militärfirmen umstritten. "Die Vereinten Nationen sind gespalten, was das angeht. Die einen verurteilen solche Firmen, andere haben sie bereits beispielsweise zum Schutz von Hilfskonvois oder zur Versorgung von Blauhelm-Soldaten eingesetzt", sagt Singer vom Brookings-Institut in Washington.