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Die Mär von den sicheren Herkunftsländern

Zoran Arbutina 13. August 2015

Um die Zahl der Asylbewerber in Deutschland zu verringern, sollen drei weitere Balkan-Staaten als "sichere Herkunftsländer" eingestuft werden. Doch Albanien, das Kosovo und Montenegro kämpfen mit enormen Problemen.

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Aus Deutschland abgeschobene Roma-Familie im Kosovo in einer 1-Zimmer-Wohnung - Foto: Jens Kalaene (dpa)
Aus Deutschland abgeschobene Roma-Familie im KosovoBild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

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Für das bayerische Innenministerium ist die Sache klar: "Ja, wir sind davon überzeugt, dass Albanien, das Kosovo und Montenegro sichere Herkunftsländer sind", sagt Ministeriumssprecher Oliver Platzer. "Mehr als 99 Prozent der Asylanträge aus diesen Ländern werden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als offensichtlich unbegründet abgelehnt." Nur aus humanitären Gründen - wenn die Asylbewerber aus diesen Ländern gebrechlich oder krank seien - würden einige Anträge positiv entschieden, so Platzer.

Ganz ähnlich sehen das offenbar auch die Ministerpräsidenten der betroffenen Balkanstaaten: "Wir sind dafür, das Kosovo als sicheren Herkunftsstaat im deutschen Recht zu klassifizieren", schrieben der kosovarische und der montenegrinische Regierungschef in einem Brief an den Balkan-Beauftragten des Europäischen Parlaments, David McAllister.

Bernd Mesovic - (Foto: Pro Asyl)
Menschenrechtler Mesovic: "Mafiaähnliche Strukturen"Bild: Pro Asyl

Die deutsche Menschenrechtsorganisation Pro Asyl beurteilt die Situation ganz anders: "Ich habe große Bedenken, diese Staaten als sichere Herkunftsländer zu bezeichnen", sagt Bernd Mesovic, Sprecher der Organisation. Sowohl im Kosovo als auch in Albanien und Montenegro könne man kaum von Rechtsstaatlichkeit im westlichen Sinne sprechen. Eine unabhängige Justiz gebe es nicht, unliebsame Journalisten würden verfolgt und unter Druck gesetzt.

In Montenegro herrsche eine Dynastie um Premierminister Milo Djukanovic, man spreche sogar von mafiaähnlichen staatlichen Strukturen. Auch Vetternwirtschaft und Korruption seien in diesen drei Ländern an der Tagesordnung, kritisiert Mesovic. Vor allem im Kosovo leide die Minderheit der Roma unter massiver Diskriminierung. Viele Roma hätten das Land aus Sicherheitsgründen schon verlassen. Mesovics Fazit: Es gibt erhebliche Zweifel daran, ob die Menschenrechte in diesen Ländern effektiv geschützt werden.

Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Resignation

Dazu erschwert die prekäre wirtschaftliche Lage vor allem das Leben der jungen Menschen. Auch ein Vierteljahrhundert nach dem Ende von Enver Hoxhas Steinzeit-Kommunismus gehört Albanien zu den ärmsten Ländern Europas. "Die Arbeitslosigkeit liegt schätzungsweise bei etwa 30 Prozent, zuverlässige Zahlen gibt es nicht", sagt Konrad Clewing, Balkan-Experte vom Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg. "Die Industrie ist immer noch sehr unterentwickelt und die Landwirtschaft liegt in weiten Teilen des Landes darnieder". Dazu hätten durch die Wirtschaftskrise in Griechenland Hunderttausende albanische Gastarbeiter ihre Jobs verloren. Dadurch blieben auch die Überweisungen aus dem Ausland aus.

