Die Polen marschieren zum Nationalfeiertag
10. November 2017Einen Tag vor dem 99. Unabhängigkeitstag elektrisiert vor allem eine Meldung die polnische Öffentlichkeit: Der EU-Ratspräsident Donald Tusk hat kurzfristig seine Anreise zu den staatlichen Gedenkfeiern angemeldet. Eingeladen dazu hat ihn Staatspräsident Andrzej Duda. "Das wird ihm niemand in der PiS verzeihen", heißt es in den sozialen Netzwerken in Anspielung auf die politische Feindschaft zwischen Tusk und dem PiS-Lager. "Nun wird er total niedergemacht", so die Kommentare. Tusk gilt als der Erzfeind von Regierungsparteichef Jaroslaw Kaczynski. Seine Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) liegt seit der Machtübernahme vor zwei Jahren mit der EU über Kreuz.
Im Präsidentenpalast hieß es am Freitagmittag, die Einladung vom Präsidenten an Tusk sei an alle ehemaligen Premierminister und Präsidenten Polens ergangen. "Der Nationalfeiertag soll verbinden, nicht trennen", kommentierte daraufhin gar ein seltener Mahner im polnischen Staatsradio. Die präsidiale Geste an den Ratspräsidenten Tusk wirkt deshalb symbolhaft, da Duda sich gerade im Streit mit seinem einstigen Mentor Kaczynski befindet - wegen der geplanten Justizreform. Das Thema spaltet beide wie kein anderes und je nach Ausgang des Streits könnte es auch politische Folgen für den weiteren Kurs Polens haben.
Angst vor Ausschreitungen
Die Nachricht von Tusks Teilnahme an den offiziellen staatlichen Unabhängigkeitsfeiern hat die seit Wochen in Warschau vorherrschende Angst vor Ausschreitungen in den Hintergrund gedrängt. Neben den offiziellen Amtsträgern wollen nämlich auch Polens Neo-Faschisten einen Gedenkmarsch abhalten, der in den letzten Jahren Tausende gewaltbereite Aktivisten und Fußballhooligans angezogen hat. Kleinere Gruppen von Antifa, Linken und Anarchisten haben sich diesen immer wieder entgegengestellt. Heute allerdings muss die Antifa anderswo gegen den so genannten "Unabhängigkeitsmarsch" demonstrieren.
Der Aufmarsch der Neo-Faschisten wird durch ein neues von der PiS beschlossenes Demonstrationsrecht geschützt. Nach den neuen Regeln gilt der Aufmarsch als eine so genannte "zyklische Veranstaltung" und darf deshalb nicht gestört werden. Damit wurde das Grundrecht auf Gegenproteste in unmittelbarer Nähe für zyklische Events, wie das Monatsgedenken an den Flugzeugabsturz in Smolensk seit dem 10. April 2010 oder auch für religiöse Prozessionen, in Polen praktisch abgeschafft.
"Polen zuerst"
Der polnische Nationalfeiertag wird damit noch mehr als früher vor allem zur ungestörten Innenschau. Nur das angeschlagene oppositionelle "Komitee zur Verteidigung der Demokratie" (KOD) hat für Samstag in der Warschauer Altstadt eine Veranstaltung unter dem Motto "Europäische Unabhängigkeit" angemeldet. Dazu wird nun auch Tusk ein bisschen Flair der weiten Welt nach Polen bringen.
Für die Regierungspartei PiS allerdings ist der Nationalfeiertag vor allem ein willkommener Anlass zur Selbstbeweihräucherung. In der Narration der rechtsnationalen Regierung hat Polen nämlich Mitte November 2015 mit der Einsetzung der PiS-Regierung und Beata Szydlos als Kabinettschefin "die volle Unabhängigkeit" erlangt. Vor allem in den acht vorhergehenden Jahren unter Tusk sei Polen laut Kaczynski eine Art von "Untertan Deutschlands" gewesen. Zudem habe der frühere liberale Premierminister Tusk russische Befehle ausgeführt oder gar mit dem Kreml paktiert, damit das Präsidentenflugzeug mit Jaroslaw Kaczynskis geliebtem Zwillingsbruder an Bord, über Smolensk mithilfe eines - allerdings immer noch zu beweisenden - Terroranschlags abstürzen würde.
Es klingt absurd, doch dieses Narrativ wird vom Parteichef Kaczynski und seinen Gefolgsleuten gebetsmühlenartig wiederholt. Die PiS feiert also am Samstag nicht nur die erfolgreiche Halbzeit ihrer Regierung. Im gleichgeschalteten Staatsfernsehen schwelgt sie in immer neuen Rekorden der Meinungsforschungsinstitute. Kürzlich wurden gar die ohnehin schon sehr guten 40 Prozent der Polen, die bei Parlamentswahlen wieder PiS wählen würden, noch übertroffen. Je nach Meinungsforschungsinstitut bekäme die nationalkonservative Regierungspartei derzeit bis zu 45 Prozent. Man habe die Unentschiedenen eliminiert und neu hochgerechnet, wurde danach im Staatssender TVP erklärt.
Umgeben von Feinden
Innenpolitische Erfolge werden von außenpolitischen Pannen und diplomatischen Spannungen begleitet. So wird kurz vor dem 99. Jahrestag der polnischen Unabhängigkeit eine bedenklich aggressive Stimmung gegen Polens direkten Nachbarn geschürt. Nach den historischen Feinden Deutschland und Russland wird in letzter Zeit immer wieder auch die Ukraine zu den angeblich ärgsten Feinden Polens gezählt. Im Hintergrund steht meist die nicht aufgearbeitete Geschichte zwischen beiden Ländern.
Jüngster Anlass ist eine umstrittene Exhumierungsverweigerung Kiews für polnische Weltkriegsopfer. Neben den stets in den Nachrichten des Staatssenders TVP gezeigten Aufnahmen der deutschen Bombardierung Warschaus werden die Zuschauer nun immer häufiger auch mit grässlichen Aufnahmen der ethnischen Säuberungen in Wolhynien konfrontiert.
Dort haben ukrainische Nationalisten unterstützt von den deutschen Besatzungstruppen im Zweiten Weltkrieg polnische und polnisch-ukrainisch-jüdisch gemischte Dörfer angegriffen und die wehrlose Zivilbevölkerung grausam abgeschlachtet. Zu Gewaltexzessen kam es auch bei polnischen Vergeltungsaktionen in dem multiethnischen Grenzgebiet. Diese lang scheinbar vergessene Tragödie wurde beiderseits der Grenze noch nicht aufgearbeitet.
Mindestens sechs Märsche in Warschau
All diesen Tragödien wird auch bei den kommenden Samstagmärschen wieder gedacht. Um den polnischen Nationalstolz zu zelebrieren, werden am Rande der offiziellen Feiern und des neo-faschistischen "Unabhängigkeitsmarschs" historische Uniform-Formationen und teils Kämpfe nachgestellt. Im demokratischen Geiste finden die Veranstaltungen eher nicht statt. "Die Demokratie ist das dümmste System, das die Menschheit geschaffen hat", sagte kürzlich der Organisator des "Unabhängigkeitsmarschs", Robert Bakiewicz vom neo-faschistischen Radikal-Nationalen Lager.