Die nächste Runde in der Brexit-Schlacht
29. Januar 2019Es ist ein noch nie dagewesener Machtkampf: Das Unterhaus nimmt Anlauf, der Regierung die Kontrolle über die nächsten Schritte beim Brexit zu entreißen. Traditionell hat die Regierung im britischen System den Vorrang und das Parlament nur das Recht, zu ihren Entscheidungen Ja oder Nein zu sagen. Aber die alten Regeln scheinen außer Kraft gesetzt, denn der Speaker wird an diesem Dienstag aus einer Reihe von Vorlagen seitens der Abgeordneten diejenigen auswählen, die er zur Debatte und zur anschließenden Abstimmung zulassen will. Klappt der politische Putschversuch, könnte das Unterhaus selbst einen Weg aus der Brexitkrise suchen.
Kein harter Brexit und Verlängerung
Eine Vorlage der Labour-Abgeordneten Yvette Cooper hat wohl die besten Chancen, zugelassen zu werden und vielleicht sogar eine parteiübergreifende Mehrheit zu finden. Wichtigstes Ziel ist dabei, einen harten Brexit ohne Vereinbarung mit der EU durch einen Beschluss des Parlamentes zu verbieten.
Der Vorschlag ist eine Art Zwei-Stufen-Rakete: Die Regierung hätte danach noch Zeit bis Ende Februar, eine irgendwie geartete Kompromisslösung für den Brexit durch das Parlament zu bringen. Wenn das misslingt, muss sie die EU um Verlängerung mindestens bis zum Sommer bitten. Dafür müsste London einen guten Grund angeben, und der könnte dann in einem zweiten Referendum oder in Neuwahlen bestehen.
Diese Vorlage hätte bindende Wirkung für Premierministerin Theresa May, weil er Gesetzesform erhalten soll. Der Cooper-Plan hat weitgehende Unterstützung bei der Labour Party, ohne dass sich allerdings Parteichef Jeremy Corbyn schon dafür entschieden hätte. Auch die übrige Opposition und Teile der gemäßigten Tories wollen die Vorlage unterstützen, weil sie vor allem verhindern wollen, dass Großbritannien ungeregelt aus der EU hinaus stürzt. Bisherige Berechnungen sahen eine mögliche kleine Mehrheit für den Entwurf.
Entlastungsmanöver für Theresa May
Der Vorsitzende der konservativen Hinterbänkler will ein Entlastungsmanöver für die Premierministerin vortragen. Graham Brady schlägt vor, die Mehrheitsverhältnisse im Parlament zu testen für den Fall, dass der umkämpfte irische "Backstop", die Rückversicherung gegen eine künftige harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik, aus dem Austrittsabkommen verschwindet.
Brady setzt stattdessen "andere Regelungen" in den Text ein. Wie oft auch immer die EU dieser Tage wiederholt, dass der Backstop unveränderlicher Teil des Austrittsabkommens ist und dass er weder zeitlich begrenzt noch einseitig beendet werden kann - der Widerstand in Brüssel scheint zwecklos.
Einige konservative Abgeordnete glauben, die Premierministerin werde enorme "Kampfkraft" dadurch gewinnen, wenn sie mit einer solchen fiktiven Mehrheit für ein theoretisch geändertes Abkommen zurückgehen würde nach Brüssel. Dann könnte sie auftrumpfen und zeigen, dass ein geordneter Brexit nur noch davon abhängt, dass sich die EU in der Irland-Frage endlich "flexibel" zeigt.
Verspricht May, was sie nicht liefern kann?
Montagabend gab es Hinweise dafür, dass die Premierministerin selbst noch einmal mit diesem Vorschlag an das Parlament herantreten und das Wasser testen will, ob sie nicht doch eine Mehrheit für ein geändertes Austrittsabkommen erhalten könnte.
Die Idee ist tollkühn, denn sie muss den Abgeordneten dafür etwas versprechen, worüber sie nicht verfügen kann: Das Verschwinden oder die Entschärfung des irischen Backstop. Hardline-Brexiteers haben May auch schon umgehend eine Absage erteilt: Sie würden sie bei einer solchen Probeabstimmung nicht unterstützen, sondern sich ihre Entscheidung für die echte nächste Abstimmung über den Austritts-Vertrag vorbehalten. Damit kann May aber überhaupt nur noch einmal antreten, wenn Brüssel ihr eine signifikante Änderung zugesteht.
Und dafür gibt es derzeit keine Hinweise. Am Ende könnte sich die Premierministerin mit dieser Strategie eine finale Niederlage einhandeln.
Weiß man am Mittwoch wie's weiter geht?
Vorübergehend war die Hoffnung groß, dass das Parlament einen Weg aus der Brexit-Sackgasse bahnen könnte. Aber fortgesetztes Taktieren auf allen Seiten könnte eine Lösung weiter verhindern.
Die Führung der Labour Party will sich für keinen klaren Kurs entscheiden und laviert weiter zwischen vager Unterstützung des Brexit und der Forderung aus den eigenen Reihen nach einem zweiten Referendum. Und die Konservativen sind weiter tief gespalten wie schon bei der Abstimmung vor zwei Wochen. Zwischen harten Brexiteers, kompromissbereiten Abgeordneten der Mitte und einer Handvoll von Europafreunden liegen nach wie vor Welten.
Theresa May hat bisher allen Forderungen nach Kompromisslösungen und einem echten Dialog mit der Opposition widerstanden. Sie scheint entschlossen, ungerührt einfach weiter zumachen wie bisher.