Kosovaren bei der Ausreise (Februar 2015) - (Foto: Valdrin Xhemaj (EPA)
Kosovaren bei der Ausreise (Februar 2015): 1,8 Millionen Einwohner in ArmutBild: picture-alliance/dpa/V. Xhemaj

Noch schlimmer sei die wirtschaftliche und soziale Lage im benachbarten Kosovo, sagt Belul Beqaj, Politologe aus der kosovarischen Hauptstadt Pristina. Rund die Hälfte der 1,8 Millionen Einwohner lebe in Armut, etwa 45 bis 50 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung seien arbeitslos. Die meisten davon sind junge Menschen - im Land mit der durchschnittlich jüngsten Bevölkerung Europas.

Nach Angaben von Transparency International ist das Kosovo gleichzeitig auch das Land mit dem höchsten Grad an Korruption in Europa. "Überall herrscht Vetternwirtschaft. Es ist unmöglich, ohne Beziehungen an einen Job zu kommen. Alles läuft über die Verbindungen von Clans oder Familien", sagt Beqaj. "Das Gefühl, dass man hier auf dem normalen Weg nichts erreichen kann, die Perspektivlosigkeit, Ohnmacht und Unsicherheit - all das führt dazu, dass junge und mutige Menschen das Land verlassen wollen."

Nichts wie weg!

Das bestätigt auch die jüngste Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung über Jugendliche in Südosteuropa. Die Mehrheit der jungen Menschen in den westlichen Balkanstaaten ist unzufrieden mit dem Zustand der Demokratie in ihrem Land und leidet unter Arbeitslosigkeit und Armut. Sie sieht für sich keine Perspektive, hat kein Interesse an Politik und misstraut politischen und gesellschaftlichen Institutionen.

Im Kosovo geben 55 Prozent der befragten 14- bis 29-Jährigen an, das Land verlassen zu wollen - und in Albanien sogar 67 Prozent. Ähnlich sieht es auch in anderen Ländern der Region aus, die in Deutschland bereits als "sichere Herkunftsstaaten" gelten: So würden 53 Prozent der jungen Mazedonier gerne das Land verlassen und 49 Prozent der Jugendlichen in Bosnien-Herzegowina.

Oliver Platzer - Foto: Christoph Schedensack (Bayerisches Staatsministerium des Innern)
Ministeriumssprecher Platzer: "Öffentlichkeitswirksame Sammelabschiebungen"Bild: Bayerisches Staatsministerium des Innern, Fotograf: Christoph Schedensack

Die bayerische Landesregierung versucht zu verhindern, dass diese Menschen überhaupt nach Deutschland kommen. Man setze auf "öffentlichkeitswirksame Sammelabschiebungen", sagt Innenministeriumssprecher Platzer. Er hofft, durch die Einstufung neuer Staaten als sichere Herkunftsländer "eine Signalwirkung zu erreichen, dass die Menschen nicht mehr kommen."

Belul Beqaj aus Pristina glaubt aber nicht, dass das funktionieren kann. "Wer würde schon in einem Land bleiben, in dem er gar keine Perspektive für sich sieht - selbst wenn er weiß, dass im neuen Land viele Schwierigkeiten warten?", fragt der Politologe rhetorisch. Jeder würde hoffen, so Beqaj, dass ausgerechnet er unter den 0,3 Prozent der anerkannten Asylbewerber sein werde.

Wenn es nach Pro Asyl ginge, gebe es dafür auch eine reelle Chance: "Jeder Fall soll individuell und sorgfältig geprüft werden", fordert Bernd Mesovic, anstatt die Menschen aufgrund der Herkunft pauschal abzulehnen.

Politologe Beqaj hofft hingegen, dass so viele Kosovaren wie möglich aus Deutschland zurückgeschickt werden - zum Wohle ihrer Heimat: "Denn wir brauchen sie im Kosovo". Unter denen, die in Deutschland Asyl beantragen, seien die Mutigen, die Unzufriedenen, oft die Gebildeten: "Sie sollen hier, im Kosovo, etwas ändern, sie sollen hier protestieren, sodass sich die Politik ändert und keiner mehr das Land verlassen muss."