Die Millennials und der Krieg in der Ukraine
29. März 2022Sie sind geboren zwischen 1980 und 1995. Ihrem Übergang in ein selbstständiges Leben standen jedoch viele Ereignisse im Weg - erst die Weltwirtschaftskrise von 2008, deren Auswirklungen noch heute zu spüren sind. Dann seit zwei Jahren im Krisenmodus wegen Corona. Sie konnten oft kein finanzielles Polster aufbauen und stehen im Vergleich zu den vorherigen Generationen schlechter da.
Heute ist es der Ukraine-Krieg, der sie unter Druck setzt. Steigende Energiepreise, gerissene Lieferketten und Materialmangel waren Folgen der Pandemie - und werden durch den russischen Angriff auf die Ukraine jetzt noch verstärkt. "Alles wird auf einmal so viel teurer. Ich kann nicht mal Reis oder Öl im Supermarkt finden", sagt Lamen, Student und Vater, im Gespräch mit DW.
Das Studium geschmissen
Viele Angehörige der Generation Y mussten ihre Pläne aufgrund finanzieller Engpässe verwerfen oder verschieben, auch Lamen. Nach fünf Semestern an der Uni Bonn fing er an zu zweifeln, ob das Sprachstudium für ihn das Richtige ist. Der 27-jährige hatte 2016 seine Heimat Guinea in Westafrika verlassen und kam nach Deutschland, um hier Karriere zu machen. Doch die Geburt seines ersten Kindes und zunehmende instabile Weltlage zwingen ihn jetzt, einen schnelleren Weg auf den Arbeitsmarkt zu suchen.
Eine Chance sieht Lamen in der Ausbildung zum Kaufmann. "Ich habe drei Monate gebraucht, um diese Entscheidung zu treffen. Meine Familie wollte, dass ich weiter studiere. Ich kann aber nicht. Ich brauche Geld in der Tasche. Ich habe eine Tochter", sagt er. "Ich habe Angst um meine Zukunft. Ich frage mich, ob ich es überhaupt schaffen werde, eine finanzielle Stabilität aufzubauen."
Wirtschaftliche Turbulenzen infolge des Ukraine-Kriegs dürften Deutschland in diesem und im folgenden Jahr rund 90 Milliarden Euro kosten, kalkuliert das Kiel Institut für Weltwirtschaft. Zudem rechnen Ökonomen mit einer Inflationsrate von mindestens 5,8 Prozent - dem höchsten Wert seit der deutschen Einheit. Wohlstandsverluste sind vorprogrammiert.
Eine Krise nach der anderen
Haben sie einfach nur Pech gehabt, die Millennials, wenn man sie mit ihren Vorgängern, den Zeitzeugen des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg, vergleicht? Die ältesten Mitglieder der heutigen Generation Y waren Anfang 20, als 2008 die Finanzkriese die Welt erschütterte. Allein in den 38 Ländern der Industriestaatengemeinschaft OECD verloren 15 Millionen junge Menschen ihren Job. Als die Auswirkungen einigermaßen überwunden waren, kam Corona. Auch die Pandemie hat auf der ganzen Welt tiefe Spuren in der Wirtschaft hinterlassen.
Die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf einzelne Generationen vorauszusagen, sei noch zu früh, sagt der Gründer des Instituts für Generationenforschung in Augsburg, Rüdiger Maas. Eines sei aber klar: Preissteigerungen und Lieferengpässe werden alle betreffen, insbesondere die Menschen in prekären Situationen.
Auf der Suche nach Stabilität
Laut einer Studie des Instituts haben Millennials durchschnittlich weniger Geld auf dem Konto als ihre Vorgänger-Generation X und sogar ihre Nachfolger-Generation Z. Sie sind diejenigen, die am ehesten unbezahlte Überstunden leisten, oft nur befristete Verträge haben und schließlich weniger verdienen. In den USA zum Beispiel leben ungefähr 70 Prozent der Millennials von der Hand in den Mund.
"Millennials sind die am besten ausgebildete Generation, die am schlechtesten bezahlt wird", sagt Maas. "Die meisten Vertreter dieser Generation bekommen jetzt Kinder und stehen vor dem Problem: der Arbeitsmarkt bietet ihnen nicht die passenden Jobs und der Immobilienmarkt ist ausverkauft. Es sind viele Dinge, die jetzt bei dieser Generation aufschlagen."
Schon der Einstieg ins Berufsleben ist für viele Millennials eine lange Geschichte. Laut Umfragen suchen sie eher als andere Generationen einen Job, der sie erfüllt. Das trifft auch auf Lea [Name von der Redaktion geändert] zu.
Die 30-jährige wollte Kunsttherapeutin werden - ein Beruf, der nicht so gut bezahlt wird und keine Aufstiegsperspektiven bietet. "Als ich 18 war, dachte ich, ich brauche weder Essen noch Geld. Ich dachte, dass ich es schon irgendwie schaffen würde. Aber so funktioniert es nicht", sagt sie. Dabei sei finanzielle Stabilität nie ihre erste Priorität gewesen.
Nachdem sie studiert und sieben unbezahlte Praktika gemacht hatte, sehnte sie sich doch nach Stabilität. Sie studierte noch einmal und wurde Kunstlehrerin. Ins Berufsleben startete sie mit 28.
Wachsende Ängste
Heute ist Lea glücklich, diese Entscheidung getroffen zu haben. "Ich bin dankbar, dass ich Lehrerin geworden bin. Dadurch bin ich finanziell abgesichert in diesen instabilen Zeiten", sagt sie.
Der Krieg in der Ukraine hat zudem ihre Sicht auf das Leben in Europa geändert. "Das ist ein neues Niveau an Unsicherheit. Und ich fühle das ganz stark", sagt sie. "Früher dachte ich, Europäer leben in sehr stabilen Ländern, die unantastbar sind. Das sehe ich jetzt anders."
Inzwischen hofft auch Lamen auf bessere Aussichten nach der Ausbildung. Doch bis er in Vollzeit arbeiten kann, dauert es noch zwei Jahre. Bis dahin bleiben die zu bezahlenden Rechnungen seine größte Angst. "Ich wohne jetzt in einer kleinen Studentenwohnung. Aber meine Tochter wächst und ich müsste bald umziehen. Wie hoch wird dann die Miete sein? Und die Nebenkosten? Werde ich für meine Familie sorgen können?"