Winzige Alleskönner
28. November 2009Erdöl wird nicht ewig verfügbar sein und der Klimawandel zwingt dazu, mit Energie sparsamer umzugehen. Windräder und Solaranlagen können ihren Teil dazu beitragen, aber auch - und das ist noch nicht so bekannt - Mikroorganismen. Mikroskopisch kleine Lebewesen, die milliardenfach auf der Welt vorkommen und unglaublich viele Talente haben. Sie zu entdecken und zu nutzen, das versucht die Weiße Biotechnologie. Ganz vorn mit dabei ist das Unternehmen Brain aus dem hessischen Zwingenberg – einem unscheinbaren Örtchen zwischen Frankfurt und Heidelberg.
Aus dem Brain-Labor, inmitten dörflicher Idylle, stammen beispielsweise die Enzyme, mit denen Waschmittel des Henkel-Konzerns verbessert wurden. Unter anderem dafür gab es im vergangenen Jahr den Deutschen Umweltpreis 2008, weil mit diesen Enzymen Erdölprodukte ersetzt werden konnten und sehr viel Energie eingespart wurde. Henkel hätte die Waschleistung zwar auch auf chemischen Weg verbessern können, nur muss man dafür neue Chemikalien herstellen und die basieren großteils auf Erdöl. Außerdem arbeiten die Enzyme bei niedrigeren Temperaturen. Das Waschwasser muss nun also nicht mehr auf 60, sondern nur noch auf 40 Grad erhitzt werden und das spart Energie. Gut 50 Prozent, wie die Deutsche Bundesstiftung Umwelt ermittelt hat.
Uralte Methoden mit Gentechnik revolutioniert
Neu ist die Nutzung von Mikroorganismen und Enzymen nicht. Schon seit über 5000 Jahren wird mit Hilfe dieser kleinen Mini-Fabriken beispielsweise Bier gebraut, Käse hergestellt oder Leder gegerbt. Neu ist aber, die Mikroorganismen gentechnisch zu verändern. Das sei nötig, um sie in großem industriellen Maßstab einsetzen zu können, erklärt Holger Zinke, einer der beiden Gründer von Brain. Die meisten Mikroorganismen lassen sich nämlich nicht im Labor züchten und vermehren. Aber es gibt robuste Mikroorganismen, bei denen das kein Problem ist.
Also untersucht man bei Brain, welche Organismen die gewünschten Fähigkeiten haben, um zum Beispiel Eiweiß, Stärke oder Fett abbauen können – mit anderen Worten Wäsche sauber waschen können. Dann isolieren die Forscher die Gene, verändern sie zum Teil und bauen sie in leicht kultivierbare Mikroorganismen ein. Das könne man sich vorstellen wie bei einer Tonkassette, erläutert Zinke: "Da können sie ja auch ein Stück vom Band rausschneiden und es in einer andere Kassette einfügen." Die andere Kassette ist dann ein Mikroorganismus, der sich leicht im Labor herstellen und vermehren lässt.
Weltweite Kooperation mit Großkonzernen
Brain hat wenig Konkurrenz und so kommen die Aufträge für das kleine Unternehmen mit seinen 75 Mitarbeitern aus aller Welt von den ganz Großen der Industrie: Evonik, Henkel, BASF, Clariant und andere Konzerne der Chemie, der Kosmetik, Lebensmittel- und Pharmaindustrie klopfen in Zwingenberg an die Tür. Sie alle wollen mit biotechnologische Prozessen Rohstoffe und Energie sparen. Denn: Diese Prozesse laufen oft bei geringeren Temperaturen und einem niedrigeren Druck ab als chemischen Reaktionen. Und sie helfen, auf Chemikalien zu verzichten, die meist auf Erdölbasis hergestellt werden müssen.
So wird die Weiße Biotechnolgie immer mehr die Industrie durchdringen. Bis 2030 werden Biomaterialien und Bioeenergie ein Drittel der gesamten industriellen Produkte ausmachen – das entspricht einem Volumen von weltweit rund 300 Milliarden Dollar, so eine Expertenkommission. Allerdings gibt Zinke zu bedenken: "Es gibt Industrieunternehmen die sagen, dass die Biotechnologie keine Vorteile per se hat." Man müsse eben im Einzelfall prüfen, welcher Herstellprozess mehr Vorteile hat, der biologische oder der chemische. So gebe es chemische Prozesse, die über Jahrzehnte optimiert wurden und dadurch unschlagbar effektiv laufen. "Dagegen hat die Biotechnologie meist Vorteile bei relativ komplexen Prozessen und komplexen Chemikalien."
Eisige Schatztruhe bei Brain
Die Mikroorganismen, mit denen Brain arbeitet, müssen nicht geschaffen werden - sie kommen aus der Natur. Wenig spektakulär geht dafür meist ein Mitarbeiter einfach vor das Firmengebäude und setzt den Spaten an. Große Exkursionen in entlegende Gebiete seien gar nicht nötig, denn schon in einem Gramm Boden finde man fünftausend verschiedene Mikroorganismen, sagt Zinke. Um immer wieder neue Lösungen suchen zu können, wurden bei Brain in den 16 Jahren seit der Gründung Mikroorganismen in einem Bioarchiv gesammelt. In dieser riesigen Gen-Bibiothek lagern etwa 200 Millionen unterschiedliche mikrobielle Gene. Eine eisige Schatztruhe, die immer wieder geöffnet wird, um neue Eigenschaften der Mikroorganismen zu suchen.
Derzeit werden von den Tausenden schon bekannten Enzymen gerade einmal 130 industriell genutzt. So werden die Biologen bei Brain wohl noch oft die mit Eiskristallen überzogenen Schubfächer herausziehen, um neue Fähigkeiten der Natur zu entdecken und nutzbar zu machen.
Autorin: Insa Wrede
Redaktion: Henrik Böhme